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Steirereck - Immer den Sternen nach
Von Christoph Wagner
23.01.05 @ 17:04
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Ein trüber Septembertag in den späten 80ern. Nebelschwaden segelten gemächlich über die Hügelwellen des französischen Tenarèze. Es war nicht leicht, dazwischen Hector Théaux zu finden, der, wie gerade erst vor einer Woche in einer kleinen Notiz einer deutschen Fachzeitschrift zu lesen stand, die Konkurrenz aus Armagnac und Cognac mit seinen Bränden bei weitem in den Schatten stellte. Monsieur Hector, ein kleines, bulliges Männchen mit listigen Äuglein und von gemächlichem Temperament, führte uns bereitwillig durch seine Kellergewölbe, die eher an einen Unterschlupf für die drei Musketiere als an eine moderne Brennerei erinnerten, und er ließ uns freigiebig Brandy bis zurück ins Jahr 1932 kosten. „Allemagne?” fragte er schließlich. „Non, Autriche”, antwortete mein Begleiter, der in Wien ein Spitzenrestaurant führte.
Hector Théaux kratzte sich an der Glatze. „Seltsam, seltsam”, sagte er. „Noch nie waren Österreicher bei mir. Und jetzt gleich zwei. Erst gestern war einer da, fast um dieselbe Zeit.”
„Erinnern Sie sich noch an den Namen?” fragte mein Begleiter.
„Da muss ich nachsehen”, erwiderte Hector Théaux und schlurfte langsam in einen kleinen Glaskobel, wo er seine handschriftlich und auf Pergament geführten Geschäftsbücher führte. „Warten Sie einen Moment, gleich hab ich´s... Ja, Reitbauer hieß der Kerl.”
Mein Begleiter und Patron des Altwienerhofs, Rudolf Kellner, erbleichte.
„Der Heinz Reitbauer hatte dieselbe Spürnase wie wir alle”, erinnert sich der mittlerweile retirierte Rudolf Kellner heute gerne an seinen ehemaligen Lieblingskonkurrenten, „aber im Finish, da war er immer besser. Wenn es darum ging, etwas auf den Boden zu bringen, dann war er uns stets eine Nasenlänge voraus.”
An ebendieser Nase führt Heinz Reitbauer nun schon seit etlichen Jahren die „Gastrojournaille” (so der unter Topgastronomen gebräuchliche Spitzname für das testende Milieu) herum, indem er stets mit neuen Plänen an die Öffentlichkeit trat, dem zwar immer hervorragenden, aber vielen Feinspitzen doch schon etwas zu routinierten „Steirereck” demnächst eine große Volte zu verpassen und damit die mühsam erworbene Spitzenbewertung von vier Hauben auch über die Jahrtausendwende zu retten.
Trotz kleiner Stänkereien von Seiten der Tester ist genau das Heinz Reitbauer auch tatsächlich gelungen. Mögliche Rückstufungen wurden zwar immer wieder angedeutet, aber mit dem Hinweis, dass sich „nächstes Jahr ja ohnedies alles ändern” werde, nicht vorgenommen. Erst 2004 hat A-La-Carte Chefredakteur Christian Grünwald das „Steirereck” dann dennoch aus der Wertung genommen, Gault-Millau-Herausgeber Michael Reinartz setzte die vier Hauben diplomatisch in Klammern, und der heuer erstmals erscheinende Österreich-Michelin ließ aus Vorsicht nicht mehr als ein zerknautschtes Sternlein aus. Was Heinz Reitbauer — wie jeder weiß, der ihn kennt, sowohl als tiefe Demütigung wie auch als Herausforderung empfunden haben muss. Denn wenn man ihn heute fragt, warum er sich, längst am Zenit seines von aller Welt akklamierten Schaffens, zur Ruhe setze, so antwortet er angriffslustig: „Sie vergessen die drei Michelin-Sterne. Die fehlen noch in unserem Portefeuille.”
Fest steht: Heinz Reitbauer wird, mit tatkräftiger Unterstützung seines hochbegabten Sohnes Heinz jun., nichts unversucht lassen, um diese Trophäe, an der er schon einmal relativ nahe dran war (im Europa-Michelin hatte das Steirereck zwei Sterne) in den Wiener Stadtpark zu holen, in dessen Meierei er sich vor etwa zweieinhalb Jahren verliebt hat.
