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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 6

30.06.07 @ 08:01

„Sie wollten sagen, dass Sie nicht nur bei Gilda gespeist haben, Dottore Carozzi, sondern sich auch schon etwas intensiver mit unserem Lapidarium befasst haben?“
„Ich habe die einschlägige Fachliteratur studiert, ja. Wissenschaftlich gesehen wäre die Leitung einer solchen Sammlung zweifellos eine große Herausforderung.“
„Ja, ja, wissenschaftlich gesehen“, äffte mich Nonno nach, und das verhieß wenig Gutes. „Unwissenschaftlich betrachtet ist das Lapidarium nämlich ein touristisch brachliegender und ökonomisch völlig ungenützter öffentlicher Raum, und wenn wir nicht einen so engagierten Kulturdezernenten hätten, ...“
Macorig lehnte sich selbstzufrieden in seinem Sessel zurück.

„... so würde ich die Steine am liebsten ans British Museum verkaufen, das sich übrigens schon interessiert gezeigt hat, da das Lapidarium im 18. Jahrhundert von einem der ihren eingerichtet wurde.“
„Sie meinen Sir Joseph Bingham“, erwiderte ich, um zu beweisen, dass ich mich tatsächlich vorbereitet hatte.
„Mag sein, dass er so geheißen hat“, erwiderte Nonno eher uninteressiert.
„Aber so weit, dass wir verkaufen wollen, sind wir ja noch nicht“, mischte sich Macorig ins Gespräch ein. „Sonst hätten wir ja wohl keinen Posten für einen Museumsdirektor mit archäologischer Ausbildung ausgeschrieben. Was fällt Ihnen denn spontan so zu unserem Lapidarium ein, Dottore?“

„Es ist ein schöner Platz“, sagte ich. „Und es wäre wirklich schade, wenn Sie die Steindenkmäler verkaufen würden.“
„Wir wollen die Steine ja auch gar nicht verkaufen“, insistierte Macorig. „Wir möchten allerdings, dass Sie sie für uns verkaufen.“

Kaum hatte ich begonnen, mich für Balaor zu erwärmen, sah ich meine Chancen, hier zumindest einen schönen Sommer zu verbringen, auch schon wieder dahinschwinden.
„Wie darf ich das verstehen?“, fragte ich und konnte meine Enttäuschung nicht verhehlen. „Ich bin Archäologe, kein Kunsthändler.“
„Sie haben mich missverstanden“, erwiderte Macorig und schien sich diebisch darüber zu freuen, dass es ihm gelungen war, mich aufs Eis zu führen. „Wie ich Ihren Bewerbungsunterlagen entnehme, haben Sie sich in Mexiko, Ephesos und diesem, wie Sie schreiben, niederösterreichischen Weiler namens ...?“
„Schattenbach. Aber das war mehr ein Sidestep ins Volkskundliche ...“
„Gleichwie. Sie haben uns versichert, dass Sie sich dort mit Museumsmarketing vertraut gemacht haben. Und genau das erwarten wir von Ihnen. Sie sollen mit dem Lapidarium Gewinne erwirtschaften.“
„Sie meinen, ich soll Eintrittskarten verkaufen?“
Macorigs schmale Lippen verzogen sich beidseitig nach unten.
„Das auch, aber damit wird es wohl nicht getan sein.“
„Was Dario meint“, sprang ihm der Präfekt bei, „ist, dass Sie das Lapidarium als eigenständiges Profit-Center führen sollen. Das mindeste, was es kurzfristig einspielen muss, ist Ihr Gehalt. Und da dieses vernünftigerweise ja nicht allzu hoch sein wird, sollte das auch möglich sein. Mittelfristig müsste das Lapidarium dem Museumserhalter jedoch auch Gewinne bringen, da sonst ...“
„Ich weiß, das British Museum ...“
„Es muss nicht das British Museum sein. Japanische Museen würden vielleicht noch mehr für unsere epigraphisch so bedeutungsvolle Sammlung zahlen. Also reden Sie schon, Dottore, was fällt Ihnen dazu ein, außer dass Sie den ganzen Tag an der Kasse sitzen und Eintritt verlangen wollen?“

Die Vorstellung, als Kassier engagiert zu werden, erfreute mein Archäologenherz nicht gerade, dafür ging mir Nonnos überhebliche Art so langsam wirklich auf die Nerven.
„Man könnte alljährlich ein archäologisches Symposium abhalten“, erwiderte ich dennoch artig und schluckte meinen Ärger hinunter. „Das brächte neue Gäste nach Balaor.“
„Und würde noch mehr Geld kosten, nein, nein“, widersprach der Präfekt kopfschüttelnd, für den der Verkauf der Steine, wie mir schien, schon beschlossene Sache war. „Denken Sie allein an die Honorare und Reisekosten für die Referenten.“
„Man könnte auch spezielle Führungen für junge Leute anbieten“, spann ich weiter vor mich hin.
„... die dann nur den halben Preis zahlen, massenhaft Sandwiches vertilgen und mit ihren hässlichen Rucksäcken unser Straßenbild stören, oder was meinten Sie damit?“
Nein, ein konstruktiver Vorgesetzter war Damir Nonno nicht.
„Ich meine, die alten Römer haben es doch wirklich toll getrieben“, setzte der Präfekt nach. „Da muss einem Fachmann wie Ihnen doch irgendetwas dazu einfallen.“
„Ich kann auch Swinger-Clubbings zwischen antiken Grabsteinen anbieten, oder altrömische Orgien“, erwiderte ich, mittlerweile schon ziemlich gereizt.
„So weit wollen wir nun wieder nicht gehen“, beschwichtigte Macorig.
„Obwohl – das mit den Orgien, das hätte schon was“, merkte Nonno zufrieden an und grinste nach längerer Zeit wieder einmal.

