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Pairing ohne Promille

16.09. @ 22:35

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Schauplatz Restaurant: Den Weintrinkern am Tisch werden Vorschläge unterbreitet, was passend zu den nahenden Gerichten ins Glas kommen soll. Detailverliebt erläutert der Sommelier Rebsorte, Terroir, Lagerung, Bouquet und Philosophie der Winzerfamilie, bis das perfekte Pairing ausgelotet ist. Das ist großartig – vor allem für die Weintrinker. Wer – aus welchen Gründen auch immer – keinen Alkohol trinken will oder darf, schaut häufig durch die Finger. Oder wird in den Kinderbereich der Speisekarte verwiesen. Zur Auswahl stehen Cola, Fanta, Sprite oder – wer kennt es nicht – Obi gespritzt, das flüssige Äquivalent zum Pinocchioschnitzel. Danke, dann bitte doch ein Wasser! Immerhin: Es bleibt die Auswahl zwischen prickelnd und still.

Komplexe Aromatik statt Süße

„Das Thema alkoholfreie Speisebegleitung hat in Österreich immer noch zu wenig Bedeutung“ bestätigt Haubenkoch Michael Wankerl. Der gebürtige Bayer setzt in seinem veganen Restaurant Gerüchteküche in Graz bewusst auf neue Wege. Dazu gehört auch kreatives Pairing - mit und immer öfter auch ohne Alkohol. „45 Prozent der Gäste entscheiden sich bei uns mittlerweile für die alkoholfreie Begleitung zu ihrem Menü.“ Rund 15 nicht-alkoholische Getränke hat Wankerl in seiner Schank parat. „Säfte bieten wir gar nicht mehr an. Der viele Zucker und die Kohlenhydrate machen einfach zu satt.“ Es sei schließlich schade, wenn man beim Überraschungsmenü auf halber Strecke aufgeben muss.

Stattdessen kredenzt er so spannende Kreationen wie die Proxy Naturweine des dänischen Labels Arensbak. „Es geht hier nicht darum, einen Weinersatz anzubieten. Wine Proxies sind geschmacklich dichte Alternativen mit einer eigenen Aromenwelt“, so Wankerl. Bei der weißen Variante werden die blumigen Noten von fermentiertem Oolong-Tee mit Quitte, Melone, würzigen Zitronenthymian und Ringelblumenblüten versetzt, was einen leichten, frischen Speisenbegleiter ergibt. Noch komplexer wird es bei den pfeffrigen Drinks von Feral, einem jungen Startup aus Südtirol. Tonangebend hier eine interessante Mineralik mit dominanten Zitrusnoten, die vom Szechuan-Pfeffer stammen, und einem Hauch von Hopfen. Die Kombination aus fermentierter weißer Rübe und den Gewürzen schafft ein gutes Gleichgewicht zwischen Süße und Säure.

Perlende Proxies zum Aperitif

Lieblings-Prosecco-Alternative der Gäste? „Eindeutig die sprudelnden Schaumweine vom Obstbauern Van Wiesen!“ Hier trifft das frische Eisenkraut, auch bekannt als Verbene, auf die herbe Quitte. Die Kombination mit laktofermentiertem Sellerie sorgt für eine subtile Würze und ein schönes Kribbeln auf der Zunge. Zurecht stolz ist Michael Wankerl auf seine Eigenkreationen auf Kombuchabasis. Für die „Hausmarke“ werden Obst- und Gemüsesäfte im Verhältnis 2/3 zu 1/3 mit Kombucha verschnitten, den er in großen Einmachgläsern selbst ansetzt. Derzeit in der Flasche: Kombis mit Staudensellerie, Kriecherl oder Hollunder, die angenehm moussieren und sich hervorragend fürs alkoholfreie Pairing eignen. Gehrt die Essenz bei der Lagerung nach und baut Säure auf, justiert er einfach nach Belieben nach, bis die gewünschte Aromatik erreicht ist. Für Wankerl ein unschlagbarer Vorteil: „Wir können die Getränkebegleitung ganz gezielt zum Menü hin entwickeln“.

Mit Kribbeln auf der Zunge kennt man sich auch bei Gross & Gross aus. Ein Teil der Trauben (Schilcher, Sauvignon Blanc und Gelber Muskateller) vom Familienweingut in Ehrenhausen landet nämlich als Flein, einem sortenreinen Saft mit balanciertem Zucker-Säure-Spiel in der Flasche. Bei der prickelnden Variante, dem Flein Fizz, befördert eine kräftige Perlage die frischen Zitrusaromen an die Oberfläche. Schmeck am besten gut gekühlt, in einem großen Weinglas.

