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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 7

2. Kapitel - Boreto

04.07.07 @ 07:37

Die Übersiedlung vom Hotel Cefalo in die Via Brunbuli bewies mir einmal mehr, wie klug es gewesen war, meinen alten Lada, den ich noch als Student erworben hatte, nach meiner Rückkehr von Mexiko nach Europa nicht gegen ein neueres Auto einzutauschen. Er passte in die engen Gassenschluchten von Balaor, in denen sonst nur mit Motorrollern und Fahrrädern an ein Weiterkommen zu denken war, wie ein Finger in einen Gummihandschuh. Ich musste dem alten Lenin, der die Umrisse des Prototyps angeblich selbst entworfen hat, einmal mehr recht geben, wenn er meinte, dass alles, was ein Auto außer einem Chassis, einem Motor und vier Reifen habe, überflüssiger Luxus sei.

Eines solchen entbehrte auch die „Suite“, die mir Macorig im Castelletto in der Via Brunbuli zugewiesen hatte, auf jede nur denkbare Weise. Daran änderte auch nichts, dass, wie mir Tusnelda Scacci bei der Schlüsselübergabe versicherte, kein Geringerer als der große Gabriele D'Annunzio hier dereinst einen Sommer verbracht hatte, um etliche Kapitel seiner „Laudi“ zu schreiben. Der Mann mochte für seine Liebe zur Prunkentfaltung ja ebenso berühmt gewesen sein wie für seine schwülen Metaphern. Geblieben waren aus seiner gloriosen Epoche lediglich eine vorhanglose Brause und ein Sparherd, der allerdings erfreulich benutzbar wirkte und von einem Kasten flankiert war, in dem sich ein paar Kochutensilien befanden. Im Übrigen waren die ehemaligen Gemächer fast völlig ausgeräumt. Der Verputz splitterte von den meerfeuchten Wänden. Das spärliche Mobiliar – ein Spind, ein Eisenbett, ein kleiner Tisch und ein paar Stühle – roch nach Lysoform und war offenbar kurz vor meinem Eintreffen aus dem benachbarten Hospiz herübergeschafft worden.

Andererseits hatte D'Annunzio die Orte, an denen er schrieb, durchaus mit Bedacht ausgewählt. Prächtiger als hier, in einer Seitengasse abseits der Strandpromenade von Balaor, hätte der einstöckige Naturziegelbau gar nicht gelegen sein können. Mit seinem zinnengekrönten kleinen Türmchen, den von Amphoren gesäumten Balustraden und den gemauerten Rundbogenfenstern sah das Castelletto wie die Miniaturausgabe eines schottischen Geisterschlosses aus. Die Umgebung war indessen ganz und gar nicht schaurig, sondern von vollendetem Liebreiz. Mein Schlösschen schoss aus einem üppig wuchernden kleinen Park heraus und war von einem Meer aus Oleander- und Bougainvillea-Blüten umgeben, in das die kleine Terrasse, die ich von meinem Schlafzimmer aus betreten konnte, wie eine Halbinsel hineinragte. Da sich das rosarote Blütenmeer von der Terrasse aus direkt über die Strandpromenade wölbte, mündete es aus meinem Blickwinkel scheinbar übergangslos in den blauen Mediterran, dessen gemächliche, aber beständige Brandung die Geräusche, die vom Uferkorso her durchs Gebüsch drangen, auf angenehme Weise dämpfte.
Ich trug einen der herumstehenden Klappsessel durch die Jalousientür auf die Balustrade hinaus und setzte mich so hin, dass ich sowohl den Blick auf das Türmchen als auch jenen aufs Meer genießen konnte.

Nonno hatte nicht übertrieben.

Über der Terrassentür fiel mir ein aus der Spätantike stammendes Mosaik ins Auge, das wie ein Medaillon ins Mauerwerk eingelassen war und einen Hahn im Kampf gegen eine Schildkröte zeigte. Mehr als die Architektur des Schlösschens zog mich zu dieser Stunde jedoch jene des Himmelgewölbes in ihren Bann. Neptun, der Gott des Meeres, schien nämlich gerade einen Heidenappetit auf Hespera, die Nymphe der Abendröte, zu bekommen.
Ich dachte an Lukobran, den Fischereidirektor, und daran, wie seltsam kühl und unbeteiligt mich sein Tod gelassen hatte. Sollte mich mein erlernter Umgang mit den Priestern der Mayas und Azteken, die während der Weihezeremonien ihren Opfern die Herzen aus dem lebendigen Leibe rissen, gegen blutüberströmte Leichen immunisiert haben? Oder war ich auf dem besten Wege, ein ganz normaler Karrierist wie so viele andere zu werden, der sich in seinem persönlichen Fortkommen vom Leid, das über andere kam, nur unangenehm berührt fühlte?

