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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 10

11.07.07 @ 21:32

Professor Bellis Anwesen war nicht zu verfehlen, da die Katharineninsel außer ein paar verfallenen Weltkriegsbunkern und etlichen unter ihren Tarnanzügen aus Schwarzdorngeflecht nahezu unsichtbar gewordenen Militärbaracken kaum Bausubstanz aufwies. Das alte Franziskanerkloster schien derlei Scheußlichkeiten erfolgreich an die Inselränder abgedrängt zu haben und präsentierte sich nunmehr, umgeben von einer Ziegelmauer und einem schattigen Hain aus Stecheichen, Myrtensträuchern sowie Zürgel- und Lorbeerbäumen, von seiner schönsten Seite. Auch Thujen, Erdbeerbäume und Kamelien schienen sich in diesem Garten, der sanft zu den weißen Steinklippen über einer kleinen Bucht aus roter Erde abfiel, ausgesprochen wohlzufühlen.

Ich durchquerte diesen kleinen Garten Eden und atmete den Duft der Wacholderbäume ein. Ihre Stämme neigten sich, oft mehrere Meter hoch gewachsen, allesamt nach Südwesten, in Windrichtung der kalten Bora, die vom Nordosten her auf Balaor zuwehte. Zwischen Garten und Meer schnitt ein Kormoran mit seinem scharfen, spitzen Schnabel unsichtbare Rillen in die Luft, und mir schnitt eine blonde junge Dame im Business-Kostüm den Weg ab.

Sie stellte sich als Bellis Assistentin vor und gab sich sehr schnell als Vertreterin des heute in Vorstandsetagen so verbreiteten „Wir wollen doch effizient bleiben“-Typs zu erkennen, was mich an sich nicht weiter gestört hätte. Sehr wohl irritierte mich jedoch ihre Frage: „Ist Ihnen hier nicht heiß mit Ihrem komischen Haarschweif?“

Eine Freundschaft zwischen uns beiden zeichnete sich also fürs Erste nicht ab.

„Professor Belli war ziemlich ungehalten,“ blieb sie in der vorwurfsvollen Tonlage, „dass Sie ihn heute Morgen am Pier versetzt haben. Jetzt ist er natürlich anderweitig beschäftigt.“
„Natürlich“, wiederholte ich spöttisch. „Ich habe auch nichts dagegen, wenn er mich übernatürlich empfängt. Als Archäologe lernt man, an Geister zu glauben.“
Sie schien meinen kleinen Kalauer nicht wirklich verstehen zu wollen und warf mir einen Blick zu, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob er verständnislos oder giftig war.
„Warten Sie kurz hier draußen. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Professor Belli Sie heute noch empfängt.“

Ich wartete – Strafe musste scheint's sein – ziemlich lange und fischte mir eine Visitenkarte des Professors aus einem dafür bereitstehenden Körbchen. Agenzia Mondomare stand darauf und daneben waren drei zusammengebundene Pfähle zu sehen, über denen ein winziger, dafür aber ziemlich dicker Engel schwebte. Außerdem ging aus der Karte hervor, dass Belli auch noch ein Stadtbüro mitten in Balaor unterhielt. Warum hatte er mich nicht dorthin bestellt?

Ich schmökerte noch eine Weile in den herumliegenden Architektur- und Yachtzeitschriften. Als ich schon nicht mehr damit rechnete, kam mir, spät, aber doch, direkt aus der Klosterpforte Bartolomeo Belli entgegen, der über seinen maßgeschneiderten Jeans ein fast knielanges weißes Jackett trug, das vermutlich eine teure Designerklamotte war, aber so aussah, als hätte ich ihn gerade beim Ausmalen seines Büros gestört.

„Ah Professore, come sta?“, fragte ich und war ziemlich überrascht, als er mir nicht auf Italienisch, sondern in einem deutschen Jargon antwortete, der wohl irgendwo zwischen Stuttgart und Hamburg beheimatet war.

„Mein Freund Macorig hat mir schon erzählt, dass Sie Südtiroler sind“, sagte er, weit weniger indigniert, als seine Assistentin es zuvor angedeutet hatte. „Was spricht also dagegen, dass wir beide uns in unserer Muttersprache unterhalten?“

„Wie verschlägt es jemanden wie Sie auf so eine einsame Insel?“, fragte ich neugierig. „Sie sind ja sicher nicht schiffbrüchig geworden.“
„Wie man's nimmt.“
„Woher stammen Sie?“
„Von der Mosel“, erwiderte Belli mit einer Selbstverständlichkeit, als sei er überrascht, dass man ihm das nicht ohnedies ansah. „Sie können sich also vorstellen, wie ich unter den hiesigen Inselweinen leide. Überall nur der allerbilligste Malvasia. Aber wir sind im Begriff, das zu ändern, warten Sie nur eine Weile.“
„Der Malvasia, den ich gestern in der Konoba Fortuna getrunken habe, hat mir allerdings besser geschmeckt als alles, was ich bis dato von der Mosel kenne“, erwiderte ich aufmüpfig.
Er starrte mich an, als hätte ich etwas Ungeheuerliches gesagt.
„Dann kennen Sie die Mosel nicht, lieber Freund. Die Mosel ist, was den Wein betrifft, Gottes eigenes Land. Moselweine sind Weltweine.“
„In Sauternes kenne ich mich leider nicht aus.“
„Ach ja, Südtirol“, erwiderte Belli, nun, da er mir offenbar den Banausen-Bonus zubilligte, wieder etwas milder gestimmt. „Ich gestehe offen, mit euren Gewürztraminern weiß ich nichts anfangen. Zu den großen Süßweinen dieser Welt zählen sie mit Sicherheit nicht. Wer einmal einen 1893er Château d'Yquem auf den Lippen hatte, wird seine Geschmackspapillen nie wieder mit Gewürztraminer beleidigen wollen, nicht einmal mit einem aus dem Elsass. Aber nach Sauternes, da kommt gleich die große Mosel. Sie hat nicht die platte Süße des Rheingaus, wenn Sie mich richtig verstehen, und schon gar nicht diese mostige Plumpheit der burgenländischen Beerenauslese. Das feine, ausgewogene Spiel zwischen den Komponenten süß und sauer, federleicht und gewichtig, equilibriert und nachhaltig, das finde ich fast nur bei großer Mosel. – Aber kommen Sie, setzen wir uns doch!“

