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Wiener Beisel Kochbuch
Einstiegsdroge und Kennerstoff
20.03.12 @ 22:32
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Wie lange muss ein Deutscher in Wien leben, dass er über die Wiener Beisel schreiben darf? Darüber könnte man herrlich in einem Wiener Beisel diskutieren, streiten und eventuell ausfällig werden. Die Antwort auf diese Frage ist aber irrelevant, solange die Inhalte so profund, charmant und liebevoll aufbereitet werden, wie in dem neuen Buch des Metroverlag „Wiener Beisel Kochbuch“ von Gerd Wolfgang Sievers.
Der gebürtige Deutsche Gerd Wolfgang Sievers lebt zu dem schon Jahrzehnte in Wien, schreibt hauptberuflich über Essen und Trinken und bringt genau jene Talente mit, die ein Beiselspezialist braucht: Sitzfleisch, endlosen Appetit und reichlich Durst. Dazu die notwendige Liebe, die hinter einer oft nachlässigen, vernachlässigten Wiener Küche steckende Schönheit und Komplexität zu sehen, zu schmecken und zu propagieren.
Das Buch eröffnet der Autor mit einer Liebeserklärung an die Stadt, von der er annimmt, dass sie diese Liebe nicht erwidern wird. Und dann geht es gleich los mit einer Enttäuschung, denn der Autor sucht am Brunnenmarkt ein Stammbeisl seiner Studienzeit auf, das Neumaier, bekommt dort in einer ausgesucht tristen Atmosphäre um 14.20 Uhr nichts mehr zu essen. Das Wiener Beisel muss schon leben, um erlebenswert zu sein. Das nahe Weinhaus Sittl springt rettend ein …
In Folge versucht Sievers, das Wesen des Wiener Beisels (gibt es Beisel außerhalb Wiens?) zu erfassen, zu erspüren und zu beschreiben. Nicht ungeschickt, unterteilt er deren Wahrnehmung in eine touristische und eine der Einheimischen, die Bandbreite ist für Sievers sehr weit, auch Gasthäuser und Gastwirtschaften finden Einlass in die Kategorie Beisel.
Auch die Beiselgeher werden genau unter die Lupe genommen, um festzustellen, dass es keinen typischen Typus gibt – das Beisel bringt alle Menschen und deren fokussierte Bedürfnisse (essen, trinken, allein sein, unter Leut sein, sich die Kanten geben, …) unter einen Hut.
Die Beiselküche selbst fasst er so zusammen: Einfache Gerichte, in ausreichend großen Portionen zu ausreichend kleinen Preisen – das würden die Gäste erwarten. Und dann eröffnet das Buch den Lesenden den Kanon der Wiener Küche, einer Küche, die atemberaubend vielfältig ist, stets über mehrere Gänge über den Tag verstreut zu sich genommen wird, und die in ihrer Komplexität von den Wienerinnen und Wienern und deren Lokalen so leider nur äußerst selten wahrgenommen wird. Es bleibt ein Gefühl des Versäumens über, wenn man die Namen der Gerichte liest, die Zusammensetzung der Rezepte und sich die Vielfältigkeit vergegenwärtigt, die jedoch von Schweinswiener, Backhendel und Zwiebelrostbraten im Alltag extrem eingeengt bis verdrängt wird.
Lebt dieses Buch!
Ich möchte einen Tag nach diesem Buch vorschlagen, ganz der Wiener Küche und (ehemaligen) Lebensart entsprechend:
Zum Gabelfrühstück nehme ich einmal einen Steffelbauer (kannte ich vorher nicht). Das ist mit Bohnen weichgeschmortes, gepökeltes Rindsfleisch, mollig mit Mehl gebunden.
