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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 12

26.07.07 @ 20:52

Die Konoba Ciodi brauchte ihren Namen nicht zu erklären. Er war nämlich mit hunderten der kleinen namensgebenden Nägel mit funkelnden Köpfen in ein großes Holzbrett geschlagen worden, das an einer Kette zwischen den Ästen zweier Pinien aufgefädelt war, in deren Schatten etliche grob gezimmerte Tische standen. An einem dieser Tische saß, den Blick auf sein nur wenige Schritte entfernt liegendes Boot gerichtet, Scaramuzza und legte aus einer Hand voll Muscheln seltsame, sternförmige Muster.

„Gerade am Dichten?“, fragte ich ihn.

„Es hilft einem, sich zu konzentrieren, ja“, erwiderte Arcimboldo. „Das Legen von Muscheln ist eine gute Übung. Es dreht sich doch letztlich alles im Leben darum, wie man scheinbar Ungeordnetes aufpickt, aneinanderfügt und in einen Zusammenhang bringt, findest du nicht?“
„Soviel Ordnungssinn hätte ich dir gar nicht zugetraut“, erwiderte ich überrascht.
„Habe ich auch nicht“, sagte Scaramuzza lachend und fegte mit einer einzigen Armbewegung alle Muschelschalen vom Tisch. „Aber ich habe Hunger. Das Essen ist im Preis für die Inselrundfahrt inbegriffen“, fügte er hinzu, als er in meinen Augen ein leichtes Zögern erblickte. „Verstehst du, du bist eingeladen, Carozzi!“

Den Einwand, dass meine Appetitschwelle bei dieser Hitze deutlich herabgesetzt sei, akzeptierte er nicht, dafür rief er nach der kleinen, gebückten Frau, die unter einem Bretterverschlag in der Küche Salatblätter wusch und sonst noch nicht viel zu tun bekommen hatte.

„Wenn, dann aber nur einen kleinen Fisch.“

„In der Ciodi gibt es keine Speisekarte, und du hast auch keine Wahl. Die Welt ist hier nur, was der Fang ist. Und abgesehen vom täglichen Fang kriegst du auch nichts.“ Er sagte das, als wolle er den ersten Lehrsatz von Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus paraphrasieren, doch bei all seiner verblüffenden Liebe zur Poeterei – dass Scaramuzza Wittgenstein gelesen hatte, das glaubte ich nun doch wieder nicht.
Er bestellte unterdessen zweimal Boreto und erklärte mir, dass dieses Gericht hier schon seit vielen Jahren serviert würde, obwohl es täglich anders schmecke und sich die Zutaten ständig änderten.

Die Signora ging in die Küche, warf eine starke Gasflamme an und kehrte mit einer Flasche Inselwein zurück, einem von jenen, die Bellis elaborierten Gaumen zweifellos beleidigt hätten. Es war ein simpler Malvasia, der, wenn überhaupt nach etwas, nach Jod und Schwefel roch, aber dafür sehr effektiv, nämlich im Gefrierschrank, heruntergekühlt worden war. Er erfrischte meine Kehle wie flüssiges Eis und machte mir schon nach zwei, drei Gläsern Mut, Scaramuzza mein Anliegen vorzutragen.

„Gilda ist eine gute Köchin“, begann ich.

„Hab ich's mir doch gedacht. Sie gefällt dir“, antwortete Scaramuzza. „Gib schon zu, Carozzi, dass du verrückt nach ihr bist.“

Mit einem so plumpen Versuch, mich zu verkuppeln, hatte ich nicht gerechnet, und umso schwieriger war es, Arcimboldo zu erklären, dass die Leistungen, die ich von Gilda begehrte, ganz und gar unerotischer Natur waren.

„Natürlich möchte ich etwas von Gilda ...“, begann ich, zugegebenermaßen etwas ungelenk, mit meiner Erklärung.

„Klar doch, Carozzi, und ich hab nichts dagegen. Wo die Natur ihr Recht fordert, da muss man ihr freien Lauf lassen. Das war schon immer so. Meine Gilda ist eine gute Frau. Da kann sich ein jeder glücklich preisen, der sie bekommt. Aber sie will eben auch erobert sein.“
„Um das geht's nicht“, sagte ich, nun schon ein wenig grob. „Mir geht es zunächst einmal um das Fenster.“

„Das Fenster zu ihrer Kammer. Du wirst es finden, Carozzi. Glaube mir ...“

„Ich meine das Fenster zum Lapidarium.“

„Da ist kein Fenster. Und wenn, dann ist es vernagelt.“

Er machte es mir wirklich nicht leicht.

