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Trost im Kochbuch
20.11.15 @ 11:14
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Vorige Woche ist die liebenswerteste aller Schwiegermütter, meine Schwiegermutter, gestorben. Sie als liebevolle Oma zu erleben, war für mich einfach nur schön. Seither regrediere ich depressiv herum, die Tage sind ewig lang und unnötig.
Vorgestern brachte mein armer Schwiegervater, der Opa, ein Kochbuch von irgendwoher mit – wer weiß schon, wo er das wieder hat mitgehen lassen …
Ich beschnupperte es vorsichtig, es war mir auf den ersten Blick nicht ganz koscher. Aber kaum hatte ich es geöffnet, hat es mich schon gefangen und – tatsächlich – mir Trost gespendet. Ich konnte mich darin verlieren, die Trauer vergessen und wieder zu mir grundfröhlichen Menschen zurückfinden. Zumindest solange ich darin las.
Es heißt: Wirtshausgulasch & Topfenpalatschinken, Klassiker und Neue Inspirationen, Wiener Küche, lieben Gruß aus Wien
Dass es mir ob des Titels erst nicht gleich unter die Nase ging, ist jetzt eventuell nachvollziehbar. Noch dazu in grün schimmernder Goldschrift auf weißen Grund, jo eh, Jugendstil, aber das Cover scheint mir einfach nicht gelungen. Anyhow, wie der Brite sagt, wenn er Wurst meint.
Die Autorin ist die bekannt Foodbloggerin Frau Ziii, vulgo Susanne Zimmel. Sie hat auch die Fotos beigesteuert.
Was für ein Buch! Ich schlage im Anfangsbereich auf, lande sofort bei den ultimativen Eiern im Glas, meines Erachtens die würdevollste Art, weiche Eier zu essen, lese voll Freude ihre Einführung zu den Eiern im Glas. Alleine dass sie das Verb „Abkletzeln“ verwendet, macht mich schon froh. Und dass sie erklärt, wie perfekte weiche Eier schon seit langer Zeit in Japan gemacht werden (Niedertemperatur), und wie man sie ebenso in einer Thermosflasche zur Perfektion garen kann. Das Foto dazu tröstet ganz wunderbar: Zwei weiche Eier in einem zarten Lilien-Porzellan-Häferl.
In Bälde nachmachen muss ich ihre Edelstreichwurst. Nicht, dass da für mich etwas Neues dran wäre (Hühnerlebercreme mit Fett abgeschlossen) und ich die Zusammensetzung des Rezepts revolutionär oder sonst was empfinde, aber sie schafft es mit Foto und Text so viel Lust in mir zum Kochen zu entwickeln, dass ich dafür einfach nur dankbar bin. Ja, selbst auf Liptauer macht sie mir Lust – wie geht das bitte?! ;-)
Es ist ihre Sprache, die ihren Rezepten gleicht: Freudig, lustvoll, am Boden bleibend, nicht komplett schnörkellos sondern immer wieder mit kleinen, knusprigen Salzkristallen versehen, die den Unterschied ausmachen.
Liebevoll setzt sie die von Arbeit und Alter wunderschönen Hände ihrer Großmutter ins Bild, die mit in Jahrzehnten erarbeitetem Gespür einen Nudelteig für die Suppe kneten und schneiden. Suppennudeln in einer ehrlichen Rindssuppe – ja, auch das ist Bestandteil meines persönlichen Wienbilds.
Und überhaupt: Ihre Suppen und die Fotos von diesen verdienen sich ein eigenes Buch. Ihre mollige Kukuruzsuppe steht da bei mir an erster Stelle, dicht gefolgt von der eingebrennten Gemüsesuppe, die auch wirklich nur in diesem Topf (der mit den braunen Blumen von Riess) gekocht und serviert werden darf. Schon von Zupfnockerln gehört? Buch kaufen.
Nie hätte ich mir gedacht, jemals ein Rezept zu Zwiebelrostbraten zu lesen. Wozu auch? Aber auch hier verdreht mir Frau Ziii den Kopf und führt mich über das Foto mit dem herrlich gefächertem Erdäpfel zum Lesen. Von hinten nach vorne – weil das Interesse mit jedem Absatz steigt.
Ein pures Vergnügen das Champignonschnitzerl Deluxe, ebenso der Kümmelbraten mit Popcornkruste (ohne Popcorn!). Beim Kümmelbratenrezept sind wirklich leiwande Tipps dabei, so dass man beim Lesen sich schon beim Zubereiten und Essen wähnt.
Apfelschmalz, Rindsgulasch, Erdäpfelgulasch, Krautwickel, Paprikahenderl, Wiener Erdäpfelsalat, Letscho, … ich habe noch viel vor.
Bei den Desserts bin ich ein armer Hund, weil in fast jedem Dessert eines meiner eher heftig wirkenden Allergene vorkommt: Steinobst (Marille, Pfirsich, Zwetschke), Topfen und Nüsse … diese Zutaten so perfekt verarbeitet zu sehen, sich vorstellen zu müssen, wie gut die Topfennockerln mit Haselnuss-Zimtbröseln schmecken, oder die Pfirsichschlankerl (was für ein schönes Wort) - das grenzt an Folter. Wo ist der UNHCR, wenn man ihn einmal braucht?
Dass am Ende des Buchs auch noch Fotos meiner ehemaligen Arbeitsstätte, das einmalig schöne Palmenhaus im Burggarten, drin sind, rundet mein durch und durch lustvolles, tröstendes Leseerlebnis perfekt ab. Selten hat mir ein Kochbuch so viel Freude beschert.
Danke, Susanne Zimmel, für dieses Buch!
Gregor Fauma
www.ziiikocht.at
Susanne Zimmel, Wiener Küche, erschienen im Verlag Dorling Kindersley
240 Seiten, 25,70 Euro
ISBN: 9783831027811
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