Zu Mittag entscheide ich mich für eine der vierzehn vorgeschlagenen (kalten) Vorspeisen, die Tellersulz – nein, doch lieber die Selchzunge mit Linsen. Wobei der gesulzte Kalbskopf oder die sauren Eier auch fein wären. Die Rindssuppe mit einer der dreiundzwanzig vorgeschlagenen Einlagen (Hirnschöberl, Luftstrudel, …) hebe ich mir für das Abendessen auf. Die neunzehn anderen Suppen (Drei-Nieren-Suppe, Hühnereinmachsuppe, …) überforderten mich auf jeder Speiskarte. Achtzehn klassische Hauptspeisen machen die Auswahl schwer, Gebratenes Schweinsbrüstel oder Wiener Krenfleisch? Ein Teilsames mit Kaiserfleisch oder den gebackenen Stallhasen? Schwer. Eventuell das Paprikahendel, eines der neun Geflügelgerichte, oder doch ein leichtes Rindsfleisch? Sardellen- oder Vanillerostbraten? Ich nehme den Brustkern mit Semmelfülle.
Am Nachmittag reicht mir ein Zwischengericht, Krautfleckerl kämen da in Frage, aber auch Gebackenen Schweinsohren oder ein Gebackener Kalbsfuss. Wahrscheinlich nehme ich den gekochten Schweinsgoder mit Essigkren.
Zu Abend, wenn der Hunger groß wird, geht es mit einer Suppe los, eine Alt-Wiener Karpfenbeuschelsuppe bietet sich da an, oder eine Brotsuppe mit Grammeln. Als Zwischengangerl, damit das Warten nicht so schwer fällt, reicht mir ein Schwarzbrot mit Rindermark, oder auch ein kleines Reisfleisch. Nach den vielen Gulaschen und dem Krautfleisch ist mir heute nicht, ich spekuliere mit einem der unzähligen Innereiengerichten. Ein Schweinsherz im Speckrahm, ein gebackenes Hirn, aber auch gefüllte Kalbsmilz oder deren geschmorte Nieren fallen in die engere Auswahl. Euter, Stierhoden und Gekröse hatte ich bei den letzten Besuchen, auch das Saure Kronfleisch spricht mich heute nicht an – es werden wohl die Gebackenen Kutteln werden, oder klassisch das Bruckfleisch. Wiewohl von der Wurstkarte mit den vielen unterschiedlichen Wurstgerichten eine kesselfrische Krainer auch kein Fehler wäre … die hebe ich mir für rund um Mitternacht auf. Karpfen, Wels und Aal, Schnecken und Krebse gäbe es auch, gehen mir aber heute nicht unter die Nas´n. Die Gemüse (Kraut, Kohl, Rüben, Fisolen kommen einbrennt oder gebacken, manchmal auch nur mit Brösel) hebe ich mir für die nächste Fastenzeit auf, wobei mich der gebackene Kohl und die gebackenen Knoblauchzehen schon sehr reizerten.
Das Erdäpfelgulasch, eines der besten Gerichte der Welt (speziell mit einer Dürren reingeschnitten) hebe ich mir für das morgige Gabelfrühstück auf, eventuell auch die Kümmelkrapferl. Die zwölf verschiedenen Knödel finden heute keinen Platz mehr, wiewohl die seltenen Strapazi-Knödel ein Grund wären, den Schweinsbraten zu bestellen - samt Alt-Wiener Weinkraut dazu, oder doch das Eingebrannte Paprikakraut …? Schwer. In Wahrheit müsste man Tafelspitz essen, hätte man dann doch eine Auswahl an elf verschiedenen kalten Saucen dazu. Ich nehmate den Eierkren und die Mandel-Sardellensauce dazu.
Bei den Nachspeisen brauche ich nicht lange nachzudenken, ich nehme fest entschlossen das Kipfelkoch, oder den Milchrahmstrudel bzw. die Powidltascherl. Ein Dessert muss immer heiß sein bei mir. Und was trinkt man dazu im Beisel? Traditionell Wein, aus großen Gebinden ins Viertel gegossen, Hauptsache resch und reichlich. Ein Doppelbrennter hilft, falls es gegen jede Erwartung doch ein wenig zwicken sollte. Und falls es nicht zwickt, bestellt man halt die Krainer oder eine G´radelte Blunz´n, dann zwickts bestimmt.