Er führte mich zu einem kleinen Gartenhäuschen, das nach einer zweckentfremdeten Franziskuskapelle aussah und dessen dicke alte Mauern sich trotz der Gluthitze, die von diesem späten Vormittag Besitz ergriffen hatte, eine erfrischende Kühle abstrahlten. Belli bot mir einen Platz an einer langen Tafel an, holte aus einem Gläserschrank zwei Kristallgläser, deren Kelche sich nach oben hin verjüngten, und schenkte mir aus einer unetikettierten kleinen Flasche einen Schluck ein.

„Damit Sie wissen, wovon ich rede“, sagte er. „Über Wein zu theoretisieren bereitet zwar Vergnügen, doch hat dieses Vergnügen letztlich nur dann einen Sinn, wenn es seine Erfüllung in der Praxis findet.“
Ich trank einen Schluck und fand alle meine Vorurteile, was Moselweine betraf, auf überzeugende Weise bestätigt.
„Nun, was haben Sie da im Glas?“, fragte Belli mit funkelnden, aber ein wenig irrlichternden Augen.
„Mosel, nehme ich wohl an.“
„Sie nehmen es wohl an, aber Sie irren sich. Was Sie im Glase haben, ist Gold, pures Gold.“
„Sie werden mir zu dieser morgendlichen Stunde doch nicht Ihren Uralt-Yquem eingeschenkt haben?“
Belli schauderte.
„Wo denken Sie hin, das habe ich selbstverständlich nicht. Ich besitze zwar ein schönes, wenn auch kleines Lager davon, doch pflege ich, wie Sie vielleicht verstehen werden, damit wie ein alter Pfennigfuchser zu geizen. Nein, es ist kein Château d'Yquem. Aber in Wahrheit ist es noch besser als Yquem.“
„Sie meinen teurer?“
„Dieser Wein hat keinen Preis, noch nicht. Wo glauben Sie, ist er gekeltert worden?“
„Keine Ahnung. Hier auf der Insel wohl kaum.“
Die Pausbacken seines Kaiser-Nero-Gesichts blähten sich vor Freude.
„Nein, auf dieser Insel nicht. Aber die Richtung stimmt.“ Er stand auf und ging zum Fenster. „Sehen Sie dort drüben, keine drei Seemeilen entfernt, dieses kleine Eiland, das wie ein grüner Pudding aussieht?“
Der Vergleich war ziemlich treffend.

„Das ist die Insel Dipsodia. Sie hatte früher keinen Namen, bis ich sie so getauft habe. Es bedeutet soviel wie Insel der Durstigen. Nun, fällt der Groschen?“
„Der Wein stammt tatsächlich von dort drüben?“
„Es ist ein Falerner. Jener Wein, von dem Horaz sagte, seine Gluten ließen sich nur mit vorbeirauschendem Wasser löschen. Die Klone habe ich selbst an den Hügeln des Ager Falernus in Kampanien gepflückt, wo man heute unglückseligerweise billigen Massenwein daraus produziert. Doch dann ist es mir gelungen, Girolamo Zanin zu gewinnen, diese Rebe zu veredeln und auf Dipsodia echten, goldenen Falerner zu keltern. Der Wein der Cäsaren vom König der italienischen Önologen.“

Nachdem ich über die önologischen Königreiche Italiens wesentlich schlechter Bescheid weiß als über Mexikos Mezcal-Provinzen, sagte ich, weit weniger feierlich als er: „Da schau ich aber.“

„Signor Zanin lebt nun schon seit einigen Jahren drüben auf der Insel und unter seinen genialen Händen reift dort ein Wein heran, der das Zeug zum besten der Welt hat. Wenn Sie wollen, kann ich in den nächsten Tagen eine kleine Exkursion arrangieren. Sind Sie interessiert?“

Ich nickte beiläufig.

„Das sollten Sie auch. Der Falerner könnte nämlich ein Anknüpfungspunkt sein, der Ihre und meine Interessen auf die wohlschmeckendste Weise miteinander vereint.“
Seine Art, in Superlativen zu schwelgen, hatte etwas unangenehm Sülzendes an sich.
„Sie haben von dem Plan mit den Apicius-Menüs im Lapidarium bereits gehört?“, fragte ich umso trockener.

„Ja, Macorig hat mir davon erzählt, oder, genauer gesagt, die junge Dame, die Sie zuerst begrüßt hat. Alfonsine Rismondo ist zwar meine Assistentin, aber sie ist, ich begehe keineswegs eine Indiskretion, wenn ich das sage, auch die Lebensgefährtin des Kulturdezernenten.“

Fortsetzung folgt

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