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Christoph Wagner's Weblog
26.12.03 @ 02:36
Anrichten oder Hinrichten?
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Habe heute irgendwo im Nachtprogramm eine Sendung über Restaurantkritiker aufgeschnappt. Ein prominenter Kollege — er war, wenn ich mich recht erinnere, jahrelang Chefredakteur des Deutschland-Michelin — sprach dort u.a. über die Wichtigkeit des Anrichtens für die Sternebewertung.
Ich muss ihm da widersprechen. Wenn ich ein bisschen aus der Schule plaudern darf, so ist die Anrichteweise eines Gerichts für mich zunächst immer eine Fata Morgana, die es zu abstrahieren gilt. Wo eine Wüste ist, kann keine Oase sein, auch wenn es so aussieht. (Wenn freilich eine Oase da ist, so kann sie mehr oder weniger schön sein.)
Sobald ich ein Gericht aufgetischt bekomme, ist mein erster Gedanke daher stets, es zu dekonstruieren. Sicher weiß auch ich, dass die Augen ganz gerne mitessen möchten. Doch ich tue, in Ausübung meiner beruflichen Pflicht, zunächst alles, um sie daran zu hindern.
Ich denke mir daher, noch bevor ich zu Messer und Gabel greife, alles Überflüssige weg: die hübschen pyramidalen Aufbauten aus Zitronengras oder Käsestangerln, die kleinen, um Eindruck zu schinden, servierten Side-dishes vom Sellerie-Chip über den Püreeklacks bis zur attraktiv über den ganzen Teller gezogenen Demi-Glace-Schraffierung. Die Liste könnte, je nach Zeitgeist und Laune, vom rosa Pfeffer bis zu den Rote-Rüben-Würfelchen, und vom 1001en Chutney bis hin zu Kürbiskern, Bockshornklee und Senfkornsamen fortgesetzt werden.
Was für die Erkenntnis bei Tisch bleibt, ist letztlich immer nur zweierlei: die Hauptzutat (Fleisch, Fisch, Getreide, Gemüse) und die sie umgebende Sauce (so es eine solche gibt).
Viele Küchenchefs sind absolute Großmeister in der Kunst, von diesen beiden Essentials jeder großen Küche abzulenken. Und nicht selten dient all der Firlefanz rundherum lediglich dem Ziel, den kritischen Gast auf falsche Fährten zu führen.
Wenn man ein Gericht jedoch erst einmal erfolgreich dekonstruiert hat, dann kommt die Wahrheit sehr schnell ans Tageslicht: die Entenbrust, die so gar nicht zart ist; der Fisch, der schon bessere Tage erlebt hat oder, sollte er frisch sein, viel zu lange Pfannenberührung hatte; der Salat, der zwar adrett drapiert ist, aber mit mittelmäßigem Essig und miesem Öl angemacht ist und in Wahrheit auch Blätter birgt, die man besser der Betriebsverpflegung überantwortet hätte; die Sauce, der es an Kraft und Konsistenz fehlt; die Gemüsebeilage aus der Bain-Marie; das zahnlose Fleisch aus der (auch unter Starköchen als mega-zeitgemäß geltenden Sous-vide-Konserve); die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Was ich sagen wollte, ist nur dies: Das Lieblingsmärchen vieler Köche scheint immer öfter jenes von "des Kaisers neuen Kleidern zu sein" (nachzulesen bei Hans Christian Andersen).
Die Aufgabe des kritischen Gastes (und somit auch des so genannten Gastro-Kritikers) sollte daher vor allem auch darin bestehen, die verkosteten Gerichte nicht nur wahrzunehmen, sondern auch auf ihre Substanz hin zu verifizieren.
Je mehr Gäste dies auch tun, desto besser werden wir alle essen.

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