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Fünf Tage Architektur, Pinxos und Rioja
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Tag 1 Bilbao
Bilbao, baskisch Bilbo, ist die Hauptstadt der Provinz Bizkaia, die wiederum von den königstreuen Spaniern Vizcaya tituliert wird. Innerhalb der politisch autonomen Region Baskenland ist Bilbao die größte Stadt. Dass es auf die Größe nicht ankommt, wissen Touristen natürlich. Reiseführer, die schon ein paar Jahre im Regal stehen, nennen Bilbao hässlich, dreckig und kommen dabei auf die längst abgeschlossene Vergangenheit der Stadt als Industrie- und Bergwerkszentrum zu sprechen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Die Stadt wurde in den letzten zwanzig Jahren mit der Unterstützung prominenter Architekten renoviert, modernisiert und gehört heute zu den spannendsten Städten Westeuropas. Norman Foster, der Otto Wagner Bilbaos, hat eine 28 km lange Metrolinie entworfen, Santiago Calatrava überbrückte spektakulär den Fluss Nervión und Frank Gehry stellte ein Museum an dessen Ufer, das schon viele Zeilen verbraucht und noch mehr Mäuler offenstehen ließ. Wer vom Flughafen kommend durch den Túnel de Artxanda nach Bilbao fährt, sollte im Wagen auf der rechten Seite sitzen und in ebendiese Richtung sofort bei der Tunnelausfahrt blicken - geiler kann man in einer Stadt nicht ankommen: Da steht das Guggenheim-Museum frech am Fluss und raubt den Ankommenden den Atem.
Die Mischung macht´s und die Altstadt Bilbaos beweist, dass hier neue Epochen immer Platz zur architektonischen Entfaltung gefunden haben; so durchsetzen viktorianische Fassaden die Altstadt, rücken der gotischen Kathedrale aus dem 14-15 Jahrhundert auf die Pelle und flankieren das neubarocke Theater Arriaga des Joaquín Rucoba. Große Parkanlagen sorgen für Rückzug vor den bunt gemischten Eindrücken einer sehr lebhaften, unreglementiert wirkenden Stadt. Am Plaza Nueva, der in Restspanien Plaza Mayor heißen würde, ringen die Gastronomiebetriebe um die Gunst der Lustwandelnden. Es sind die Pintxos [Pintschos] das Ziel der Begierden und ständig werden neue Teller dieser kulinarischen Miniaturkunstwerke über den Tresen gereicht. Die Vielfalt des Angebots macht ein Abendessen überflüssig. Ein Tag Museen, ein Abend Altstadt, eine Nacht Pintxos - die Reise führt weiter nach San Sebastian.
Tag 2 San Sebastian
Kaum wo auf der Welt ist es schöner- schöner zu spazieren, schöner zu trinken, schöner zu essen, schöner am Strand zu sitzen. Das von den Basken Donostia genannte San Sebastian ist die Verdichtung aller Genüsse. Unabhängig von den hochdekorierten Spitzenrestaurants der Stadt, kommt man in der Altstadt einfach nicht voran, da in jedem Lokal ein Pintxo genommen werden muss, dazu ein Glas Wein oder Bier, und schon geht es zum nächsten: Pilze, Fische, Krustentiere, Gemüse - die meisten Pintxos werden für den Gast frisch zubereitet und kommen in einer sagenhaften Qualität auf den kleinen Teller. Die lokalen Jungweine dazu sind ausgesprochen süffig und moussieren oft noch ein wenig, aber auch das kleine Bier sorgt für Freude in der Hand, denn die lokale Blunzen wird in der Regel mit viel Kardamom gewürzt, eventuell mit Rosinen serviert und schreit förmlich nach einem Schluck hopfiger Bitterkeit. Serviette und Holzgabel werden bitteschön auf den Boden geworfen und nicht mit dem leeren Teller zurückgegeben. Das ist contre-coeur, wie der Iberer zu sagen weiß. Man lernt aber flott, dass ein knöchelhoch zugemüllter Fussboden ein Zeichen für verdammt gute Pintxos sein kann.
San Sebastian liegt in einer nahezu kreisrunden Bucht; ein feiner, heller Sandstrand und darob eine breite Jugenstilpromenade trennen die Stadt vom Wasser. Am Hafen drängen sich die Fischrestaurants eng aneinander, die Gastgärten kennen keine Lokalzugehörigkeit und die schmalen Fassaden der kleinen Fischerhäuschen bieten den perfekten Rahmen für ein Gelage mit Blick auf die Stadt - vorausgesetzt, man hat die Pintxos einmal ausgelassen. Das Paradies hat einen Namen.
Tag 3 Outback Navarra
Es geht weiter ins Hinterland, nach Pamplona. Nicht jedoch ohne Umweg, nicht ohne zuvor in Artajona und Olite kurz nach dem Rechten zu sehen.
Artajona kann perfekte Alternativkulisse zu den Pradler Ritterspielen sein, so glaubwürdig echt sind die Stadtmauern auf dem mächtigen Hügel mit ihren nach innen offenen Wehrtürmen. Nach innen offen? Ja klar, damit der von außen den Turm erobert habende Feind von innen abgeknallt werden kann. Pfiffig, die Artajoner, die sich das im 11. Jahrhundert haben einfallen lassen. Der "Cerco", die Festung von Artajona, ist eine der bedeutendsten mittelalterlichen Festungen der Zona Media. Von den ehemaligen elf Türmen sind noch neun erhalten, das bedeutet einen Verlust von zwei Türmen in ca. 900 Jahren - echte Wertarbeit. Die Wehrkirche San Saturnino beherrscht optisch das ganze Tal und es stellt sich beim Betrachter eine gewisse Erhabenheit ein. Navarra, in die Knie!
