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Heinz Reitbauer im Interview

02.09.09 @ 21:58

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Vor einigen Tagen nahm sich Heinz Reitbauer vom Steirereck im Stadtpark Zeit, für das SPEISING.NET vor "Dienstbeginn" ein Gespräch zu führen.


Ihr erstes kulinarisches Erlebnis?

Ich war ca. 8-9 Jahre alt und hatte eine "Berührung mit einer anderen Welt" im Restaurant Steinerne Eule in Wien. [Anm.d.Red.: www.architektur-buero.at/projekte/eule/eule.php] Wir hatten zwar eine gutbürgerliche Wirtschaft zu Hause und wir hatten die Küche auch gelebt und auch privat gegessen, aber das war eine Berührung mit einer anderen Welt damals. Das war für mich eine neue Erfahrung, wie der gekocht hat, ich war einfach beeindruckt, dass es viel mehr gibt - und ganz was anderes …

Kochen und Kunst – wo sind die Grenzen vom Können zum Künsteln?

Für mich ist Kochen in erster Linie ein Kunsthandwerk, man kann vielseitig sein, kreativ sein, Emotionen integrieren, man arbeitet mit Gefühlen, mit den Jahreszeiten, mit der Landwirtschaft, man muss einfach viele Einflüsse verarbeiten. Wir sehen uns hier nicht als Künstler.

Kennen Sie Kollegen, die das tun?

Nein, nicht wirklich – aber ich will es wahrscheinlich auch nicht so wahrnehmen … aber prinzipiell sollten Köche bescheidener auftreten und sich nicht ganz so wichtig nehmen. Wir haben einen Part in der Gesellschaft, den wir ausfüllen, aber wir sind nicht wertvoller als ein Arzt oder ein Richter.

Kann man Kunst täglich auf Abruf betreiben?

Es braucht eine unglaubliche Leidenschaft für die Gastronomie und ein gutes Team, das einander ergänzen kann, wenn einer auslässt. Es müssen alle Mitwirkenden hungrig nach dem ganz Speziellem bleiben, dann ist täglich eine solche Leistung möglich. Es muss einem ein Bedürfnis sein, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Im Team bringen die einzelnen Köche unterschiedliche Kreativ-Inputs ein. Wir machen dazu auch Brainstormings, immer wieder, jeden Tag, von 10 Minuten bis einer halbe Stunde … wichtig ist, dass wir uns darüber unterhalten, was man verbessern kann, das ist dann sehr befruchtend. Wir leben da in einer kleinen, eigenen Welt, träumen von Dingen, die nicht umzusetzen sind, aber vielleicht einmal sich auch umsetzen lassen. Das ist ein Zyklus, in dem sich die ganzen Sachen drehen. Immer hungrig nach einem Ziel, aber nie getrieben … Manchmal wollen wir ganz viel verändern, in einem anderen Zyklus dann wollen wir die Sachen dafür beibehalten, aber viel präziser umsetzen – manchmal sind wir schrecklich ungeduldig mit den Dingen, ein anderes Mal lassen wir es so richtig laufen, lassen die Dinge zu.

Wie viel von der Gesamtarbeit ist dann noch Kochen, Rezepte schreiben?

Ich versuche meinen Tag so in 50/50 einzuteilen, wobei mir das nur selten gelingt, in 50% die Alltagsarbeit zu bewältigen und 50% ein bisserl vorschauend zu arbeiten. Das hat nichts mit hochgeistigem Vordenken zu tun, bitte nicht falsch verstehen. Das ist mehr "was ist jetzt, was kommt für ein Produkt, was können wir daraus machen, was haben wir voriges Jahr gemacht, was bringt die Jahreszeit …"; wir beschäftigen uns da nicht nur mit dem Produkt, sondern mit der Präsentation, mit dem ganzen Zirkus rundherum, mit dem "wie können wir unseren Gästen wieder in Zukunft etwas bieten, was sie überrascht". Eigentlich gibt’s nur ein Thema permanent: Wir können wir unseren Gästen schöne Stunden bereiten? Da gibt’s viele Faktoren, aber Essen ist nicht der einzige. Da gibt es Menschen, die reflektieren unglaublich auf Wein, andere auf Schnaps, der nächste auf Käse, der nächste auf ein gutes Service und ein anderer auf eine gute Beleuchtung beim Tisch. Und alle diese Faktoren sind wichtig für das Gesamterlebnis, für ein paar schöne Stunden.