Das Wiener Beisel Kochbuch hebt Schätze. Es macht deutlich, wie unglaublich vielfältig die Wiener Küche, tja, war - oder auch wieder sein könnte. Als Rezeptkompendium unerlässlich, ist es darüber hinaus hoffentlich auch vielen angehenden Gastronomen Grundlage für deren Lokalkonzept, die Speisekarten für die nächsten Jahre wären schon geschrieben, für wöchentliche Abwechslung wäre ebenso garantiert wie für regen Gästezulauf. Traut Euch!
Noch eine Bemerkung. Ich habe hier im Magazinbereich zuletzt ein Rezept von Heston Blumenthal übersetzt, das mir aufwändig und reich an Zutaten schien. Das Rezept zur Rindssuppe mit zb. Lungenstrudel nach Sievers steht diesem Gericht an Komplexität und Aufwand um nichts nach. Wir sollten den Teller bewusster auslöffeln.
Gregor Fauma
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8 Kommentare | Kommentar abgeben
Meidlinger12, 23.08.15 @ 14:21
Fündig geworden
Hab zufällig diesen Beitrag entdeckt. Wie schauts aus. Hat jemand diese Suppe schon irgendwo bergen können?
thomasf, 23.04.12 @ 21:25
Ich habe mir jetzt die Mühe gemacht
und das Rezept abgetippt. Weil es mich wirklich interessiert, ob es ein Lokal gibt, in dem die Rindsuppe so gekocht wird. Jeder, der sich durch das Rezept durcharbeitet, sollte einmal nur die Stunden zusammenzählen...
-Zitat aus Gerd Wolfgang Sievers Wiener Beisel Kochbuch-
EINE GUTE RINDSUPPE
Welche Rolle die Rindsuppe seit jeher in der Wiener Küche spielt, lässt sich anhand von alten Kochbüchern feststellen: In vielen Schriften ist davon die Rede, dass man die gesiedeten Knochen der Suppe vom VORTAG für die Zubereitung der täglichen Suppe durchaus noch einmal verwenden kann. Daraus lässt sich schließen, dass die Rindsuppe zum täglichen Speiseplan zählt, wie das Amen zum Gebet! Das hat sich bis heute nicht geändert. Doch das mit der Rindsuppe verbundene Kochen ist eine recht umstrittene Geschichte, denn in modernen Zeiten - in welchen vor allem Schnelligkeit und Einfachheit im Vordergrund stehen - hat man der klassischen Rindsuppe abgesprochen und obendrein das berühmte gesottene Rindfleisch verunglimpft. Sicher ist es zu Hause einfacher, das gesottene Rindfleisch so zu garen, dass man gleichzeitig eine Suppe erhält. Dennoch ist es für Suppe und Rindfleisch nicht immer von Vorteil, da bei beiden besondere Feinheiten für den authentischen Geschmack sorgen. Auch meine Wiener Großmutter hat das Rindfleisch separat von der Suppe gegart und erst nachdem das Rindfleisch fertig war, den Großteil der Rindfleischbrühe zu der separat gekochten Rindsuppe hinzugefügt. Tatsächlich besteht der Mehraufwand nur darin, einen zweiten Topf zu verwenden. Elementar wichtig für eine klassische Wiener Rindsuppe sind das Kochen einer Knochenbrühe, das spätere Hinzufügen von Innereien sowie ausreichend Zeit zum Sieden!
Zuerst das Gemüse (1 Gelbe Rübe, 1 Petersilwurzel, 1 Stück Porree, 1 größere Scheibe von einer geschälten Sellerieknolle, wenn vorhanden die Stängelabschnitte von 1 Karfiol, und/oder einige getrocknete Pilze, 1 kleiner Paradeiser) putzen und in dicke Scheiben schneiden. 1 ½ kg Rinderknochen und 1 ½ kg Rindfleisch für die Suppe (vorzugsweise von der Brust oder den Schenkeln, wie z. B. Brustspitz, Brustkern, Scherzl oder Deckel) waschen, abtrocknen. 1 halbierte große Zwiebel samt Schale auf einem Stück Alufolie direkt auf der Herdplatte rösten, bis die Schnittflächen dunkelbraun sind. 1 in Ringe geschnittene Zwiebel in etwas Rinderfett gelb rösten, dann 250g in Scheiben geschnittene Rindsleber dazugeben, ebenfalls abrösten und schließlich mit etwas Wasser ablöschen – aufpassen, dass die Leber nicht bitter wird.
