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Christian Domschitz antwortet

Ansichten aus dem Vestibül

10.04.10 @ 20:38

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Vestibül

Wie laut geht es bei Ihnen in der Arbeit zu?

Leise und konzentriertes Arbeiten zu den Küchenzeiten, Kommandos kommen vom Pass, vorher und nachher Rockmusik in der Küche, zum Aufwärmen davor und Entspannen danach.


Wie lange dauert es, bis Sie mit Ihren Mitarbeitern diesen Zustand erreichen?

Bis zu einem halben Jahr. Mein Sous-Chef kocht schon über zwanzig Jahre mit mir gemeinsam. Andere Mitarbeiter sind schon über sechs Jahre an meiner Seite - und bei neuen braucht es dann schon seine Zeit, bis sie auch bei Gerichten, die ich nur alle paar Monate koche, genau über die Handgriffe bescheid wissen. Vier bis fünf Monate werden es schon sein.


Ist für Sie die Krise für das Sterben der Spitzengastronomie in Wien verantwortlich?

Eindeutig nein. Es sind ganz andere Beweggründe, warum Top Restaurants plötzlich Ihre Pforten schließen. Das hat nichts mit der Krise zu tun, diese dient lediglich als Ausrede für Betreiber, um eine plötzliche Konzeptänderung gut darstellen zu können. Die Leute an der Spitze, die den Esprit dieser Häuser geprägt haben, sind sicherlich nicht schuld daran. Wenn man sich dagegen Familienbetriebe ansieht, diese schließen nicht, sondern laufen genauso gut wie zuvor.


Isst man jetzt weniger gut, da es weniger Auszeichnungen gibt?

Auf keinen Fall. Ich glaube auch nicht, dass der Gast sich ausschließlich nach Auszeichnungen in seiner Restaurantwahl richtet, sondern es viele andere Beweggründe gibt, warum er gerne Gast ist.


Hat Ihr Sous-Chef keine Ambitionen?

Mein Sous Chef Alois Traint hat viele Ambitionen, die er in unserem Betrieb ausleben kann und dies auch tut. Die Bühne dazu gebe ich ihm gerne und mit vollstem Vertrauen. Er ist für mich ein Fels in der Brandung und an meiner Seite nicht mehr wegzudenken. Sein Bekanntheitsgrad in Wien ist teilweise größer als von manchem Küchenchef.
Er ist sozusagen ein Familienmitglied.


Peinlichkeitsgrenze nach unten? Österreicher auf der Möbelmesse, Rieder als Single in der Zeitung …?

Das muss jeder für sich entscheiden. Jeder macht das, was er für richtig hält. Nichts ist falsch, nur anders. Ich lebe das, was unser Restaurant darstellt. Zurückhaltend, diskret, auf Qualität und Beständigkeit fokussiert. Man kommt nicht ins Vestibül um gesehen zu werden, sondern weil man weiß, dass alles diskret abläuft. Wir haben hier Gäste, wie ich sie noch nie hatte: Regisseure, Schauspieler, Dirigenten, Botschafter, den Herrn Bundespräsidenten mit Gattin … wir haben pro Jahr hier 40 Attaché-Wechsel mit den Soldaten in Gala-Uniform und den Bodyguards … das ist schon einmalig hier. Und das alles ohne Tamtam


Ihre Vita mit den Wechseln?

Ich bin seit 1986 in Wien, nur drei Betriebe vor dem Vestibül: 10 Jahre Bauer, 5 1/2 Jahre Ambassador, 3 1/2 Kameel und werde jetzt bis zur Pension im Vestibül sein. Ich bin erstmals selbständig, was ich nie wollte. Ich als Koch bin der Kreative, um die betriebswirtschaftlichen Dinge kümmert sich meine Frau Veronika Doppler, ich kann mich um die Küche kümmern, gemeinsam betreuen wir die Gäste.