Über andere kam, wiederholte ich in Gedanken. Fragte sich bloß, von wem oder was es ausging. Wer hatte denn den Bronzeengel in Marsch gesetzt? Gott, das Karma oder vielleicht doch jemand aus Fleisch und Blut, der Schicksal gespielt hatte, indem er St. Michael als Cruise-Missile missbrauchte?

Neptun wollte gerade endgültig nach Hespera schnappen, um sich ihren makellosen, runden Schädel wie eine Blutorange in den Schlund zu schieben, als ich aus meiner Wohnung Schritte hörte.

Es war Tusnelda Scacci, die mit einer großen sandfarbenen Kühltasche, wie man sie gerne für Strandpicknicks benützt, auf die Terrasse trat.

„Sie werden sehen. Man kann es sich hier ganz gemütlich machen“, sagte sie mit einem skeptischen Blick auf das abbröckelnde Mauerwerk und öffnete den Reißverschluss der Tasche, die zu meiner Freude allerlei Nützliches wie Eier, Butter, Toast, Prosciutto und eine Flasche Weißwein enthielt. „Leider wurden die Gobelins in diesem Zimmer schon vor Jahren verkauft, damals, als wir das Ospizio von Grund auf renoviert haben. Aber ich werde Dusan, unseren Haustechniker, anweisen, Ihre beiden Zimmer und die Küche in der nächsten Woche wenigstens neu auszumalen.“

So wie Signora Scacci gekleidet war, glich sie weniger der Direktorin eines Pflegeheims als vielmehr der Managerin eines Luxushotels. Sie trug ein Kostüm aus blassgrauer Naturseide und dazu einen Schal aus karminrotem Chiffon. Sie mochte so um die fünfzig sein, wirkte aber jünger und war dank ihrer breiten Admiralsschultern und einer hohen, strengen Stirn, die durch den darüber aufgesteckten, dunkelblonden Haarbusch noch etwas höher und strenger wirkte, eine durchaus Respekt gebietende Erscheinung.

„Signor Macorig hat mir versprochen, das Castelletto würde mich überraschen“, erwiderte ich. „Und ich muss zugeben, die Überraschung ist ihm in jeder Hinsicht gelungen. Aber Sie haben recht. Ausmalen wäre kein Fehler. Das Gemäuer bröckelt wie feuchtes Meersalz.“
Sie nickte wissend, ich bat sie, Platz zu nehmen und fragte höflich: „Darf ich Ihnen ein Glas von Ihrem Wein anbieten?“

„Nein, nein, den trinken Sie nur brav alleine“, erwiderte Tusnelda Scacci und blieb trotz meiner Aufforderung, sich zu setzen, weiter stehen, schien sich dabei aber nicht recht wohlzufühlen.

„Selbstverständlich stellt Ihnen Dusan morgen auch noch einen Kühlschrank auf“, erwiderte sie, ob der Kargheit des Raums peinlich berührt. „Es war in der kurzen Zeit im ganzen Ospizio leider keiner aufzutreiben.“

„Ich wollte mich auch gar nicht beschweren“, erwiderte ich und schob ihr den Sessel nunmehr fast schon fordernd unter die Kniekehlen.

„Nein danke, ich kann nicht bleiben“, sagte sie. „Ich werde drüben von meinen Best Agers benötigt.“
„Von wem?“

„Früher haben wir sie einfach unsere Alten genannt. Dann haben wir uns angewöhnt, von unseren Senioren zu sprechen. Aber erst unlängst hat mich einer unserer Kuratoren darauf aufmerksam gemacht, dass auch dieses Wort mittlerweile als diskriminierend empfunden wird. Also nennen wir sie jetzt eben Best Agers, wie drüben in den USA. Alt sind sie dennoch, und ein paar Verwirrte haben wir auch darunter.“ Sie lächelte. „Aber wie ich die nach den neuesten Erkenntnissen der Political Correctness richtig benennen soll, das weiß ich nun wirklich nicht.“

„Wie wär's mit Brain-Trusts?“, sagte ich aufmunternd.

Meine Antwort schien Signora Scacci zu gefallen. Sie lachte jedenfalls aus ganzem Herzen.
„Wenn Sie wollen, können Sie mich zum Abendessen ins Ospizio begleiten“, sagte sie.

Auf dem Weg dorthin trafen wir dann eine der Schwestern, die eine alte Dame im Rollstuhl vorbeiführte, deren Anblick tatsächlich bemerkenswert war.

Eine Bettdecke verdeckte alles an ihr außer dem Gesicht, das Farbe und Oberflächenstruktur der Kreidefelsen von Dover, aber zwei schwarz wie Amethyst funkelnde Fossilien in den Augenhöhlen hatte.

Fortsetzung folgt

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