Die Renaissance des Grünen Saftes

Die Zitrone ist schuld, dass der Verjus über lange Zeit in Vergessenheit geraten ist. Bevor nämlich die Kreuzfahrer aus dem Nahen Osten mit der Südfrucht an Bord zurückkehrten, war Agrest – so nannte man Verjus damals – das Säuerungs- und Würzmittel der Wahl. Jetzt, Jahrhunderte später, feiert er ein fulminantes Revival. Die Bezeichnung „Vert Jus“ kommt aus dem Mittelfranzösischen und bedeutet „grüner Saft“. Grün deshalb weil die Weintrauben beim Ausdünnen des Traubenmaterials in einem noch unreifen Stadium (etwa Mitte August) gelesen und gepresst werden. Wegen der noch geringen Flüssigkeitsmenge in den Trauben müssen für eine relevante Verjus-Ausbeute viele der kleinen grünen Weinbeeren in die Presse. „Für 1 Liter Verjus benötigen wir rund 2 Kilo Trauben“, erklärt Jasmin Edelsbrunner vom Weingut Jaunegg. Je nach Leseergiebigkeit werden jährlich zwischen 200 und 300 Flaschen Verjus abgefüllt, die vor allem als feines Würzmittel in Restaurantküchen landen. „Wir sehen Gastronomen als Multiplikatoren, die die Gäste an den Verjus und seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten heranführen.“ Beim Weingut Lackner-Tinnacher werden die grünen Trauben in den Gamlitzer Weingärten sorgsam per Hand gelesen und anschließend zu saurem Traubensaft gepresst. Der Bio-Verjus aus Sauvignon Blanc und Gelbem Muskateller enthält keinen Zucker, hat aber mit 34 Gramm pro Liter ordentlich Säure im Gepäck. Angenehm sein Duft nach frischen Trauben und grünen Stachelbeeren. Der Geschmack: milder als Essig und mindestens so fruchtig wie Zitronensaft.

„Man muss ihn einmal pur probiert haben, um mitreden zu können“,
lacht Linda Böhmwalder, Marketingverantwortliche am Familienweingut Tement in der Südsteiermark. Bei Tement ist die Nachfrage nach Verjus in den letzten Jahren stetig gestiegen. „Je nach Ernteertrag beläuft sich das Produktionsvolumen auf 18.000 – 20.000 Flaschen“. Viel davon gehe an die Spitzengastronomie, wo Verjus zum Pimpen kreativer Gerichte zum Einsatz kommt. Mehr und mehr interessieren sich auch Barkeeper und Sommeliers für den grünen Saft – etwa als histaminarme Basis für Aperitifs oder Mocktails. „Verjus ist drinkable geworden“, so Linda Böhmwalder, die immer wieder auch selbst im Weingarten Hand anlegt. Ein mit Soda aufgespritzter Verjus an heißen Tagen ist dort der perfekte Durstlöscher. Der Tement Verjus kommt in 2 Sorten daher: als weißer Apero aus Welschriesling und Sauvignon Blanc Trauben und als Rosso auf Basis von Cabernet Sauvignon und Zweigelt.

Neues aus der Teeküche

Die Dänen waren die Ersten: Bereits 2017 experimentierte Sommelier Jacob Kocemba von der Copenhagen Sparkling Tea Company mit bis zu 13 verschiedenen, biologisch angebauten Tees und tastete sich schrittweise an die richtigen Brühtemperaturen und Zeitintervalle heran. Das Ergebnis: intensiv prickelnde anti- und leichtalkoholische Sparkling Teas mit frischer Säure und leichtem Körper. Georg Regele, Seniorchef des Weinguts Regele in Ehrenhausen wurde bei einer Verkostung auf den alkoholfreien Sprudel aufmerksam. Seit Fazit damals: „Das können wir besser“. Nach intensives Tüfteln war die perfekte Kombination aus Weintraubenschalentee, Grüntee und Schwarztee gefunden. „Die feine Säure, die den sprudelnden Tee zum Thee Bubblé habe ich aus dem Verjus genommen“, so Regele über die Zusammensetzung. „Den Grüntee und den Schwarztee benötigen wir, um dem Getränk eine gewisse Ernsthaftigkeit und Strenge zu verleihen. Der Traubenschalentee macht die Frucht. Und den Körper für ein angenehmes Mundgefühl beziehen wir aus dem geringen Gehalt an Zucker.“ Die fertige Cuvée wird mit Kohlensäure versetzt und in schwere Sektflaschen abgefüllt. Schwer deswegen, weil der Thee Bubblé nach der Füllung noch einmal erhitzt wird und dabei ein Flascheninnendruck von mehr als 12 bar entsteht. Nach einer aufwendigen Testphase ging man im Juni 2023 mit dem Thee Bubblé in Produktion. Das Echo der Klientel: durchwegs positiv. Georg Regele wird sich wohl demnächst zum Weitertüfteln in seine Teeküche zurückziehen. Das Beispiel zeigt deutlich: rauschfreies Fine-Dining wird zunehmend spannend und facettenreich.

Claudia Piller-Kornherr

Fotocredits: Gerüchteküche: Claudia Piller-Kornherr, Arensbak: brittleonie [zurück]

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