Ich starrte hinaus aufs Meer und sah, dass sich auf der Balustrade gerade eine Felsentaube niedergelassen hatte, die mit einer der vorbeifliegenden Möwen um die Wette gurrte. Ich durchpflügte unterdessen den Irrgarten unter meiner Schädeldecke nach einer rettenden Idee, bis ich erkannte, dass diese unmittelbar vor mir saß.

Apicius, so hieß das Zauberwort. Felsentaube nach Apicius-Art. Ich hatte sie einmal in der Taverne des archäologischen Parks von Xanten gegessen, wo man sie nach dem antiken Originalrezept in einer Sauce aus Pfeffer, Liebstöckel, Selleriesamen, Minze, Myrtenbeeren, Honig, Wein, Essig, Fischpaste und Öl zubereitet hatte. Sie hatte damals zwar ein wenig eigenartig, aber letztlich gar nicht so übel geschmeckt.

Die Taube breitete ihre Flügel aus und setzte von der Balustrade der Loggia aus zum Sinkflug über die Dächer von Balaor auf die Meeresküste an. Für mich hatte sie ihren Dienst, zumindest fürs Erste, getan.

„Wir könnten im Lapidarium, ein- oder mehrmals in der Woche, Apicius-Menüs anbieten“, schlug ich vor.
„Apicius-Menüs?“ Mir war nicht ganz klar, ob die Reaktion des Präfekten Ratlosigkeit oder Begeisterung signalisierte.
„Apicius ist der Autor der ältesten Rezeptsammlung der Welt“, erklärte ich. „Er lebte zur Zeit des Kaisers Tiberius und hat ein paar hundert Kochrezepte hinterlassen, von denen sich die meisten auch heute noch relativ leicht nachkochen lassen.“
„Ich weiß, wer Apicius ist“, sagte Nonno leicht gekränkt. „Aber wie wollen Sie das machen? Im Lapidarium gibt es weit und breit keine Küche.“
„Doch, gibt es. Man bräuchte bloß das vernagelte Fenster zu öffnen, das direkt in die Konoba Fortuna führt. Das könnte Gilda Scaramuzza als Durchreiche verwenden und von ihrer Küche aus die Apicius-Menüs catern. Man müsste bloß mit ihr reden. Kochen kann sie jedenfalls.“
„Und wie“, fügte Dario Macorig begeistert hinzu.
„Der Rest sind ein paar weiße Leintücher und Holzpritschen, die wir ohne großen Aufwand in Triklinien umbauen können. Und die Zisterne unter dem Olivenbaum eignet sich perfekt als Weinkühlschrank.“
„Wenn das tatsächlich realistisch sein sollte, dann sind Sie engagiert, Doktor Carozzi“, sagte der Präfekt feierlich. „Ich würde meinen, wir beginnen vorerst einmal mit einer Probezeit von, sagen wir, drei Monaten?“

Ich willigte, obwohl ich das Wort Probezeit aufgrund früherer böser Erfahrungen gar nicht gerne höre, in seinen Vorschlag ein und versprach, mich mit den Scaramuzzas ins Einvernehmen zu setzen.
„Sie sollten möglichst bald auch Professor Belli kennenlernen“, sagte Macorig. „Ich denke, Ihre Idee wird ihm gefallen, und vielleicht kann er etwas dazu beitragen, dass Sie sich Ihr Geld bei uns auch wirklich verdienen.“

„Wer ist Professor Belli?“
„Professore Bartolomeo Belli? – Er ist eine international anerkannte Kapazität auf dem Gebiet des Event-Marketings. Zurzeit lebt er drüben auf der Katharineninsel und erarbeitet ein völlig neues Tourismuskonzept für unsere Inselregion. Macorig wird für Sie sicherlich einen Termin mit ihm vereinbaren, nicht wahr, Dario?“
Macorig nickte.
„Apropos“, fügte Nonno hinzu. „Wo wohnen Sie eigentlich hier in Balaor?“
„Die heutige Nacht habe ich im Hotel Cefalo verbracht. Aber das werde ich mir von dem Gehalt, das Sie mir gerade in Aussicht gestellt haben, wohl nicht lange leisten können.“
Damir Nonno lächelte mitleidig und wandte sich dann an seinen Dezernenten.
„Wir könnten ihn fürs Erste im Castelletto unterbringen. Das ist zwar nicht sehr luxuriös und gehört eigentlich zum alten Ospizio. Aber es steht leer und hat einen herrlichen Blick aufs Meer, fast noch schöner als dieser hier von der Loggia. Dario wird Sie bei Tusnelda Scacci avisieren.“
Macorig nickte abermals.

