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Christoph Wagner's Weblog
01.05.04 @ 02:46
Jahrgangsschnepfen statt schwarzer Hühner
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Nach zwei bei guter Gesundheit und hellwachem Gehör absolvierten Parsifal-Aufführungen (sowie einem akustischen Nachschlag via Kopfhörer zur Untermalung der wunderschönen Strecke von Ljubljana nach Opatija) muss ich gestehen: Es ist wesentlich leichter, den heiligen Gral zu finden als das schwarze Huhn von der Insel Cres.
Immer wenn ich mir fast schon sicher war, auf der richtigen Fährte zu sein, versickerte die Spur wieder in der roten Erde oder im azurblauen Meer, und was am Schluss von der ganzen Suche blieb, war nur die treuherzige Versicherung eines Lammzüchters, dass es auf der Insel Cres mit Sicherheit schwarze Schafe gäbe. (Ob diese Äußerung eher zoologisch oder politisch gemeint war, ließ er leider nicht durchblicken.)
Doch die Kvarner Bucht ist reich an Legenden, und ich habe die Ehre, den SpeisingerInnen, exklusiv und vor Ort recherchiert, die allerneueste davon zu präsentieren: Es handelt sich um die Jahrgangsschnepfe aus dem sich über die Bucht erhebenden Utckagebirge.
Diese Jahrgangsschnepfe ist zurzeit das bestgehütete Geheimnis der Agrar- und Fremdenverkehrsstrategen des Kvarner und birgt die kulinarische Explosivität eines Single Malt in der 70er Jahren (von dessen Existenz damals auch niemand etwas wusste, obwohl Singles aus dieser Ära heute die Regale der einschlägigen Fachgeschäfte geradezu überschwemmen.)
Tatsächlich ist der Kvarner ein Schnepfenparadies. Je nach Kälte des Winters sind es einmal hundert, in guten Jahren aber auch fünfhundert Exemplare, die sich hier auf ihren Wanderungen niederlassen und von beherzten Waidmännern durch zielorientierte Schießübungen am Weiterwandern gehindert werden.
Nun werden Schnepfen aber nicht nur geschossen, sondern sie legen auch Eier. Diese werden seit einigen Monaten, nach dem Willen der Erfinder des Jahrgangsschnepfenprojekts, kurzfristig entwendet und in einen Brutkasten gesetzt. Nach dem Schlüpfen werden die Schnepfen mit einem punzierten Ring aus Sterling-Silber (man gönnt sich ja sonst nichts) ausgestattet, in den das Geburtsdatum der Schnepfe eingraviert wird. Danach wird sie wieder ins Nest zurück gesetzt und wächst in freier Wildbahn auf.
Die Chancen, dass diese Schnepfen in den nächsten Jahren wieder auf den Kvarner zurück kehren, stehen, wie der angesehene kroatische Zoologe Dr. Josip Istvancic erst unlängst im Auftrag der Kvarer Landesjägerschaft belegte, gut, und wer eine von ihnen erlegt, der hat, so steht zu hoffen, die Chance, damit ein kleines Vermögen zu machen.
Im Gegensatz zu anderen Schnepfen werden die Jahrgangsschnepfen nämlich nicht sofort nach dem Schuss bzw. nach zweiwöchigem Abhängen im Federkleid zubereitet, sondern nach dem Rupfen sofort in heißem, mit reichlich nativem Olivenöl und Kräutern angerecherten Schnependreck gegart. Nach dem Abkühlen werden sie dann Stück um Stück auf Dosen gefüllt, die den Halb-Kilo-Caviardosen zum Verwechseln ähnlich sehen, nur dass statt des Störs eine Schnepfe mit dem charakteristischen langen Schnabel auf dem Deckel zu sehen ist — und natürlich der Jahrgang.
Diese Dosen werden in einem Depot nahe Opatija nunmehr für zehn Jahre unter strengem Verschluss gehalten, was im Klartext bedeutet, dass die erste Jahrgangsschnepfe aus dem Utcka-Gebirge — sie wurde vorigen Herbst abgefüllt — erst im Jahr 2013 auf den Markt kommen wird, wo sie, wie Lebensmittelbörsianer prophezeien, zumindest ähnliche Preise erzielen wird wie eine Flasche Mouton oder Petrus.
Etwa ein Drittel der jährlichen Utckaer Schnepfenernte — so der Fachausdruck — wird jedoch nicht konserviert, sondern nach einer speziellen, vom Zagreber Institut für Lebensmitteltechnologie ud -verarbeitung entwickelten Methode, entbeint, ein halbes Jahr lang luftgetrocknet, danach unter Druck in Schafssaitlinge gepresst und mittels eines Schnepfenschnabels dekorativ abgebunden. Auch diese "Utckaer Jahrgangs-Schnepfenwurst" wird mit einem silbernen Jahrgangssiegel versehen und mindestens zehn Jahre zwischengelagert, bevor sie auf den Markt kommt.
Diese Wurst (die Trademark wurde als Utckaer Schnepfentrüffel bereits angemeldet) soll nach dem Willen ihrer Erfinder nicht mehr und nicht weniger als die Antwort des Kvarner auf die klassische istrische Trüffel sein. Wie diese soll sie nämlich über kroatische Teigwaren wie Fusi oder Surlica gehobelt werden und aufgrund der Seltenheit des Grundprodukts sogar die Preise für Alba-Trüffeln bei weitem übertreffen, wenn nicht sogar vervielfachen.
Gourmets stehen also, wie es scheint, heiße, aber auch schweineteure (pardon: schnepfenteure) Zeiten bevor. Aber immerhin dauert es ja noch fast ein Jahrzehnt, bis die ersten Produkte auf den Markt kommen werden, und so bleibt Schnepfen-Aficionados vielleicht auch noch etwas Zeit, sich den ein oder anderen Spargroschen dafür zurückzulegen. Sobald die erste Jahrgangsschnepfe subskribiert werden kann (und das ist vermutlich schon bald), werden wir auf speising.net selbstverständlich darüber berichten.
P.S.: Zum Schluss noch eine Anmerkung in eigener Sache: Ich bin wirklich zutiefst gerührt, das dieses Weblog auch dann funktioniert, wenn ich einmal eine Woche ausfalle. Die Volte vom schwarzen Huhn über das Hilti-Fabelwesen bis hin zur schwarzen Tussi (deren rot-weiß-rotes Lächeln von den Österreichern offensichtlich doch noch im letzten Moment als optische Täuschung erkannt wurde), die war für einen Naturburschen wie mich, der gerade von der Schnepfenjagd aus dem Kvarner zurückkehrt, nun wirklich herzerfrischend.

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