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Gentillesse brutal

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Gentillesse brutal

„Du sollst kein Franzose sein“ sagt Al Bundy in der deutschen Übersetzung seiner berühmten Rede am Speakers Corner im Hyde Park zu London. Kann man das einfach so stehen lassen, oder sollten gerade Wienerinnen und Wiener kurz darüber innehalten und sich fragen, ob nicht ein wenig vom Gegenteil für sie angebracht wäre?

Wer gerade nichts anderes zu tun hat, kann ruhig einmal nach Frankreich reisen und, sagen wir an der Côte d´Azur, der lokalen Mentalität auf den Grund gehen. In der Altstadt von Nizza mag die Freundlichkeit ja geschäftlicher Natur sein, um den Gast von weit her zu umschmeicheln und ihm sein Klumpert zu verkaufen, Klumpert, das weltumspannend überall dort angeboten wird, wo Gassen eng und Atmosphäre dicht werden. Auf der Fressmeile der Hafenstadt, am Cour Saleya, buhlen Bars, Bistrots und Restaurants um Kundschaft. Sie verführen mit sonnigen Gastgärten unter Tags und flammengeheizten Plastikkammerln im Freien am Abend. Schöner sitzt man mitunter drinnen, genießt gefüllte Gemüse (Petits farcis) und derlei olivenölgebadeten Fisch. Die ungekünstelte Freundlichkeit der Damen und Herren vom Service geht ebenso wie Öl runter.

In der nicht weniger verführerischen Neustadt Nizzas rund um die Rue de la Liberté werden zu einem Glas Rosé türmeweise warme Häppchen, Oliven und Freundlichkeiten gereicht; wer einmal Platz nimmt, wird nicht viel von Nizza sehen, so demobilisierend wirken sich die Herzlichkeit der Menschen und die Knabbergaben der Wirte aus. In Folge lässt man das glasweise Bestellen gleich einmal bleiben und wechselt zum Pichet, den unsere Freunde aus der Bundesrepublik so liebevoll Schoppen nennen.

Freundlichkeit auch im Hinterland: In St. Paul-de-Vence, das St. Wolfgang Frankreichs, darf man ungestört durch törichte Parkmanöver die Ansässigen reizen – die Quittung bleibt gelassen freundlich und wohlwollend. Mittelalter auf Schritt und Tritt, vertrauter Trödel und „Kunst“ wo hin man auch sieht - und ein Blick bis zum Meer, den David Cameron bestimmt mit „astonishing“ adeln würde. Zurück im Leihwagen auf dem Weg nach Cannes wird jeder eigene Fluch auf den Straßen über die Konguidanten zu einer beschämenden Selbstkritik, sei sie auch noch so berechtigt. Was sind wir doch für verbissene Austro-Unsympathler.

Das Zentrum ungekünstelter, von Herzen kommender Freundlichkeit scheint aber Antibes zu sein: Hier klopfen die Einbrecher sogar an der Hotelzimmertür an, bevor sie ihren Versuch einzudringen starten – beachtlich. Côte d´Azur? Côte gentille! Die Chance, das wieder zu erleben ist möglicher Weise im Hotel La Place, Avenue du 24 Août, am größten. Wem selbst freundliche Menschen zuviel werden können, kann in Antibes auf den Sentier du Littoral flüchten: Ein in den Fels gehauener Trampelpfad rund um das langgestreckte Kap, mit zerklüfteten Felsen, Garriquepflanzen und dem Duft des Meeres, aber hallo!

In Cannes, dessen hohe, enge Gassen hinter der vor Luxus extrem breitprotzigen Croisette wunderbar verlottern und anpatinieren dürfen, verzeihen Schuhverkäuferinnen kaufabsichtslose Torheiten mit Grandezza, und dialektal unverständliche Eisverkäufer sehen dem entscheidungsschwachen und damit den Flight aufhaltenden Kunden echt freundlich sein Rumzipfeln nach. Die Nonchalance der schattigen Stadt deckt sich mit jener ihrer Bewohner, das tut der getögelten wiener Seele gut, ist Balsam auf vor Demut buckligen Rücken.

Nizza
Nizza, Cours Saleya
Nizza
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Weiter gen Westen, weiter nach Saint-Tropez! Prunk, Luxus, Protzerei – geht das freundlich auch? Na und wie! Selbst wenn die riesigen Yachten, die vergeblich in ihrer Drecks-Soache schwimmend auf ihre Rechtfertigung warten, die freie Sicht auf die Hafenfassaden nehmen – die Mitbürger Bardots sind akzentuiert freundlich und überspielen die schwimmenden Peinlichkeiten mit Nahbarkeit und entsprechendem, sprachlichem Entgegenkommen. Die Gassen hinter dem Hafen sind die eigentliche Pracht, breite Gefährte mit aufgedonnerten Gefährtinnen darin finden da keinen Platz. Platz hingegen finden entzückende Lokale, gelb-rosa getünchte Kirchtürme, kleine Märkte und jede Menge Ruhe.
Auch finden freundliche Tourist-Info-Mitarbeiterinnen mit viel Engagement noch ein günstiges Hotel in zentraler Lage, nennen wir es Hotel Colombier (€ 80 DZ), und wünschen eine schöne Zeit, und das von ganzem Herzen.

Vielleicht ist es der Duft der Küste, der für diese gelassene Freundlichkeit auslösend ist, intensiv verströmt von Lavendelbeeten, Rosenstöcken und Klebsamehecken. Zwischen Nizza und Saint-Tropez, Tourettes und Vence liegt ein Aroma in der Luft, das süchtig macht – und möglicher Weise auf seine Bewohner sedierend wirkt. Qui sait? – und wer möchte das Gegenteil behaupten?

Für Al Bundy mag „Du sollst kein Franzose sein“ ja stimmen, aber für unsere Mitbürger, speziell für unsere Kaffeehauskellner, Magistratsbeamte und Polizisten habe ich folgenden Rat: Être Francais!

Gregor Fauma

5 Kritiken | Kritik verfassen

Speising sagt

sehr gut

empfohlen am 10.06.10 @ 21:19

Stationen

1) Hôtel Villa La Tour (Nizza, FR): Einfaches Hotel, deutschsprachig, schnuckelige Minizimmer, perfekte Lage.... [mehr]

2) La Cambuse (Nizza, FR): Einfaches Lokal mit riesigen Portionen Pasta, in riesigen Schüsseln mit duftend... [mehr]

3) Grand Cafe de Turin (Nizza, FR): Meeresfrüchte satt, kurz überkocht oder roh. Traumhafte Austern in breiter... [mehr]

4) La Table Alziari (Nizza, FR): Hier werden einfache, für Nizza typische Gerichte angeboten, verfeinert durch... [mehr]

5) L´Auberge des Maures (Saint-Tropez, FR): Ausgezeichnete provenzalische Küche mit einem riesigen Holzkohlengrill, von dem... [mehr]

6) Hôtel Le Colombier (Saint-Tropez, FR): Schönes Hotel mitten im Zentrum, absolut ruhig gelegen. Sehr gepflegter... [mehr]

7) Restaurant La Forge (Antibes, FR): Sehr angenehmes Restaurant mit spannender Karte, perfekter Lage in der Stadt und... [mehr]

8) Hôtel La Place (Antibes, FR): Moderne Zimmer, schnörkellos, zweckorientiert, zentral und günstig. Brasserie... [mehr]

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