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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 3

18.06.07 @ 07:08

Die Einrichtung der finsteren, kleinen Konoba unterstrich einmal mehr die alte epikureische Weisheit, dass wahres Glück keineswegs im Luxus, sondern vielmehr in der Beschränkung zu finden sei. Daher beschränkte sich das Innenleben des Lokals auch auf ein halbes Dutzend schmuckloser ungedeckter Holztische, zwei ohne unnötige Hast rotierende Deckenventilatoren sowie einen kastanienbraunen Tresen, auf dem neben etlichen Weinflaschen und dicken Pressgläsern eine chromblitzende Macchinetta stand. Sie erfüllte den Raum nicht nur mit dem Duft frisch geriebenen Kaffees, sondern brachte sogar einen Hauch von gastronomischem Glanz in den langgezogenen Gewölbeschlauch.

Das Lokal war spätvormittäglich schütter besetzt. Es war noch zu früh fürs Mittagessen, und die wenigen Gäste begnügten sich mit Espresso, Campari oder einem Gläschen Weißwein. Ein älterer Mann mit Schnapsnase und einem passenden lila Schirmkäppchen, das die Aufschrift „Il Tubo Storto“ trug, vertiefte sich in ein Würfelspiel. Sein Kontrahent war ein alter, rotgesichtiger Seebär in buschgrünem Hemd und mit einer leuchtfarbenen Matrosenmütze, die wie ein umgestülptes Stanitzel aussah. Die beiden würfelten zwar nur um ein paar Münzen, ihre Gesichter waren jedoch von einer mit soviel Spannung aufgeladenen Bewegungslosigkeit, als spielten sie um Leben und Tod.

Weiter hinten im Raum versteckte ein dritter, für das Ambiente eher untypisch gut gekleideter Gast sein Antlitz hinter einer großflächigen Sportzeitung und lugte, als ich eintrat, misstrauisch über den Blattrand.

Ich nahm auf einem der mit Bast bespannten Holzhocker Platz und sah, wie hinter der Macchinetta ein Mann auftauchte, dessen gewaltiges, von schütteren, grauen Haarbüscheln gesäumtes Haupt auf einem Rumpf saß, der fast noch breiter als die Kaffeemaschine war.
„Einen Ristretto“, sagte ich.

„Zum ersten Mal in Balaor?“, erwiderte der Koloss und kratzte sich hinter seinem Ohr.
„Ja, aber dafür vielleicht für länger.“
„Schön für Sie. Balaor ist eine schöne Stadt.“

Als er aufgehört hatte sich zu kratzen, kam hinter seiner bis an die Fingeransätze behaarten Hand ein goldener Ohrreif zum Vorschein, in dessen Mitte ein meerblauer Topas glänzte. Unwillkürlich kratzte auch ich mich an meinem Ohrenläppchen, doch mein bescheidener Indianerohrring verblasste gegen den Ohrbehang meines Gegenübers, der aus einem Piratenschatz hätte stammen können, wie billiger Glasschmuck.

Der Koloss wandte sich um und machte sich hinter der Macchinetta zu schaffen, die er in Windeseile in eine aus allen Öffnungen fauchende Höllenmaschine verwandelte, die nach minutenlangen Blähungen und Krämpfen tatsächlich ein Tässchen Mocca kreißte.
„Sie haben Glück oder Spürsinn oder beides, junger Mann. Sie sind auf Anhieb in die beste Kneipe der Stadt gefallen“, wandte sich der Würfelspieler mit dem leuchtenden Stanitzel an mich, während der Koloss mit dem Goldstück im Ohr meinen Kaffee servierte.
„Schön, wenn man als Wirt so zufriedene Stammkunden hat“, sagte ich und nahm einen Schluck.
„Boldo ist nicht der Wirt“, widersprach mir Il Tubo aufs heftigste. „Die Kneipe gehört Gilda, seiner Tochter. Sag ihm, wer du bist, Boldo.“
Der Koloss pflanzte sich vor mir auf und dehnte Mund und Backenknochen zu einem wohlwollenden, sonnigen Lachen.
„Ich bin Arcimboldo Scaramuzza, Urenkel von Sebastiano Scaramuzza, dem großen Revolutionär, Dichter und Patrioten von Balaor.“
„Sei nicht so bescheiden, Boldo. Er hat das Talent von seinem Urgroßvater geerbt“, warf Tubos Würfelpartner ein. „Boldo ist unser größter Poet hier auf der Insel. Er kann schneller reimen als sich der Wind dreht.“
„Wenn Sie ihn schön darum bitten“, schalmeite Il Tubo, „dann gibt Boldo Ihnen vielleicht sogar eine kleine Kostprobe.“

Mir war weder nach Bitten noch nach Reimen zumute, und so brachte ich mich fürs Erste um den Kunstgenuss. Dafür erschien Gilda, die anmutige Erscheinung aus den Küchennebeln, die mich hierhergeführt hatten, und stellte auf jeden der drei besetzten Tische einen Teller voll gebackener Ährenfische und auf einem Extratellerchen jede Menge Limonenscheiben dazu.
Gilda war schwarz gelockt, eher mager und, was ihr Erscheinungsbild betraf, so ziemlich das exakte Gegenteil ihres Vaters. Sie war keine wirkliche Schönheit, strahlte jedoch in Gesicht und Gestik jene subtile Erotik aus, die vielerlei anzudeuten vermochte, aber nur wenig davon verriet.

„Vom Haus“, sagte Gilda kurz angebunden. Ich fand, dass ihr Name nicht zu ihrem Timbre passte. Gilda, das klang nach Koloratur und großer Oper, aber ihre Stimme hörte sich eher nach Nachtclub und einsamem Herzen an.