Braucht Luxusgastronomie Mäzene, die das als Hobby betreiben?

Es kristallisiert sich heraus, dass die Familienbetriebe Erfolg haben können. Da arbeiten die Eigentümer mit, der Wiener Gast sieht das auch gerne, wenn der Chef mitarbeitet – das ist die Möglichkeit, auch auf hohem Niveau sich halten zu können. Wir halten es bei uns familiär.


Türmchen beim Anrichten? Modeerscheinungen in der Küche?

Ich habe auch Türme gebaut, damals. Ich habe schon alles Mögliche mitgemacht. Die klassische Küche in Frankreich gelernt, die Nouvelle Cuisine in der Schweiz und auch die Molekular Küche in Österreich am Anfang mitbestimmt. Man nimmt von überall das mit, was einem nützlich ist. Ich würde nicht sagen, dass ich kein Türmchenbauer mehr bin. Ein Türmchen bei mir ist das Blunzengröstel: In den Ring kommen das Kraut, Erdäpfel, Blunze, außen knusprig angebraten – innen heiß, Ring hoch, das ist ein Türmchen.
Bei der Molekularküche war ich einer der ersten, der mit der Firma iSi zusammengearbeitet hat. Man hat mich gebeten, einen Workshop zu machen, wie man mit der iSi-Flasche kochen kann. Ich habe ein Gericht kreiert: Gurkenspaghetti mit Wallersugo und Rauchfischsauce. Die Sauce war aus Schlagobers und Rauchfisch, kam aus der iSi-Flasche heiß, perfekt. Die Flasche habe ich in 70 Grad heißes Wasser gestellt, das gab es vorher nicht. Das war nicht üblich, man hat gesagt mach das nicht. Da ist der Adrià Ferran gekommen, hat sich das ganz perplex angeschaut, ich hab ihn kosten lassen – und darauf hat er mich in sein El Bulli eingeladen. Aber weiter habe ich die Molekulargeschichte nicht verfolgt.


Wo geht der Trend hin?

Ich mache hier Brasserie mit österreichischen Produkten. Mein Trend ist, dass ich hier herzhaft koche. Es gibt bei mir zum Beispiel Speisen wie roh marinierte Rinderscheiben mit Senfsauce, Schnecken aus Rothneusiedl vom Gugumuck, der erste, der Schneckenkaviar produziert. Ich orientiere mich nach den 70er und 80er-Jahren. Schnecken Burgunder Art. Ein Highlight, das ich nicht mehr missen möchte, ein Pfeffersteak mit Laphroaig-Whisky-Sauce, grünem Pfeffer, Speckfisolen .Dieses Gericht ist ein neuer Klassiker im Vestibül. Ebenso wie Tarte Tartin frisch aus dem Kupferpfand´l, vor dem Gast gestürzt. Unsere Gäste lieben das, weil es puristisch ist, einfach schmeckt, das ist der Trend, den ich weiterverfolge. Klassische Gerichte, mit hervorragenden Grundprodukten gemacht.


Sexuelle Übergriffe, Gewalt in nach außen abgeschlossenen Institutionen – auch in der Küche gibt es Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe gegenüber Neulingen, Initiationsriten …?

Bei uns wird jeder Mitarbeiter mit Respekt behandelt, das ist das Um und Auf einer funktionierenden Unternehmenskultur. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Ausraster und Übergriffe sein müssen, die zeigen nur von Schwäche und sind in keinster Weise entschuldbar – nicht durch Stress oder sonst was. Man hat die Führungsverantwortung und Fürsorgepflicht in einem Unternehmen den Mitarbeitern gegenüber.
Wir haben zum Beispiel das Familienessen eingeführt: Am Samstag, um 17 Uhr – wir öffnen erst um 18 Uhr, essen wir alle zusammen, Service und Küche, am großen Tisch, schön eingedeckt, Wein, Wasser, … aus der Küche kommt ein Gericht, wie wir es den es auch die Gästen servieren … wir genießen das gemeinsame Abendessen, bevor die Gäste kommen. Wir wollen damit unseren Mitarbeitern zeigen, dass sie uns viel wert sind. Zufriedene Mitarbeiter sind das Um und Auf.