Die Vorgeschichte: Reitbauer, der Mann mit dem sicheren G´spür für die gastronomische Großwetterlage, hatte schon Ende der 90er erkannt, dass sein „Steirereck” Gefahr lief, auf höchstem Niveau „old fashioned” zu werden. Er bemerkte, dass das von ihm 1996 in seiner steirischen Heimatgemeinde Turnau gegründete „Steirereck am Pogusch” mit seiner zwar etwas populistischen, aber auf Frische und Pep setzenden, leichten und vor allem erlebnisbetonten Küchenlinie moderne Gäste-Begehrlichkeiten plötzlich besser zu befriedigen vermochte als seine behäbige Großbürgerlounge in der Rasumofskygasse.
Da Pläne, wenn Reitbauer sie wälzt, meist hochfliegend sind, fiel ihm zunächst einmal der siebte Stock in dem mittlerweile von ihm selbst erworbenen Haus ein. Plötzlich machten in allen Insiderkreisen Gerüchte von einer palastartigen Auffahrtsrampe am Donaukanal und einem Gartenwäldchen auf der Dachterrasse die Runde, das in einer sechs Meter tiefen Erdaufschüttung Wurzeln schlagen sollte. Die geschätzten Baukosten stiegen von 40 auf 60 und zuletzt auf 100 Millionen Schilling. Und da sagte Heinz Reitbauer (möglicherweise aber auch seine tüchtige Frau Margarethe, die fürs Finanzielle zuständig ist): „Um soviel Geld kriegen wir was anderes auch.”
Ab diesem Zeitpunkt, so Heinz Reitbauer, „habe ich begonnen, in der Stadt spazieren zu gehen.” Es müsse doch, dachte er, irgendwo in der Innenstadt „a oits Haus oder a Palais” geben, das von Größe und Lage passe und vor allem von einem schönen Garten umgeben sei.
Allzu lange musste Reitbauer wohl nicht wandern, um dieses Objekt zu finden. Denn von der Rasumofskygasse bis in den Stadtpark spazierte sich´s nur ein gutes Viertelstündchen — und schon stand Reitbauer vor dem Objekt seiner Begierde: der alten Stadtparkmeierei gegenüber dem Hotel Hilton, die vom früheren Pächter, um es einmal vorsichtig zu formulieren, ohne speziell erkennbares Engagement geführt wurde. Mit dem ihm eigenen Imaginationsvermögen fühlte Reitbauer sich plötzlich auf die Pariser Champs Elysées versetzt und sah sein dortiges Lieblingslokal, das mit drei Sternen gekrönte „Ledoyen”, plötzlich unter dem Namen „Steirereck im Stadtpark” mitten in Wien stehen.
Das Haus vom Eigentümer, der Gemeinde Wien, zugesprochen zu bekommen, stieß allerdings auf wesentlich größere Widerstände, als Reitbauer angenommen hatte. Sobald Reitbauers Interesse an dem Projekt durchgesickert war, meldeten insgesamt 23 Mitbewerber — darunter einige der angesehensten Gastronomen Wiens — ebenfalls ihr Interesse an dem Objekt an.
Bürgermeister Häupl tat, was Politiker in solchen Fällen stets zu tun pflegen. Er ernannte eine Expertenkomission, ließ einen Kriterienkatalog erstellen und alle Bewerber nach Punkten bewerten. Vor allem aber fuhr er auf den Pogusch und sah sich, wie Reitbauer es heute formuliert „ganz genau an, ob wir nicht nur für eine kleine Gourmetminderheit kochen, sondern auch eine Küche machen können, die breiteste Bevölkerungskreise anspricht.”
Häupl, der Volksverbundenheit und feinen Gaumen durchaus in einer Person vereinigt, scheint sich jedenfalls in beiden Eigenschaften angesprochen gefühlt zu haben. Denn die Würfel fielen für das „Steirereck.” Und dass die für Reitbauers Lebenstraum nötige abendliche Pkw-Zufahrt in den Stadtpark trotz mancherlei Schwierigkeiten schließlich doch noch bewilligt wurde, ist wohl nicht zuletzt Häupls Wohlwollen zu verdanken.
Die Zuneigung des Bürgermeisters zu seinem nunmehr obersten kulinarischen Stadtgärtner beruht freilich auf mehr als nur Sympathie. Beide verbindet nämlich eine Philosophie, die man als „demokratischen Hedonismus” umschreiben könnte und die in der Überzeugung mündet, dass auch das Recht auf Genuss zu den Menschenrechten gehört.