Entspricht das Lokal, so wie es ist, Ihren persönlichen Vorstellungen, Ihren Bedürfnissen als Gast eines perfekten Lokals?

Ja, natürlich, das muss auch so sein. Weil wenn einem selber das nicht gefällt, dann macht man irgendein System und denkt sich, das ist eine Zeit lang interessant und das kaufen Menschen … aber was wir machen, ist ja keine Gastronomie, mit der man Geld verdienen kann, da muss man etwas Anderes machen. Das ist eine Gastronomie, wo ich sage, da will ich mein Leben damit bestreiten und unterhalten, das taugt uns und dann muss man das auch leben, und das ist so. Bei uns ist das unglaublich oft detailverspielt, weil wir uns halt auch mit vielen Dingen beschäftigen. Es geht um das Gesamte.

Welches Gästeverhalten können Sie partout nicht leiden?

Ich mag es nicht, wenn ein Gast ausschließlich fordert, aber nicht bereit ist, irgendetwas zurückzugeben; wenn alles als selbstverständlich empfunden wird, aber so gar nichts Persönliches zurückkommt … da kommen Gäste in die Küche, fordern ein Spezialmenü, schaffen quasi an, was sie haben wollen – und nachher gibt es nicht einmal ein persönliches Danke oder Ähnliches. Da geht mir der Hut hoch.

Wie gehen Sie mit negativer Kritik um?

Die tut mir weh.

Wie bewerten Sie die Molekularküche – wo sehen Sie zukünftige Trends?

Molekularküche hat es schon früher gegeben, da sind ein paar interessante Sachen dabei … aber bleiben wird davon nicht viel. Viel spannender ist der Einsatz jener Produkte, die man quasi selbst besorgen kann, in der Umgebung, und das möglichst naturnahe bis hin zu Bioprodukten. Schweinefleisch vom Bauern im Nachbarort, Gemüse aus dem eigenen Garten, detto die Kräuter. Natürlich gibt es dann nicht alles zu jeder Jahreszeit, aber das macht es doch aus. Aber auch hier muss es nicht 100%-ig sein, sondern einfach nur die Linie. Regionale Ernährung, biologische Produkte, das ist alles viel mehr als nur guter Geschmack am Teller. Da hängt soviel dran: Arbeitsplätze, Landschaftsschutz, Lebensqualität im weitesten Sinn. Ganze Regionen können von solchen Entwicklungen profitieren, nachhaltiges Wirtschaften ist die Zukunft und muss endlich rein in die Köpfe. Da werde ich emotional …!

Wie sehr ist Bio ein Thema bei Ihnen?

Bio ist wichtig, aber ich stelle da noch den Geschmack darüber, um den geht es mir.

Was würden Sie an Ihrem Lokal ändern?

