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Best of SPEISING.NET - Hansi der Hummer

21.03.07 @ 07:17

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Eintrag: Dienstag, 06.01.2004 | 02:23 ---------------------------------

Hansi der Hummer

"Ich möchte einen Hummer", sagte ich, und ein gewisser zu allem entschlossener Trotz lag in meiner Stimme.
"Einen toten kanadischen oder einen lebenden Bretonen", fragte Herr Gruber, der den besten Fischstand am Wiener Naschmarkt betreibt.

Da ich mich mit Hummern ganz gut auskenne, dachte ich nicht lange nach. Was sollte ich auch mit einem toten Kanadier.
"Einen lebenden Bretonen natürlich", sagte ich forsch.

Herr Gruber holte ein Prachtexemplar von einem bretonischen Hummer mit leuchtenden blauen Beinen und einem blau schillernden Schwanzstück. Er wog ein Kilo zwanzig, und Herr Gruber wickelte ihn in mehrere Schichten Papier ein, und in diesem Augenblick beschloss ich, den Hummer kurzerhand Hansi zu nennen. Schließlich war er ab diesem Zeitpunkt mein Gast, und ein Gast braucht einen Namen.

"Setzen Sie ihn daheim gleich in einen Weidling", sagte Herr Gruber. "Aber füllen Sie den Weidling nicht mit Süßwasser, das bringt das biologische Gleichgewicht des Hummers durcheinander. Es reicht, wenn Sie ihn mit ein paar nassen Tüchern feucht halten."

"Es soll Hansi an nichts fehlen", versicherte ich Herrn Gruber.
"Hansi?" fragte er ratlos. "Welchen Hansi meinen Sie?"
Ich wünschte Herrn Gruberviel Erfolg im neuen Jahr und brachte Hansi nach Hause.

"Du lieber Gott", sagte meine Frau, als ich ihr unseren neuen Hausgast vorstellte. "Der lebt ja." "Natürlich lebt er", sagte ich, "und du solltest dir einmal diese tiefblaue Maserung ansehen, die sein Panzer hat. So schön wie heute präsentiert er sich sicherlich nie wieder."

"Du gibst ihn doch hoffentlich nicht wieder in unsere Badewanne wie letztes Mal. Ich will keinen Hummer in meiner Badewanne."
"Mir reicht ein Weidling."
"Um Gottes Willen, ein Weidling, da krabbelt er ja heraus."
"Der krabbelt nicht, seine Scheren sind mit Isolierband zusammengebunden."
"Wie grausam", sagte meine Frau.

"Seht her, ich habe Hansi mitgebracht, meinen neuen Freund", sagte ich zu meinen beiden Töchtern, die aufgrund der gereizten Stimme meiner Frau einen herandräuenden Streit vermuteten und diesen in ihrem pazifistischen Naturell schlichten wollten.
Hansi zappelte mit allen seinen Gliedern, als wollte er meinen Töchtern eine seiner vielen Hände reichen.
"Huuch", schrieen meine Töchter. "Der lebt ja."
"Ihr habt Euch ja einen Hummer gewünscht", sagte ich. "Hier ist Hansi. Und bis wir ihn essen, bleibt er unser Gast."
"Gib ihn auf den Balkon", sagte meine Frau. "Ich will keinen lebenden Hummer in meiner Wohnung haben."
"Du bist hysterisch", sagte ich und setzte den Hummer in den Plastikweidling.
"Ich wollte keinen Hummer, ich habe ohnedies zu hohe Cholesterinwerte", sagte meine Frau. "Nur du wollest einen – und die."
"Wir wollen ihn allerdings nicht lebend sehen", sagten die. Gemeint waren meine beiden Töchter.
"Aber essen wollt ihr ihn?"
"Gerne", sagten die. "Aber wenn Du ihn ins kochende Wasser wirfst, dann gehen wir vorher hinaus."

Ich suchte nach einem alten Fetzen, um Hansi die von Herrn Gruber eingeforderte Feuchtigkeit zu gewährleisten. Da ich keinen geeigneten Fetzen fand, nahm ich eines meiner alten blauen Hemden, das einen irreversiblen Fettfleck und ein ausgerissenes Knopfloch aufwies, und dessen Gebrauch außer Haus mir meine Frau daher streng untersagt hatte.

Behutsam feuchtete ich das Hemd an und bereitete Hansi in seinem Plastikweidling ein weiches, nasses Kissen. "Hier kann er sich wieder wie am Grund des Ärmelkanals fühlen", sagte ich, und Hansi klimperte dankbar mit seinen Fühlern, während ich ihn in sein Exil auf dem Balkon schob.
"Ist es nicht ein bisschen kalt da draußen", sagte meine kleine Tochter.
"Es hat 10 Grad Celsius", widersprach meine Frau. Wärmer ist die bretonische See um diese Zeit auch nicht."
Das überzeugte.