Heinz Reitbauer hat zwar stets Spitzengastronomie betrieben, aber, anders als viele seiner Kollegen, niemals darauf Wert gelegt, ein „Nobelwirt” zu sein. Während viele seiner Kombattanten aus der Zeit der „Neuen Wiener Küche” neidisch auf die Preisgestaltung in der deutschen, italienischen oder französischen Top-Gastronomie schielten, war Reitbauers Bestreben stets, unter den besten Lokalen das preisgünstigste zu sein. Mit seinen unter dem Titel „Steirereck Light” gestarteten Sonderangeboten für junge Leute hat der „Rote Heinz” (so Reitbauers Spitzname unter Kollegen) die Konkurrenz ebenso zur Verzweiflung gebracht wie mit seinen preisgünstigen Ideen für „Gabelfrühstück” und „Restlessen.”
„Mir macht es nichts aus”, sagt Reitbauer aus voller Überzeugung, „wenn Herr Siebeck die österreichische Küche gerade wieder einmal als Beuschelküche verhöhnt hat. Wir stehen trotzdem dazu.” Und als Tableau voll entsprechender Symbolkraft ließ Reitbauer daher auf die Wand des Treppenaufgangs in riesigen Kurrent-Lettern ein Rezept für einen Kaiserpudding auf die Wand malen, das aus einem handgeschriebenen Großmutter-Kochbuch stammt.
Die Liebe zur österreichischen Küche teilt mit Heinz Reitbauer auch Alt- und (trotz mancher zwischenzeitlicher Gerüchte) Neo-Küchenchef Helmut Österreicher, der, oft ein wenig zu Unrecht, gerne als „Reitbauers Geschöpf” bezeichnet wird, weil der gebürtige Waldviertler, den es ins Hotel Sacher verschlagen hatte, nach einem kurzen Abstecher in den Marchfelderhof ausschließlich „unter Reitbauer gedient” hat, und das von der ersten Stunde an. An der Seite Reitbauers war er es freilich auch, der sich, oft auf abenteuerlichsten Routen und notfalls sogar unter Zuhilfenahme eines Rübenbombers, gemeinsam mit seinem Chef planquadratmäßig die Welt der Dreisternelokale erschloss und deren jeweils neueste kulinarische Erkenntnisse auch in seinen persönlichen Kochstil einfließen ließ.
Sehr viel mehr als das uneingeschränkte Bekenntnis zu einer „österreichischen Grundierung” und das Versprechen, dieselbe mit Hilfe der modernsten derzeit möglichen Küchen-Hardware „noch reinsortiger als bisher” in höchste Qualität umzusetzen und dabei „einen neuen Stil zu prägen”, lässt sich Österreicher nicht über sein Konzept entlocken. Die Frage, ob man sich auf ein Gericht schon ganz besonders freuen dürfe, beantwortet er in Kenntnis der Vorlieben des Fragenden mit einem blitzenden Lächeln: „Ich würde sagen, auf das Taubenpörkölt.”
Längst grassiert unter professionellen und halbprofessionellen Kiebitzen indessen eine ganze Flut von Gerüchten, was auf den Steirereck-Gast der Zukunft wohl so alles zukommen wird. Da wird etwa von einer geheimnisvollen Licht-Technologie gemunkelt, die jeden Tisch als Bühne begreift und mittels einer speziellen Lichtorgel sogar in der Lage ist, die Beleuchtung, jeweils zum Gang passend zu verändern. Dass Licht tatsächlich eine Rolle spielen wird, beweist indessen die schillernde Milchflascheninstallation in der als moderner Glaskasten am Wienufer angelegten Meierei, in der es, wie Reitbauer verspricht, „den besten Kaffee Wiens und kein Gericht geben wird, das nicht zumindest auf irgendeine Weise mit Milch zu tun hat.”
Hinter dieser modernen „Volkskuchl” erhebt sich das denkmalgeschützte, aber innen ziemlich ausgehöhlte Kernstück der alten Meierei, in dem sich das eigentliche „Steirereck im Stadtpark” befindet, das, aus Qualitätsgründen gegenüber dem alten Lokal wesentlich verkleinert, aber dafür um einen Garten erweitert, in zwei Schichten geführt werden soll: mittags in einer Light-Variante für den eiligen Gast, und abends als Focus jener „großen Kür”, die dem Restaurant seinen Platz in der internationalen Champions-League weiterhin sichern soll.
Und was, fragt man sich, wird jetzt aus dem alten Steirereck in der Rasumofskygasse?
„Wollen Sie es? – Sie können es haben”, antwortet Heinz Reitbauer wie aus der Pistole geschossen. „Schüsselfertig. Und glauben Sie mir, es ist nicht das schlechteste Lokal, das Sie in Wien kriegen können.”
www.steirereck.at
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