Magazin
- It´s the Bratfolien-Brot, stupid!
- Lese-Empfehlung
- Hüttencharme mit internationaler Spitzengastronomie
- Nass, nässer, Laurenzio-Brot
- Wieder ein bestes Buch
- Fernweh Heimweh Sehnsuchtsküche
- Am Stock gefülltes Gurkenblatt
- Do the Dampf!
- Himmlisches Dosenfutter
- Rom liegt am Salzgries
Nass, nässer, Laurenzio-Brot
Pierre Reboul als ´patzigs Nachhilfelehrer
16.03.17 @ 11:21
Kommentar abgeben
Sie müssen eingeloggt sein um diese Option zu nutzen. Falls Sie noch nicht Mitglied von SPEISING.NET sind, können Sie sich hier registrieren.
Sie hatten mich provoziert, ich bin drauf eingestiegen und stand in Folge eine Woche später in der Produktion der Firma Ströck in Wien-Donaustadt Pierre Reboul gegenüber.
Pierre ist aus Frankreich, hatte viele Jahre in NY bei den berühmtesten Köchen als Patissier gearbeitet und wurde auf Umwegen von den Ströcks als Freigeist engagiert. Seine Freiheiten beinhalten auch, dass er fast zwei Jahre lang versuchen durfte, ein spezielles Brot zu backen – und dabei über eine Tonne Mehl zu verbrauchen. Keines dieser Brote hatte es in den Verkauf geschafft. Aber Pierre gab nicht auf. Er wollte frisch vermahlenes Mehl eins zu eins mit Wasser und Sauerteig vermengen, um ein extrem saftiges Brot, ohne zusätzliche Hefe, ohne zusätzliches Gluten, ohne zusätzliche Ascorbinsäure, zu backen. Man spricht dann von einer Teigausbeute TA 200. 100 Teile Mehl auf 100 Teile Wasser. Normal bäckt man mit TA 160 bis TA 180, als deutlich weniger Wasser. So einen feuchten Teig zu bearbeiten, ist eine ziemliche Patzerei.
Die Mutter aller Provokationen war aber, dass Pierre Reboul den Teig derart führt, dass er ihn frei schieben kann. Mit anderen Worten: Der nasse, rinnerte Teig kommt nicht in einer Form ins Rohr, was keine Kunst wäre, sondern liegt frei. Und das bei TA 200! Wie soll das gehen? Schon einmal Palatschinkenteig geformt ...?
Ich musste es selbst ausprobieren. Nachdem der Teig schön angegangen war, schüttete ich ihn auf ein Backpapier, wo er natürlich sofort auseinanderfloss. Ich dehnte und faltete regelmäßig mit Teigkarten, um dem Teig Struktur zu geben, was auch ein wenig gelang, aber nicht ausreichend. Im Rohr ist der freigeschobene Teig dann noch ein wenig aufgegangen, der Teig hatte aber zu wenig Trieb in Summe. Das Brot schmeckte trotzdem fantastisch. Kurz darauf luden mich die Ströcks ein, meine Skills mit Pierre Reboul zu verbessern.
Was machen Pierre Reboul und Philipp Ströck anders: Ihr Roggensauer hat eine immense Triebkraft. Sie verarbeiten frisch gemahlenes Mehl (eigene Steinmühle aus Holz!) aus eigens gezogenem Laurenzio-Weizen. Sie führen den Sauerteig kühler als ich (26 Grad). Ihre Kunst ist aber das Wirken und Schleifen des backbereiten Teigs: Dazu arbeitet Reboul auf einer nassen Nirosta- bzw. Kunststoff-Oberfläche. Das Wasser verhindert ein Ankleben des klatschnassen Teigs. Mit unglaublich viel Gefühl schleift er den nassen Teig, sodass er eine wirklich schöne Oberflächenspannung bekommt, dann ab ins Rohr. Das Brot wird zweimal gebacken: Erst auf 95 Grad Kerntemperatur, dann kurz in den Schockfroster, und fertiggebacken wird es am Folgetag dann im Shop bei 80 Grad – die ÖsterreicherInnen haben gern eine dickere Kruste, verrät Reboul.
Um das so hinzubekommen, wie er mir den gesamten Ablauf vorführte, brauchten Philipp Ströck und Pierre Reboul fast zwei Jahre an Experimenten. Der entscheidende Schritt hin zum Erfolg war laut Reboul, dass er nicht mehr versuchte, dem Teig etwas aufzuzwingen, sondern den Teig selbst seinen Weg gehen ließ. Es bräuchte einen zen-buddhistischen Zugang, um solch ein Brot in konsequent gleichbleibend höchster Qualität backen zu können.
Wie auch immer: Das Laurenzio-Brot der Ströcks strotzt von Energie, ist puristisch as hell und hat geschmacklich unglaublich viel drauf. Die Kruste schmeckt dunkelmalzig, fast rauchig, die Krume fein säuerlich, unglaublich flauschig und schön nach dem Aroma frischen Weizens. Top.
Eine letzte Anmerkung: Ich habe in der Produktion unglaublich viele Menschen Brot backen gesehen. Und zwar nicht an Maschinen (die gibt es auch), sondern mit ihren Händen an den unterschiedlichsten Teigen. Echtes Handwerk. Wenn man sieht, wie viel Kraft es braucht, um im höchsten Tempo Teige zu mischen, zu formen, zu bearbeiten, Simperl zu stauben, zu kippen, Brote ins Rohr einzuschießen, wieder herauszuholen, … Tempo Tempo Tempo! Alles reine Manpower und viel, viel Energie, auch in Form von Strom für die Backrohre, Gärräume und Kühlhäuser … in diesen Broten steckt so unglaublich viel Energie jeglicher Herkunft - vom Feld bis in den Shop - dass der Preis für einen Laib fast lächerlich anmutet.
Gregor Fauma
www.stroeck.at/produkte/detail/bio-laurenzio-wecken
www.stroeck.at/blog/laurenzio-wecken
1 Kommentar | Kommentar abgeben
OberkllnerPatzig, 18.03.17 @ 13:47
--- 25.06.20 @ 16:59
Takan's am Kutschkermarkt / OberkllnerPatzig: Wie Urlaub - Gestern wieder einmal bei Suat mit Freunden am Abend essen gewesen - was soll... [mehr]
--- 10.11.19 @ 23:14
Roter Veltliner – die Sortenrarität vom Wagram / KutschersKostnotizen: Roter Veltliner 2018 Steinberg - Intensives Strohgelb mit Gold; internationales Feeling mit deutlichem... [mehr]
--- 10.04.18 @ 17:52
Winzerporträt: Herbert Prickler / KutschersKostnotizen: Cuvée Grand Pri‘ 2015 Blaufränkisch – Merlot – Zweigelt – Cabernet Sauvignon... [mehr]
--- 10.04.18 @ 16:57
Kalk und Kegel / OberkllnerPatzig: War wirklich an der Zeit. [mehr]
--- 09.06.17 @ 11:18
Bin dagegen! / dschungeltier: hm - darf er das überhaupt? [mehr]