Olite kommt einem da ganz anders, es könnte von Walt Disney entworfen worden sein. Türmchen um Türmchen zieren ein Stadtmäuerchen - die alten Mauern der Palastburg wirken vom Zentrum betrachtet witzig klein, als ob es eine Festung für Kinder gewesen wäre. Zu bewundern gibt es einen mittelalterlichen Dachgarten, denn die Prinzessin hat sich einst Blumen am Dach gewünscht, ganz so wie heute Kristallprinzessinnen Gemüse am Fensterbrett anbauen.
Olite ist auch das Zentrum des Weinbaus von Navarra. Überall kann man die Rosé-, Rot- und Weißweine der D.O. Navarra kosten und zu Recht bewundern. Alte optische und neue gustatorische Eindrücke fügen sich zusammen, beschließen die Visite und bauen Spannung für Pamplona auf.
Pamplona
Man darf es mit der Eindrucksdosis pro Tag nicht übertreiben, und nach San Sebastian am Vormittag, Olite und Altajona unter Tags empfiehlt es sich, den Abend regungslos am Hauptplatz von Pamplona verstreichen zu lassen. Die Plaza del Castillo ist ausreichend weit, um das Auge schweifen zu lassen, die Vielzahl der entzückend bunten Fassaden im Weichzeichner des Sonnenuntergangs zu genießen und bietet auch ausreichend Schatten, um in ebendiesem möglichst unbewegt Dreifinger-Drinks zu sich zu nehmen. Die ständig nachgereichten Oliven und Salzereien halten den Bestelltakt hoch. Gott sei Dank werden gerade keine Stiere durch die Stadt getrieben und die tiefe Entspannung dieser wunderbaren Stadt infiziert die reglosen Beobachter. Heute kein Olé mehr.
Tag 4 Elciego, Marqués de Riscal
Wem Weine aus Navarra schmecken, möchte eventuell auch jene aus Rioja kosten. Dazu bietet sich das 900-Seelen-Nest Elciego an, ein durch und durch bemerkenswertes Nest. Hier hat Frank O. Gehry eine Miniaturausgabe seines Guggenheim-Museums als Hotel in die Landschaft gesetzt. Auftraggeber für dieses optische Wunder sind die Eigner des Weinguts Marqués de Riscal, Adel verpflichtet eben. Hier lässt es sich fein tagen, wohnen, spa-en und essen. Trotz alledem bleibt das Hotel von außen am schönsten und ein kurzer Spaziergang auf eine Anhöhe eröffnet ein Panorama, das herkömmlicher Wahrnehmung widerspricht und dieses moderne Kunstwerk in einen Rahmen karg-schroffer Landschaft und mittelalterlicher Bauwerke setzt.
Tag 5 Haro
Haro [sprich: Aro] hat das alles nicht. Aber Haro hat jede Menge Txochall [sprich: Tschocherl] weil es das Zentrum des Weinbaus im Rioja ist und damit auch eine Welthauptstadt des Weins. Wer schon einmal in Haro war, möchte das nicht glauben, so verschlafen wirkt die Ortschaft auf den vagabundierenden Touristen. Das Spezielle sind die alten, schön gepflegten Holz-Erker und hochstrukturierten Fassaden der Herrenhäuser der Altstadt – und die Vielzahl der sympathisch kleinen Gaststuben, die hochqualitative Pintxos und eine Vielzahl an offenen Weinen glasweise anbieten. Der Wein hält erfreulicher Weise den Appetit hoch, der erst im Restaurant Beethoven II gestillt wird: Dort wird ein großes Stück vom Rinderrücken leicht erwärmt, grob zerstückelt, mit Meersalz gewürzt – und aus. Messer sind überflüssig, Soßen und Safterl kein Thema. Es wird nie wieder besseres Fleisch geben. Sind das Aussichten?
Der After-Dinner-Drink ist Tempranillo satt in all seinen Facetten; die Damen der Bars rund um die magisch-schöne Plaza San Martin merken sich trotz größten Ansturms die Abfolge von weit über zwölf verschiedenen, sich sukzessive aromatisch steigernden Gläsern Rioja. Txapo! Die Luft ist lau, der Platz entzückend und der Rioja schmeckt vor Ort um Legenden besser, kühler, leichter und süffiger als die meisten Holzauszüge und Gerbstofftees, die den Weg in den Export finden.
Den kommenden, späten Vormittag kann man im Rahmen einer Führung durch das Weingut Muga relativ gut hinter dicken Sonnenbrillen runterbiegen. Das Weingut Muga ist zwar eher eine Tischlerei, die massig Barriquefässer für sich und die Marktbegleiter erzeugt, weiß aber auch mit Familien-Reservas zu überzeugen und mit einem sensationellen Weißen sur lie überraschen. Es sind doch immer die Rotweinwinzer, welche die besten Weißweine machen.
Fünf Tage Baskenland, Navarra und Rioja überfüttern die Wahrnehmung und den Intestinaltrakt der Art, dass die Wirkung noch lang nachhallt und sich nach einer Überdosis sehnt. Sorry, Würstelstand, aber unsere Liebe wird schon wieder wachsen.
Gregor Fauma
empfohlen am 01.08.10 @ 10:31
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