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22.07.07 @ 17:12
In seiner Stimme schien mir eine unausgesprochene Drohung mitzuschwingen, und das flaue Gefühl in meiner Magengrube meldete sich wieder.
„Sie wollten mir doch erzählen, was Sie auf diese einsame Insel verschlagen hat?“, fragte ich und verdrängte den Gedanken daran, dass es vielleicht keine gute Idee war, der Geliebten meines künftigen Vorgesetzten so pampig zu begegnen.
„Ach, das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Belli, sichtlich erfreut, jemanden gefunden zu haben, dem er sie erzählen konnte. „Alles begann mit einer Wette, die ich in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Marc Meneau, dem Nachdenklichsten unter den französischen Meisterköchen, abgeschlossen habe. Ich hieß damals noch Bertold Schöne und war Präsident des Aufsichtsrats eines der größten Baukonzerne meiner Heimat, den ich im Laufe eines Vierteljahrhunderts aus einem kleinen Architekturbüro in Trier aufgebaut hatte. Ich speiste damals, beruflich oder aus schierer Freude, mindestens einmal im Monat bei Meneau, und eines Abends – ich hatte wohl schon ein Fläschchen Romanée Conti, Domaine, versteht sich, geleert – ritt mich der Teufel und ich behauptete, dass ich in der Lage sei, aus jeder beliebigen Sauce, die mir der Meister vorsetzen würde, sämtliche Komponenten herauszuschmecken. Wenn ich das zustandebrächte, hat mir Meneau damals erwidert, so würde er seine Küchenschürze für immer ablegen und sich nur noch dem Studium der Philosophie widmen. Es schien ihn tatsächlich tief in seiner Eitelkeit zu kränken, dass ich seine Küche für so leicht durchschaubar hielt.
Ich bestand dennoch darauf, die Probe aufs Exempel zu machen, und versprach meinerseits, mich von meinen Geschäften zu trennen und als Winzer auf eine Mittelmeerinsel zurückzuziehen, falls ich nicht alle Zutaten haargenau erraten würde.
Die Wette wurde sofort in die Tat umgesetzt, und nach einer Weile stellte sich Monsieur Meneau mit einem winzigen Tässchen ein, das eine Reduktion enthielt, der ein Duft, so verführerisch wie Aphrodites Parfum, entströmte. Sogleich setzte ich alles, was mir der liebe Gott an Geschmacks- und Riechwerkzeugen geschenkt hatte – und Sie können mir glauben, das ist nicht wenig –, in Bewegung. Ich ließ die Flüssigkeit in rhythmischen Bewegungen zwischen dem linken und dem rechten Teil der Mundhöhle hin- und hergleiten, ich lüpfte die Lippen, um den in der Tasse enthaltenen Aromastoffen durch zusätzlichen Sauerstoff zur besseren Entfaltung zu verhelfen. Und schon nach dem ersten Schluck begann ich mit meinem Befund: 'Fond vom Rehkitz.'
'Fond vom Rehkitz ist richtig', bestätigte Monsieur Meneau und ein dumpfes Raunen ging durch den sensationslüsternen Kellnerchor, der sich mittlerweile rund um meinen Tisch versammelt hatte. Nicht ohne innere Befriedigung setzte ich zur zweiten Runde an, tauchte das Löffelchen bedächtig in die Brühe und schöpfte aus den Tiefen der Tasse einen zweiten Schluck. Eine längere Kost- und Schweigeminute verging und ich konstatierte, eher beiläufig: 'Dann ein Tröpfchen Rosenöl.'
'Aus der Pipette, exakt', bestätigte der Patron.
Auch dem dritten Schluck folgte eine treffsichere Analyse: 'Sie scheinen es gut mit mir zu meinen, Monsieur Meneau', sagte ich. 'Da haben Sie mir ja gewissermaßen ein Heimspiel gewährt. Aber ich weiß es zu schätzen, dass Sie für unsere kleine Wette ein Wittlicher Felsentreppchen 1959 von der Mosel geopfert haben.'
Marc Meneau bestätigte mit einem respektvollen, aber bereits etwas nervösen Nicken, dass auch diese Zwischenrunde ganz eindeutig an mich gegangen war. Nun aber lief ich erst wirklich zu Hochform auf. 'Umspielen da nicht auch die Sandelholztöne des 100-jährigen Balsamico-Essigs aus der Acetaia des vortrefflichen Signor Bentivoglio in Modena meine Zunge?', fragte ich.
Meneau nickte abermals.
'Und es würde mich doch wundern,' fuhr ich unbestechlich in meiner Aromenanalyse fort, 'hätte unser verehrter Meister seine Komposition nicht mit einer winzigen Messerspitze annähernd molekular zerstäubten Koriandergrüns angereichert, das die Intensität des Rosenöls abfedert und dem Ganzen eine bittere Frische verleiht.'
Der Meister hatte.
'Dann bleibt wohl nur noch jenes Stückchen Pastinakwurzel zu erwähnen, an dem sich, obwohl Sie es kaum ein Minütchen mitkochen ließen, kaum vorbeischmecken lässt, wenn man kein notorischer Stumpfgaumen ist', beendete ich triumphierend meinen Befund – und hatte auch diesmal recht.