Wir sind wegen dem Garten hergekommen, das war die Triebfeder. Aber zurzeit macht uns der Garten wahnsinnig: Aufdecken, eindecken, rein, raus, … das Wetter schlägt so schnell um, dass wir nicht mehr reagieren können. Was das für ein Arbeitsaufwand ist. Wir können nicht doppelt buchen, wir können nicht einfach aufgedeckt lassen. Bei uns fliegt das Glas´l – wir haben auch gewisses Equipment nicht doppelt, weil wir den Platz dafür nicht haben, wir haben keine Zubaumöglichkeit für weiteren Stauraum. Wir haben nur ein kleines Haus, aber wenn uns ein Wetter erwischt, macht es uns das Leben nicht leicht. Ein ganze Truppe räumt den Garten zwei, drei Stunden her, und bis das alles wieder verräumt ist … das dauert wieder, das ist ja alles nicht 0815. Das alles waschen und bügeln und waschen und bügeln, das braucht alles seine Zeit, ein Wahnsinn.
Mein Traum wäre ein mobiler Garten, den ich bei Regenwetter einfach hinein verlegen kann und bei Schönwetter ausfahren. Und auf jeden Fall ändern würde ich den Herd: Nie wieder Induktion! Egal was, offenes Feuer oder sonst wie, aber bitte keinen Induktionsherd mehr. Ich wollte unbedingt ein offenes Feuer damals in der Küche, aber das hat man nicht zugelassen. Ich ärgere mich heute noch, dass ich das damals so schnell aufgegeben habe. Da hätte ich kämpfen müssen, bis ... Ich habe heute draußen einen offenen Grill, aber da muss ich auch pausenlos raus- und wieder hineinlaufen. Aber das will ich auf jeden Fall!

Woran erkennt man Talent bei einem Koch?

Die meisten Menschen haben ein Talent, und das ist das Tolle an der Gastronomie, dass da einfach die Möglichkeit geboten wird, das zu leben. Es gibt aber sicher Leute, die haben ein natürlicheres Talent, wie etwas funktioniert geschmacklich.

Kosten Sie oft?

Ja. Wenn ich ein Gericht schon oft gemacht habe, erst wenn es fertig ist. Aber wenn ich ein neues Gericht versuche, dann koste ich unglaublich auf, weil mich jede Phase da interessiert. Man muss aber auch aufpassen, nicht zu oft zu kosten, weil man sonst nichts mehr zuordnen kann.

Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?

Aus dem Team, aus der Ruhe und der Natur, in der ich wunderbar abdriften kann. Ich sitz dann einfach so da, tue nichts, und in der ersten halben Stunde passiert auch nichts, aber dann kommen schon erste Gedanken, und die schreibe da auch mit – ich habe da so ein paar Bücher, wo ich immer wieder nachschaue, das sind meine eigene Bücher, da schreibe ich immer mit, was ich mir zu gewissen Jahreszeiten denke und skizziere auch ein paar Dinge … da bleiben immer wieder so ein paar Kombinationen stehen, das müssen nicht immer neue Kombinationen sein, aber möglicherweise welche, mit denen ich weiterarbeiten möchte, die ich weiterentwickle.

Man kann das Rad ja durchaus auch mehrfach erfinden

Man erkennt ganz gut über kurz oder lang, wer die sind, die sich einen Kopf machen und wer jene sind, die nur schauen. Das haben wir schon hier am Bau bereits erlebt, dass immer welche gekommen sind und geschaut haben, was wir wie machen …
Selbstverständlich fahren auch wir herum und man schaut automatisch, was die anderen machen. Aber es muss immer zu einem selbst passen, es muss von einem selbst kommen. Und das ist auch ein Prinzip vom Steirereck, von uns: Wir kupfern nichts ab, wir machen viele Dinge nicht, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil sie schon zu viele andere machen. Wir arbeiten mit vielen Produkten schon aus dem Grund nicht, weil die anderen damit arbeiten. Die Jakobsmuschel und der Bärlauch sind da ein Synonym dafür. Keine Mode, weder bei Kombinationen noch Gewürzen! Nur so ist diese Unverwechselbarkeit zu schaffen. Nicht bös sein, aber ich möchte in Tirol auf der Alm nicht das gleiche bekommen wie in Australien. Wir haben viele internationale Gäste, aber auch der österreichische Gast ist ein gereister Gast. Wir versuchen da möglichst regional und spezifisch zu arbeiten, neben dem, das es halt all die anderen Vorteile hat, die wir alle kennen, aber auch schon um des Unterscheidens wegen alleine. Wenn ich gleich bin wie die anderen, muss ich wirklich besser sein, oder schneller sein oder billiger um Erfolg zu haben. Wenn ich aber etwas mache, was andere nicht machen, ist mühsamer und steinig oft, und oft auch ein Irrweg.

