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Gault-Millau: Es begann mit einem Wecker
09.08.05 @ 07:29
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Christian Gault und Henri Millau waren echte 68er und Journalisten bei einer linksgerichteten Pariser Zeitung, als sie 1970 zu "Gault-Millau" wurden. Dieser Artikel von Christian Millau erschien anlässlich des 20. Geburtstages von GM im (damals noch Gault-Millau) "A la Carte".
"Wie kommt es, dass zwei moralisch hochstehende Herren ein Paar geworden sind? Soviel ich weiß, ist es selten Liebe auf den ersten Blick. Oder glauben Sie, dass sich Herr Villeroy vor Herrn Boch wie Romeo vor Julia auf die Knie geworfen hat, um ihn dazu zu überreden, mit ihm Boden- und Wandfliesen zu machen? Sicher, Möglichkeiten gibt es viele. Aber bei uns war es ganz einfach ein Wecker, mit dem unsere Verbindung begann.
1960 arbeiteten wir beide für die Abendzeitung Paris-Presse. Sie war so brillant, so intelligent und so gut gemacht, dass sie nach ein paar Jahren eingestellt wurde, so wie viele andere ach so intelligente und gut gemachte Zeitungen auch. Henri Gault war der große Reporter – er hatte nämlich die überaus schwierige Aufgabe, stumme Bilder zum Sprechen zu bringen. Er überhörte aber in der Früh so oft seinen Wecker, dass der Redaktionsleiter für ihn eine andere, weniger "verantwortungsvolle" Tätigkeit suchte. Charpy, unermüdlich in der Erforschung des verborgenen Ichs von Gault, fragte diesen unter vier Augen, was er eigentlich am liebsten machen würde. "Spazieren gehen", erwiderte da der Faule.
Ein anderer hätte ihn deshalb sicher hinausgeworfen, Charpy aber fand diese Antwort gar nicht so schlecht. Die Franzosen waren nämlich gerade dabei, das Dolcefarniente zu entdecken, die Weekends und die Freizeitvergnügen. Warum sollte dieser Trend nicht auch in einer Zeitung Platz finden? Ein Fauler, der andere Faule führt, sie bei der Hand nimmt, ihnen alte Gemäuer zeigt oder einen abgelegenen Fleck im Grünen, und ihnen in bekannten und weniger bekannten Restaurants sogar die Serviette um den Hals bindet... das könnte gehen.
Ich selbst war damals als Stellvertretender Chefredakteur für den Magazinteil von Paris-Presse zuständig. Ein Titel, den ich übrigens mit fast allen anderen Redaktionsmitgliedern teilte. So erschien also jeden Freitag die Kolumne von Gault in meinem Magazin, und ich bekam beim Durchlesen dieser Flanerien selbst Lust, mich in den Wald- und Wiesenjournalismus zu werfen. Aber mein Wecker läutete noch immer erbarmungslos um 6 Uhr früh.
Der Erfolg war von Beginn an überwältigend, und die Leser folgten Henri Gault zu den verwahrlosesten Schlössern und jenen bedeutenden romanischen Kirchen, für die erst der Schlüssel beim Bäcker geholt werden musste. Am meisten interessierten die Leser jedoch die Restauranttipps.
Christian Bourgois, zu dieser Zeit noch Direktor des Verlages Julliard, veröffentlichte dann eine Auswahl von Gaults Freitagskolumnen unter dem Titel "Zum Sehen und zum Essen". Als das Buch eine Auflage von 15.000 Stück erreicht hatte, wollte Bourgois ein neues Buch. Und Gault ereilte das Schicksal all jener faulen Autoren, deren erstes Buch ein Erfolg ist. Man verfolgt sie so lange, bis sie sich bequemen, noch ein zweites zu schreiben.
Er teilte mir seine verzweifelte Lage mit, und nach längerem Hin und Her entstand die Idee, gemeinsam einen Paris Guide zu schreiben, der die Restaurants, Geschäfte und Handwerker dieser Stadt vorstellt.
Zu unserer großen Überraschung dauerte es keine fünf Minuten, Christian Bourgois von unserer Idee zu überzeugen. Er stelle sofort einen Scheck über eine Million Francs (alte Francs natürlich) aus und wünschte uns einen guten Appetit. Ein Wunsch, der nicht überflüssig war, denn wir brauchten einen guten Magen, um uns in dieses Abenteuer zu stürzen. 350 Restaurants waren zu testen, ohne von den Hunderten anderen Adressen zu reden, die recherchiert und kommentiert werden mussten.
Am nächsten Tag trafen wir uns, Gault und ich, in einem Bistrot in der Nähe der Champs-Elysées und feierten die Geburt eines kleinen Monsters mit zwei Köpfen und zwei Mägen, nämlich die von Gault-Millau."
Christian Millau
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