Nonno wünschte mir viel Erfolg für meine neue Aufgabe und entließ mich. Macorig begleitete mich aus der Bibliothek und bat mich, unten am Portal auf ihn zu warten. Er müsse, sagte er, nur noch ein paar Anrufe erledigen und könne mich dann persönlich hinüber zum Castelletto führen.

Als ich unten bei den beiden grinsenden Tritonen angelangt war, sah ich, dass die Blutflecken auf der Treppe mittlerweile verschwunden waren, der Engel, der sie verursacht hatte, jedoch hinter einer rot-weißen Absperrung immer noch alle Viere, und wenn man die beiden Flügel dazuzählte, sogar alle Sechse von sich streckte. Ich beneidete die Kollegen nicht, die den zerborstenen Himmelsboten mitsamt seinem voluminösen Flugapparat und dem zersplitterten Flammenschwert wieder zusammenflicken mussten. Kaum zu glauben, dachte ich, dass dieser Erzengel, dessen Namen immerhin „Wer ist wie Gott?“ bedeutet, dereinst Satan besiegt haben sollte, so hilflos, wie er da auf dem Pflaster lag.

Während der Engel von einem Gendarmen in Gardeuniform, der vor der Präfektur Wache schob, observiert wurde, schien sich um den Sockel, auf dem der Himmelsbote heute Morgen noch gestanden war, kein Mensch zu kümmern. Nachdem es vor dem alten Bischofspalast sonst keine Sitzgelegenheit gab, benutzte ich während des Wartens auf Macorig das Steinfundament zum Anlehnen, was mir zwar einen kritischen Carabinieriblick, ansonsten aber keinen Ärger eintrug.

Macorig brauchte eine Weile und ich begann, schon ein wenig nervös, rund um den Steinquader zu zappeln, stützte mich einmal darauf, drehte mich dann in die andere Richtung, und sah plötzlich, dass die Hand, mit der ich mich aufgestützt hatte, schwarze Flecken hatte. Sollte der Erzengel, solange er noch in Amt und Würden war, etwa Schmieröl abgesondert haben?

Nein, das war kein Öl, das war auch nicht Staub, sondern es war Asche, die ich da auf der Hand hatte, fast so, als hätte gerade jemand eine seiner Toscani auf dem Sockel ausgedämpft. Als ich den Stein daraufhin noch ein wenig genauer untersuchte, fiel mir auf, dass, kaum merklich, ein kleines, gerade nussgroßes Eckstück abgebrochen war. Ich ging um den Sockel herum und erblickte in einem halben Meter Entfernung davon tatsächlich das fehlende Steinbröckchen. Ich überlegte kurz, ob ich es liegen lassen sollte, wo es war. Doch dann bückte ich mich schnell, hob es auf und ließ es in meine Tasche zu den Pfefferminzbonbons gleiten. Dann klatschte ich ein paar Mal in die Hände, um den schwarzen Staub abzuschütteln.

„Applaudieren Sie sich jetzt selbst, dass Sie den Job bekommen haben?“, fragte Macorig, der im selben Augenblick zwischen den beiden Tritonen hervortrat.
„Ich gehe davon aus, dass auch Sie mir früher oder später applaudieren werden“, erwiderte ich frech. „Spätestens dann, wenn die Apicius-Abende im Lapidarium ein Erfolg geworden sind.“

Macorig schien an meiner Antwort nicht wirklich interessiert zu sein.
„Sie hätten das Pfefferminzbonbon schon früher lutschen sollen. Der Geruchssinn des Präfekten ist in ganz Balaor bekannt, und Boldos Peperoncini-Grappa ist leider ein ziemlich verräterischer Stoff. Professor Belli erwartet Sie übrigens morgen auf der Katharineninsel. Sie können das Frühschiff nehmen. Er wird Sie an der Anlegestelle erwarten. Der Professore wirkt sehr interessiert an Ihren Plänen.“

„Vielleicht sollte man vorher noch mit Gilda Scaramuzza reden.“
„Sie wird mitmachen, davon können Sie ausgehen. Denn auf diese Weise kommt sie endlich zu dem kleinen Gastgarten, um den sie schon so lange angesucht hat. Damit wird man sie ködern können.“

Ich überlegte kurz, ob ich ihm die Geschichte von der Asche und dem abgebröckelten Stein erzählen sollte, wollte mich aber nicht unnötig wichtigmachen.
„Ich habe Sie auch bei Tusnelda Scacci angemeldet“, fuhr Macorig fort. „Sie lässt Ihre Suite im Castelletto gerade saubermachen.“
„Meine Suite?“
„Lassen Sie sich überraschen. Ich werde Sie hinüberbegleiten. Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß, und das Castelletto liegt auch nicht allzu weit vom Hotel Cefalo entfernt.“

Fortsetzung folgt

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