„Genau das meine ich ja. Man bräuchte nur die Bretterverschläge herunterzureißen und Gilda könnte ...“

Die gebückte Frau brachte zwei dampfende Teller.

„Jetzt iss erst einmal deinen Boreto, Carozzi. Ich möchte wetten, er schmeckt nicht annähernd so gut wie der von Gilda.“

Seine Augen blitzten listig und amüsiert zugleich. Er schien tatsächlich zu glauben, einen Schwiegersohn gefunden zu haben.
Der Teller wirkte recht unansehnlich. In der Mitte befand sich ein Haufen gerührter, aber etwas zu trocken geratener weißer Polenta. Darüber waren einige Fischstücke in einer weißen, etwas angedickten Sauce verteilt, die stark nach ausgekochten Fischgräten, aber noch stärker nach Essig, Zwiebeln und Knoblauch schmeckte.

„Schwarzgrundeln“, rief Scaramuzza, und seine klangvolle Stimme war weit über die ganze Bucht zu hören. „Ecco la, sie haben Schwarzgrundeln gefangen.“
„Habe ich noch nie gegessen“, erwiderte ich, ziemlich ratlos.

„Wir nennen sie einfach Gó, und sie sind eine Delikatesse, wenn sie gut zubereitet sind. Am besten schmecken sie, wenn man einen Risotto daraus macht.“
Er nahm einen Bissen davon und stieß dabei auf ein Gebilde, das dünn wie ein Wurm, aber lang wie eine Seeschlange war. „Ja, sieh mal einer an,“ rief er freudig, „da hat sich doch glatt auch noch ein Spaghettifisch in die Salsa verirrt!“

Er pickte ihn mit der Gabel auf, hob ihn in die Höhe und schob ihn mir geradewegs in den Mund: „Also auf, auf, Carozzi, Mann der Berge, keine falsche Zurückhaltung, und nichts wie runter damit.“

Der Spaghettifisch schmeckte längst nicht so übel, wie er aussah. Doch die Essigsauce mit ihrem starken Zwiebelgeschmack und den rabenschwarzen Knoblauchpartikeln darin war genau das, was meinen schon seit Scaramuzzas Morgenespresso ramponierten und durch Bellis picksüßen Saft endgültig beleidigten Magen völlig umkrempelte. Ein Königreich hätte ich jetzt für eine scharfe Chilischote gegeben, die alles, vielleicht auch mein seelisches Gleichgewicht, wieder ins Lot hätte bringen können. Und traurig dachte ich jetzt auch daran, dass ich meine letzte Flasche Mezcal in Schattenbach, diesem gottverlassenen kleinen Kaff in Niederösterreich, leergetrunken hatte, weil mir dort eine bildhübsche gotische Madonna davongelaufen war. Ein kräftiger Schluck davon und zwei, drei Habanero-Chilis, genau das wäre es gewesen, was ich jetzt gebraucht hätte.

„Du bist ja ganz bleich, Mann“, sagte Scaramuzza, der mit der Sensibilität des Poeten meine Befindlichkeit erraten hatte. „Trink noch einen Schluck kalten Wein, der wird dir guttun.“
„So wie der Malvasia bei euch fließt, wird man ja noch zum Alkoholiker“, sagte ich und quälte mir krampfhaft ein verbindliches Lächeln ab.

„Solange man isst und trinkt“, erwiderte Scaramuzza, der meine Worte offenbar ernster nahm, als sie gemeint waren, „kann man kein Alkoholiker sein. Man legt vielleicht ein paar Pfunde zu dabei, aber man wird kein Alkoholiker, vor allem nicht, solange es einem dabei gutgeht. Erst wenn man nur noch trinkt und nicht mehr isst, wird man zum Alkoholiker. Dann geht es einem auch nicht mehr gut.“

Arcimboldo hatte seinen Boreto in Windeseile mit Gabel und Löffel verdrückt. Ich bat, den meinen mitsamt dem angeknabberten Spaghettifisch abzuservieren. Die gebückte Frau sah einen Augenblick lang noch verhärmter aus als zuvor. Doch sie räumte den Teller ohne Widerspruch weg.

Fortsetzung folgt

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