Hansi schien sich auf seinem blauen Bettchen durchaus wohlzufühlen, vielleicht erinnerte ihn die Farbe meines Hemds ja auch an das azurblaue Meer, aus der er kam. Ich sah alle halben Stunden nach ihm. Er zwinkerte mir jedes Mal mit seinen hellwachen weißen Äuglein zu, die weit aus dem Panzer hervortraten. Und, als wollte er mir beweisen, wie wohl er sich fühlte, wippte er auch jedesmal mit seinen Fühlern oder einem seiner Beinchen, "Hansi geht es gut", berichtete ich, sobald ich vom Balkon herein kam.

"Du solltest den Hummer nicht so personalisieren", sagte meine Frau. "Du weißt doch, wie zartfühlend unsere Töchter sind."
"Die Töchter haben sich den Hummer ausdrücklich gewünscht", widersprach ich.
"Aber sie wollten einen toten Hummer, keinen lebenden."

Ich überlegte kurz, ob ich nicht vielleicht doch lieber den toten Kanadier hätte nehmen sollten, und nicht den lebenden Bretonen. Aber da regte sich mein feinschmeckerisches Ehrgefühl. Jeder, der sich ein bisschen auskennt, der weiß, dass das Beste vom Besten nun einmal ein lebender Bretone ist, zumindest, was Hummer betrifft.

Der Tag verging, und die Töchter nutzten die ausklingenden Weohnachtsferien für ein paar Dates.
"Können wir Hansi morgen essen?" beschieden sie uns per Handy. Wir haben heute was vor."
"Kein Problem", erwiderte ich. "Hansi fühlt sich wohl am Balkon."

Meine Frau und ich freuten uns über das unerwartete Domicile conjugale und machten uns einen Bio-Leberkäse heiß.
Draußen begann es zu schneien, und der Himmel sah aus, als hätte sich das Nordlicht zweitausend Kilometer nach Süden verirrt.
"Was sagst du zu diesem Temperatursturz?" rief meine Frau aus, als ich tags darauf so gegen zehn erwachte.
"Welchen Temperatursturz?" fragte ich verschlafen.
"Wir haben Minusgrade", sagte meine Frau in aller ihr eigenen Unschuld.

"Hansi", schoss es mir ein. "Hansi ist noch am Balkon."
In höchster Eile und mit klopfendem Herzen lief ich durchs Schlafzimmer auf den Balkon und sah Hansi, der sich mit allem, was ihm noch von seinen verklebten Klauen verblieben war, in mein feuchtes blaues Hemd verbissen hatte, das nunmehr bereits geeist wie ein Sorbet war.
Hansi war kalt. Eiskalt wie ein Grönlandhummer.

Ich hob ihn, noch im Pyjama, an seinem Panzer aus seinem blauen Bettchen und hoffte, dass er zumindest das eine oder andere Füßchen oder Greifärmchen bewegen würde. Doch Hansi blieb starr wie ein Hummer aus der Tiefkühltruhe.
"Warum schaust du denn so traurig drein?" fragte mich meine jüngere Tochter, die mittlerweile auch schon aufgestanden war.
"Ich habe Hansi erfrieren lassen", sagte ich schuldbewusst. "Und nun arbeite ich daran, dass er es möglichst bald wieder schön warm hat. Wir müssen Hansi schon heute mittag essen."

„Hummer zu Mittag, fein", sagte meine größere Tochter, die auch gerade aus dem Badezimmer kam und sich die Augen rieb.

Schon kurze Zeit später begann das Wasser zu blubbern, und ich schubste Hansi gnädig in die Fluten — was er mir dadurch dankte, dass sich sein wunderschöner stahlblauer Panzer in Sekundenschnelle in ein purpurnes, leuchtendes Rot umfärbte.
"Du musst dir keine Sorgen machen", sagte meine Tochter, als sie mein immer noch gramzerfurchtes Gesicht sah. "Wir haben in Biologie gelernt, dass Erfrieren ein wunderschöner Tod ist. Ich jedenfalls würde viel lieber erfrieren als lebendig in kochendes Wasser geworfen zu werden." Mein Gemüt heiterte sich allmählich wieder auf. Und ich dachte daran, wie Hansi in dem Bewusstsein, auf meinem blauen Hemd sturmumtost auf einer bretonischen Felsenzunge zu liegen, in den Hummerhimmel einging.

Ich wusste, dass ich ihm nunmehr nur noch eines schuldig war: nämlich ihn nach allen Regeln der Kunst so perfekt wie möglich zuzubereiten. Und er hat auch ganz hervorragend geschmeckt.
Zumindest fanden das meine beiden Töchter, die sich zu Jahresbeginn immerhin ausdrücklich einen Hummer gewünscht hatten.

Christoph Wagner

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