'Sie können Ihre Schürze schon ablegen und die Philosophiebücher hervorholen, Monsieur Meneau!', rief ich launig. Doch dieser beugte sich nur langsam zu mir hinab und sagte leise: 'Es waren, mit Verlaub, sieben Zutaten. Sie haben erst sechs herausgeschmeckt.' – Ich zählte nach und musste ihm leider recht geben.
Allein, da war nichts mehr, das man hätte herausschmecken können. Die Zusammensetzung der Essenz stand so klar vor meinen Augen wie ein gelöstes Rechenbeispiel.
'Sie müssen sich irren', insistierte ich. 'Ich habe alle Ingredienzien herausgeschmeckt. Mehr als das, was ich beschrieben habe, war ganz einfach nicht drin.'
'Doch, doch', erwiderte der Chef, und die Kellner, die schon um ihre Arbeitsplätze gefürchtet hatten, atmeten unisono auf.
'Die siebente Zutat war gekörnt', sagte Meneau mit dem Lächeln des Siegers, und ich wusste ganz genau, was er damit meinte. Hatte mir dieser Erzschelm doch glatt eine Messerspitze gekörnter Brühe in die Sauce geschwindelt.“
Belli spülte seine Kehle mit einem letzten Schluck Wein, der mittlerweile schon ziemlich warm war, und seufzte: „Ja, und so ist aus Marc Meneau letztlich doch kein Philosoph, aus mir jedoch ein einsamer Inselwinzer geworden.“
„Eine Geschichte, die zu Herzen geht“, sagte ich, und es war mir wahrscheinlich an den Augen abzulesen, dass ich ihn für einen argen Schwadroneur hielt.
„Sie hegen Ihre Zweifel, ob die Geschichte wahr ist?“
„Nein, nein, ich glaube Ihnen jedes Wort“, antwortete ich beschwichtigend, aber keineswegs wahrheitsgetreu.
Belli lächelte. „Ihre Zweifel sind durchaus nicht ohne Berechtigung. Was ich erzählt habe, ist nämlich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, dass ich keine Lust mehr verspürte, mich in meiner Trierer Kommandozentrale täglich von einer Sitzung durch die andere und obendrein auch noch mit einem Haufen indolenter Mitarbeiter zu quälen. Ich war also entschlossen, mich aus dem operativen Geschäft zurückziehen und mich stattdessen nur noch den schönen Dingen des Lebens zu widmen; und ich verfügte gottlob auch über die nötigen Mittel dazu. Meine kleine Wette mit Monsieur Meneau hat mir lediglich den gewünschten Vorwand geliefert.“
„Professore?“, klang es von hinten und das energische Vibrieren in der Stimme verriet mir, dass es Alfonsine war, die in der Tür stand, um den Professor, vermutlich vereinbarungsgemäß, loszueisen. Belli zögerte auch nicht lange und reichte mir die Hand zum Abschied.
„Wir werden uns in Zukunft ja öfter treffen. Das nächste Mal vielleicht schon in Ihrem Lapidarium. Ich stehe Ihrer Idee, dort altrömische Apicius-Menüs zu zelebrieren, mit großer Sympathie gegenüber.“
„Sie können dort ja auch Ihren Falerner zum Ausschank bringen“, sagte ich aufmunternd.
„Den Falerner, nein, Gott bewahre. Als Archäologe sollte Ihnen eigentlich bekannt sein, dass der Falerner erst nach fünfzehn bis zwanzig Jahren zu seiner Höchstform findet. Doch es gibt etliche äußerst trinkbare Versuche, die Girolamo Zanin und ich, quasi als Nebenprodukt unseres großen Ziels, zum Thema Vinum mulsum angestellt haben. Das wäre ein Kapitel, über das wir wirklich einmal genauer reden sollten.“
„Aber bitte nicht jetzt“, sagte Alfonsine leicht genervt. „Drüben in Ihrem Arbeitszimmer wartet Umberto Lichignoso.“
„Lichignoso?“, wiederholte Belli, plötzlich aufrichtig verstört. „Ja wenn Signor Lichignoso schon hier ist ... Warum haben Sie das nicht schon früher gesagt?“
„Bin ja schon weg“, beruhigte ich ihn. „Die Gebühr für mein Hafentaxi dürfte mein erstes Gehalt mittlerweile ohnedies schon übersteigen.“
„Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal lieber in meinem Stadtbüro in Balaor treffen“, sagte Belli und sah mich so mitleidig an, wie er wahrscheinlich alle armen Schlucker dieser Welt ansah. „Sie brauchen nur mit Alfonsine einen Termin auszumachen. Dann werden wir dort gemeinsam Vinum mulsum schlürfen.“
Er eilte der noch zielstrebigeren Alfonsine nach, den Natursteinpfad durch den Park entlang, hinüber ins Kloster. Am Landungssteg, den ich vom Kapellenportal aus leicht überblicken konnte, war neben Arcimboldos armseligem Trawler inzwischen eine Luxusjacht vor Anker gegangen. Es war eine von jener Art, die sich Tycoone zu bauen pflegen, sobald sie erkannt haben, dass selbst die teuerste Villa nicht schwimmen kann.
Fortsetzung folgt
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