Was macht Sie einzigartig?

Wir versuchen bei allen Dingen, die wir machen, uns nirgends anzulehnen um unverwechselbar zu bleiben. Wir sind unglaublich regional, stehen für die österreichische Küche, nicht für die Wiener Küche, das wäre mir zu eng. Wir haben schon beim Herkommen in den Stadtpark beschlossen, dass wir nur noch mit Süßwasserfischen arbeiten, mit Ausnahmen immer wieder, aber auch da will ich mich nicht kategorisieren lassen. Aber das Thema Regionalität gibt es jetzt schon seit 15 Jahren und es muss uns klar sein, dass die irgendwann vorbei sein wird und etwas Anderes kommen wird. Aber das ist noch fern, das ist immer noch im Steigen. Erst wenn wirklich alle dasselbe machen, dann wird sich ein neuer Trend einstellen.

Wohin gehen Sie gerne essen?

Zum Sodoma in Tulln, wir sind auch freundschaftlich verbunden.

Ihr bevorzugtes Getränk derzeit?

Apfelsaft gespritzt. Der Apfelsaft von Wetter ist ein Wahnsinn, ich gebe noch ein paar Spritzer Zitrone hinein.

Was essen Sie zurzeit am liebsten?

Paradeiser, weil die jetzt grad so richtig gut schmecken. Und die Leute kommen drauf, dass die auch Namen haben und ganz unterschiedlich sein können – endlich!

Ihre persönliche Perspektive in der Gastronomie?

Solange die Freude an der Arbeit aufrecht bleibt, möchte ich hier weitermachen. Aber wer weiß, was in zwanzig Jahren los ist; ich kann mir nicht vorstellen, dann noch so zu arbeiten wie heute.

Beruf und Privates?

Kein Problem. Wir leben hier im Stadtpark, der Kindergarten ist ums Eck, die Kinder sind am Nachmittag bei uns … Beruf und Privates sind bei uns eins. Wir haben natürlich ein Kindermädchen. Wir sind von 9 bis nach Mitternacht im Lokal, wohnen hier im Haus, das geht gut.

Warum sollten die Kinder nicht Gastronomen werden?

Wenn sie es nicht wollen, wenn die Leidenschaft dafür fehlt.

Botschaft an die SpeisingerInnen:

Es sollen noch viel mehr im SPEISING.NET mitmachen und sich mit Essen und Trinken in dieser Form auseinandersetzen. Die Beschäftigung der UserInnen mit diesen Themen ist einmalig und ich schaue auch selbst immer wieder in der Nacht rein, worüber gerade diskutiert wird, was die aktuellen Themen sind. Für mich ist das wie ein "Kunden-Seismograph".

gf [zurück]

4 Kommentare | Kommentar abgeben

PICCOLO, 30.09.09 @ 19:39

So alles in Allem...
..hätte ich dem jungen Reitbauer solche treffenden Worte gar nicht zugetraut. Nicht dass man das falsch verstehe, das ist einfach nicht das was man aus Falstaff und Co, Magazinen über diese Kategorie Restaurants und seine Persönlichkeit herausliest, als meiner einer - finanziell minderbemittelter...

Respekt.

kubse, 09.09.09 @ 19:53

ja, klar der Junior.
Lustig, auch mein erstes wirklich bewusstes tolles Essen war in der Steinernen Eule!
Sehr gutes Interview!

cmling, 05.09.09 @ 21:34

Heinz Reitbauer junior, nehme ich an?
Wegen des Erlebnisses in der "Steinernen Eule" im Alter von 8-9 Jahren.
Ich habe die Eule auch sehr gern gehabt, ich vermisse sie noch immer.

Paul, 03.09.09 @ 22:24

Interview
sehr interessant, sowohl gute Fragen des Interviewers als auch gute Antworten von Herrn Reitbauer. Danke.

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