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Christoph Wagner's Weblog
12.01.04 @ 01:09
100 Prozent Sangiovese
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Mein Freund R. besitzt eine feine Glasbläserei und hat mir ein paar Gläser mitgegeben. Zu Testzwecken, sagte er. Ich solle einfach einschenken, was ich gerne trinke und ein kleines Protokoll darüber aufsetzen. Dafür gehörten die Gläser dann mir. Kein schlechtes Angebot. Denn die Gläser meines Freundes sind schweineteuer. Vermutlich weil sie so hauchdünn sind.
Also ich wasch sie Dir nicht, sagte meine Frau, und in den Geschirrspüler kommen sie mir auch nicht. Letztes Mal, als R. dir Gläser mitgab, habe ich eine halbe Stunde gebraucht, bis ich mit dem Staubsaugerrohr die letzten Splitter aus dem Geschirrspüler herausgekitzelt habe. Ich will dein Kristall nicht im Salat haben.
Ich starrte auf die Kiste. Nach einer Weile schälte ich nach dem Zufallsprinzip eines der Gläser aus dem Seidenpapier. Der Kelch sah aus wie ein aufgeblasenes Präservativ. So mundgeblasen wie dieses sah noch selten ein Glas aus.
Es war zu spät, um noch eine neue Flasche zu köpfen, aber ich hatte noch eine Flasche Sangiovese offen. Nichts Großes. Schon gar kein Sangiovese Grosso. Vielleicht sollte ich doch in den Keller hinabsteigen und eine meiner alten Flaschen Biondi Santi öffnen, dachte ich. Allein schon um zu sehen, ob sie noch was taugten.
Doch ich stieg nicht hinab. Ich goss etwas von meinem offenen Sangiovese ins Glas, das sich im Gegensatz zu anderen Gläsern nicht zu Himmel, sondern zum Stiel hin verjüngte. Verrückte Designer. Doch das Glas passte dem Wein wie ein Handschuh, schien ihn förmlich verschlingen zu wollen. Heda, loslassen, dachte ich, ich will auch noch was davon haben, und widersetzte mich dem Sog.
Der Wein drückte nach unten, als wollte er zurück in die Erde strömen, die ihn hervorgebracht hatte. Ich steckte meine Nase tief in das Glas, dessen Kelch gottlob weit genug dafür war und versuchte, den Wein durch heftiges Einatmen zu einer Kehrtwendung nach oben zu bewegen.
Der Sangiovese dankte es mir, indem er ein paar Pflaumenschwaden losließ, die mir wie kleine Fürzlein in die Nase stiegen. Ansonsten blieb er verschlossen.
Sangiovese, Sanguine Iovis. Das Blut des Jupiter. Angeblich haben es schon die alten Etrusker geschlürft.
Ob Jupiter auch furzte?
Das Glas schien sich mittlerweile am Wein gesättigt zu haben. Es war so durchsichtig, dass der Sangiovese fast schwerelos darin schwebte. Ich versetzte ihn in eine drehende Bewegung, wodurch es mir immerhin gelang, ihm ein bisschen schwülen Dunst abzutrotzen, wie von einer Blumenwiese, die noch vom Morgentau dampft.
Ich steckte meine Zunge in das Nass. Der Wein ließ es willfährig mit sich geschehen, übte aber für das gewaltsame Eindringen in sein Inneres sogleich Rache, indem er sich völlig verspannte. Der Sog nach unten wurde wieder stärker, und meine Zunge fühlte sich an wie die Dauben eines Holzfasses, um das herum eiserne Reife festgezurrt wurden. Ich hatte Mühe, meine Zunge aus dieser Umschlingung wieder zu lösen und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich daran, auch als sie wieder frei an der Luft tänzelte, eine ätzende Säure festgesetzt hatte, die ihr zumindest einen Teil ihrer Bewegungsfreiheit raubte.
Bitter schmeckte die Zunge nun, so als wären die dünnen Häutchen einer noch etwas zu grünen Walnuss daran kleben geblieben.
Ich stellte das Glas in die Mitte des Tisches, und zwar so, dass ich es sitzend kaum noch erreichen und umklammern konnte. Ich hatte Angst davor. Doch dadurch, dass das Glas nunmehr direkt unter der Tischlampe zu stehen gekommen war, begann sein Inhalt plötzlich wie ein Rubin zu funkeln und schlug, nachdem mein Gaumen den Sangiovese abgewiesen hatte, nunmehr meine Augen in seinen Bann. Je länger sie den Wein anstarrten, desto trunkener wurden sie davon, und nach geraumer Zeit konnte ich mich dem Drang, das Glas wieder aus der Tischmitte zurück an die Kante, zurück zu mir zu ziehen, widersetzen und führte es erneut an meine Lippen.
Ein Schwall, überschwappend wie das Rote Meer, ergoss sich über meinen Zungenrücken. Erneut spürte ich die Fesseln, die sich um meine Zunge legten, doch ich wehrte mich nicht mehr. Willfährig unterwarf ich mich dem Wein und seinem Sog.
Am nächsten Tag trug ich das Glas zu meinem Freund R. zurück und sagte: Ich bin ihm nicht gewachsen, ich will es nicht mehr.
Was hast du denn daraus getrunken? fragte mich R.
Hundert Prozent Sangiovese.
Vielleicht waren das ein paar Prozent zuviel , erwiderte R. Du hättest Burgunder daraus trinken sollen.
Mag sein, dass R. Recht hatte. Jupiter liebt es nicht, wenn man ihn sich zur Gänze einverleibt. Götter sind in dieser Hinsicht manchmal recht eigen.

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