Die gewaschenen Knochen werden zusammen mit 4l kaltem Wasser in einen ausreichend großen Topf gefüllt und erhitzt. Wenn das Wasser zu sieden beginnt, nimmt man die Hitze zurück und lässt die Knochen zunächst einmal 5 Stunden auskochen.
Nun kommen etwas Salz, einige Pfefferkörner, das vorbereitete Suppengemüse, evtl. Karfiol und Pilze, die gerösteten Zwiebelhälften, das geröstete Zwiebel-Leber-Gemisch, der angerissene Paradeiser, 1-2 Lorbeerblätter, 1 Stück Milz sowie das Fleisch in den Topf (ggfs. etwas Wasser nachfüllen). Hitze erhöhen, wenn alles einige Minuten stark gesiedet hat, lässt man die Suppe bei ganz milder Hitze ruhig weitersieden. Der aufsteigende Schaum wird nicht (!) abgeschöpft – man würde der Suppe nur Geschmack nehmen, der Schaum verkocht ohnedies, verbleibende Flankerln werden hinterher ausgesiebt.
Während des Siedens wird die Suppe immer wieder mit wenig eiskaltem Wasser abgeschreckt, dadurch wird sie nicht nur klarer, sondern auch geschmackvoller.
Nach nicht weniger als ca. 3 Stunden dürfte das Fleisch gar sein und wird herausgenommen. Nach Wunsch schneidet man es in Scheiben oder Würfel man kann es als Suppeneinlage oder für kalte Speisen verwenden.
Die restliche Suppe darf noch 1 weitere Stunde sieden.
Schließlich wird sie langsam durch ein Sieb geseiht und das Fett abgeschöpft; dann muss man die Suppe en einem kühlen Orte stehen lassen (Sehr ratsam ist es übrigens, die Suppe samt Ingredienzien erst am nächsten Tag zu verwenden, weil dies den Vorteil hat, dass die Suppe kräftiger wird und auch das kalte Fett, welches sich oben abgesetzt hat, leicht abgehoben werden kann. (Zudem setzen sich die Trübstoffe unten ab). Vor dem Verzehr wird die Suppe noch durch ein Etamin (oder ein mit Küchenpapier ausgelegtes Sieb) gezogen und so geklärt – wer mag, kann die Rindsuppe natürlich auch mit Eis, Rinderfaschiertem und Eiweiß klären; das sollte aber nicht notwendig sein. Auf keinen Fall sämtliches Fett entfernen, denn die Rindsuppe braucht ihre Fettaugen!
Die Rindsuppe wird normalerweise mit einer (oder mehrerer) ihrer typischen Suppeneinlagen serviert oder zu einem gehaltvollen Suppentopf weiterverarbeitet.
-Zitat Ende-
Was Komplexität und Aufwand betrifft stimme ich dem Herrn Fauma zu! Ich glaube aber, dass es so eine Suppe nirgends gibt.
Bis zum Beweis des Gegenteils werde ich keinen weiteren Teller Rindsuppe bewusst oder ehrfürchtig auslöffeln!
christianp, 22.04.12 @ 17:13
Kochbuchempfehlung für Rentner
Kochbuchempfehlung für Pensionisten ?
adriano, 19.04.12 @ 10:16
http://www.gasthaus-mehler.at/
... dürfte vom Mehler sein.
thomasf, 10.04.12 @ 08:30
Also hat der
Herr Oberkllner doch wieder recht. So eine Rindsuppe gibts tatsächlich nur auf Seite 45 im Beiselkochbuch. Schade.
--- 25.06.20 @ 16:59
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