Gilda ging mit energischen Schritten wieder in ihre Küche zurück. Ich überlegte inzwischen, ob mein Espresso wirklich die ideale Begleitung zu Ährenfischen war. Scaramuzza schien meine Gedanken erraten zu haben und stellte mir einen gut gefüllten Tonkrug auf den Tisch.
„Malvasia“, sagte er und ließ die zahlreichen Lachfältchen zwischen seiner gar nicht so unelegant geschwungenen Augenpartie und dem leichten Kropfansatz vibrieren, dass es nur so eine Freude war. „Passt besser zum Fisch als Kaffee.“

Ich nahm hastig den letzten Schluck von meinem Ristretto, spülte den herben Geschmack mit etwas Malvasia hinunter und sah mich fragend nach einem Besteck um.

Il Tubo, der mich dabei beobachtete, schüttelte den Kopf.
„Kein Besteck“, sagte er mit Nachdruck und schnappte nach einem Fischlein von seinem Teller und führte es zwischen Daumen und Zeigefinger an seine Lippen, bevor er es, vom Kopf bis zur Schwanzflosse, lustvoll flutschend verschwinden ließ.
„Jetzt Sie“, ermunterte er mich.
„Den Kopf auch?“, fragte ich zögerlich.
„Runter damit. Ist ja genügend Malvasia zum Nachspülen da.“
Ich fasste mir ein Herz, schob das Fischlein halb in den Mund und biss es in der Mitte durch.
„Jetzt, wo du den Kopf geschafft hast, wirst du den Schwanz auch noch schlucken“, grölte der Buschgrüne mit dem Leuchtstanitzel.

Die kleinen Geschosse waren tatsächlich so kross, dass sie eher nach Salzgebäck als nach Fisch schmeckten und ordentlich durstig machten.

„Früher hab' ich davon ganze Netze voll gefangen“, bemerkte Scaramuzza nicht ohne Stolz. „Aber seit die Genossenschaft die Lizenzen reduziert hat und ich mit meinem alten Kahn nur noch Inselrundfahrten machen darf, bleibt mir nichts anderes übrig, als den Nachschub in der Pescheria am Fischereihafen zu besorgen.“

„Hast du eigentlich schon gehört, dass es Lukobran erwischt hat? Heute vormittag vor der Präfektur.“ Il Tubo, der merkte, dass er Scaramuzza damit offenbar eine Neuigkeit überbrachte, wiegte mit wichtiger Miene seinen dunkelvioletten Zinken auf und ab.
„Den Commendatore? … Was heißt das, erwischt?“

„Ist dem Erzengel Michael in die Arme gelaufen, der feine Herr. Und der hat ihm gleich einen Platz in der Hölle reserviert.“
„Du meinst, er ist – tot?“
„Tu nicht so, als ob du gerührt wärst, Boldo. Er hat uns alle oft genug ins Ausgefischte geschickt.“

„Was soll der Fremde von euch und von Balaor denken, wenn ihr so über einen Toten redet?“ Gilda hatte sich, ohne dass es jemandem aufgefallen war, wieder aus der Küche zurückgemeldet. „Was machen Sie auf unserer Insel,“ wandte sie sich dann, um eine Spur freundlicher, an mich, „Urlaub?“
„Nein, keineswegs“, erwiderte ich. „Ich habe mich für die Position eines archäologischen Leiters des Lapidariums von Balaor beworben.“

„Das Lapidarium von Balaor“, wiederholte Gilda, und ihre rauchige Stimme bekam etwas unangenehm Schnarrendes. „Sie meinen doch nicht etwa den Steinhaufen hinter meiner Küche? Der braucht keinen Leiter, sondern allenfalls einen Leiterwagen, um den ganzen Krempel abzutransportieren. Dann könnten wir endlich hinter unserem Lokal einen kleinen Garten eröffnen. Angesucht habe ich weiß Gott oft genug, doch die Präfektur hat jedesmal abgelehnt. Und was wollen Sie jetzt daraus machen – ein Freilichtmuseum?“
„Jedenfalls ist von der Präfektur der Posten eines Direktors ausgeschrieben worden“, erwiderte ich, während ich mir unter ständiger Beobachtung von Tubo und seinem Genossen folgsam ein Ährenfischchen nach dem anderen in den Mund schob. Ich begann allmählich Gefallen an den knusprigen kleinen Torpedos zu finden, und der leicht prickelnde Malvasia trank sich dazu wie Champagner.

Gilda beobachtete mich mit abwartender Neugierde, zumindest ließ sie mich keine Sekunde lang aus den Augen. Fand sie mich etwa interessant, oder erhoffte sie durch mich etwas über die Pläne der Präfektur herauszubekommen?
„Ich bin zufällig auf das Angebot gestoßen,“ sagte ich, „als ich mich um den Posten des Direktors der Ausgrabungen von Aquileia beworben habe, der damals noch – vakant war.“
„Wäre wohl etwas ruhmreicher gewesen als das Lapidarium von Balaor“, erwiderte Gilda. „Schade, dass man Sie nicht genommen hat.“
„Du musst den Herrn mit deiner Pasta d'Angelo trösten. Die ist besser als jeder noch so gute Museumsjob“, mischte sich Scaramuzza in unser Gespräch ein und fügte sachkundig hinzu: „Meine Tochter behandelt die Pasta, als ob sie ein Risotto wäre.“
„Nudeln wie einen Risotto? – Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Ach, er versteht was vom Kochen, der Professore?“, fragte Scaramuzza erfreut.
„Kein Professore“, widersprach ich ihm, „nur Dottore, oder schlicht Doktor.“

Fortsetzung folgt

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