In der eigenen Ausbildung, ging es da manchmal härter zu?

Das waren andere Zeiten, härter sicherlich auf eine ganz andere Art, ich habe damals mit 17 Jahren schon eine 7 Tage Woche gehabt, über Monate hinweg. Mir wurde von meinen Eltern vorgelebt, was es bedeutet, sich etwas selbst aufzubauen.


Hat das viel mit Macht zu tun?

Wozu braucht man Macht? Für das eigene Ego vielleicht. Die Instrumente, um etwas längerfristig zu erreichen sind doch ganz andere. Gut durchdachte Strategien, die halten. Respekt hingegen ist mir wichtig.


Einfluss der Gastrokritik auf Sie?

Kritik ist immer wichtig, positive und genauso negative. Man sollte dankbar dafür sein.
Wenn man die Beurteilung von außen in Ruhe reflektiert, lernt man für sich dazu.

Ich nehme es nicht allzu persönlich. Einmal wurde mir vorgehalten, ich sei arrogant. Da wurde mir die Frage gestellt „Wie machen´s denn die Braterdäpfel?“ ich habe geantwortet: Butter in heiße Pfanne geben, Erdäpfel anbraten – aber was hätte ich anderes sagen sollen?


Wie sieht eine perfekte Gastrokritik aus?

Man sollte schon ein paar Mal bei mir gegessen haben und einen Tag oder eine Woche bei mir mitkochen. Wir bieten das auch als AKTIV KOCHEN an, einen Tag in der Küche des Vestibül´s verbringen. Es braucht Systemkenntnis um gute Kritik zu schreiben. Passieren kann immer etwas, aber ein Küchenmalheur sollte nicht Thema der Kritik sein, sondern eher wie wir mit der Kritik des Gastes in dem Moment umgehen. Ich erzähl ihnen eine Geschichte: Ich hatte Wildschweinrücken auf der Karte, und spät abends kommen 4 Gäste, nicht reserviert und bestellen 4x Wildschwein. Ich hatte aber nur mehr 3x Wildschweinrücken, den ich getestet hatte. Ich schneide, wenn das Fleisch kommt, immer ein Stückerl ab, brate es an und koste ob es passt. Jetzt hatte ich aber für den 4. Gast keinen getesteten Rücken und habe den genommen in der Hektik, der für die nächste Woche vorgesehen war. Na prompt beschwert sich der Gast, dass sein Rücken hart sei, bei den anderen drei Gästen hat es gepasst. Ich nehme den Teller zurück und mache dem Gast stattdessen ein Filetsteak. So weit so gut. 3 Monate später lese ich, ich könnte kein Wildschwein zubereiten und habe eine Haube weniger bekommen. Das ist ein Riesenpech. Man hätte auch bewerten können, dass der Chef rauskommt und sich persönlich um das Malheur bemüht und versucht hat, das Probelm professionel zu lösen.


Wohin gehen Sie selber gerne essen?

Wo ich einfache, ehrliche Küche vorfinde, Meixner, wo ich weiß seine Kutteln sind die besten und dann eine gebackene Fledermaus … Gasthaus zur Dankbarkeit in Podersdorf, da passt es auch immer.
Und natürlich zu Konstantin Filippou ins Novelli – ganz große Küche.


Wonach urteilen Sie in solchen Lokalen?

Ich möchte, wenn ich essen gehe, auf der anderen Seite sein, mich entspannen, ein gutes Essen haben, ein nettes Service genießen …


Was trinken Sie am liebsten?

Extra Brut von Willi Bründlmayer


Was ist im Eiskasten?

Alles für ein perfektes Frühstück am Sonntag – unser Ruhetag.

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