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Christoph Wagner's Weblog

20.05.04 @ 19:02

Endlich Biokaninchen (oder: Memories from Ischia)

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Biokaninchen, so habe ich mir von Fachleuten erklären lassen, seien aus zuchttechnischen Gründen Mangelware. Umso erfreulicher ist es, dass meine Freunde von Frisch & Frei Biofleisch-Hauszustellung, Fax: 01-402 78 00, Tel.: 01-408 10 10, E-Mail: bestellung@frischundfrei.at, Online-Bestellung:: www.frischundfrei.at ) jetzt ökologisch unbedenkliche Exemplare dieser köstlichen Gattung aufgetriebne haben.

Ich habe mich mit den dortigen, noch halbwilden Bio-Kaninchen anlässlich mehrerer Urlaubsaufenthalte in Ischia intensiv beschäftigt und , weil ich vor meinem Laptop gerne im Schatten sitze und aufs Meer schaue, etliches zum Thema aufgeschrieben, das ich für Kaninophile unter den Speising-Usern auch gerne weitergebe.

LOB DES ISCHITANISCHEN HAFENKANINCHENS

Das Gericht, das ich heute beschreiben möchte, ist eine Spezialität der Insel Ischia, die man allerdings auch auf der Nachbarinsel Procida antrifft. Das Coniglio alla cacciatora, wie es auch genannt wird, ist längst ein Klassiker der italienischen, ja der ganzen mediterranen Küche geworden und gehört keineswegs nur den Ischitanern, ja nicht einmal nur den Bewohnern des Golfs von Neapel, die allesamt viel weniger gerne Fisch essen, als man meinen möchte, weshalb der Kaninchenbraten bis heute ein klassisches Sonntagsessen geblieben ist.

Die Bezeichnung „alla cacciatora” — nach Jägerart — ist irreführend, da die Zeiten, in denen die Jagd nach wilden Kaninchen zu den Lieblingsbeschäftigungen der Inselbewohner zählte, längst vorbei sind. Mittlerweile werden die Kaninchen auf Ischia, mehr oder minder freilaufend, in den zahlreichen Tuffsteinhöhlen des erloschenen Vulkans Epomeo gezüchtet. Die Inselkaninchen sind zwar keine eigene zoologische Spezies, aber doch kleiner und von wilderem, intensiveren Geschmack sowie etwas dunkler getöntem Fleisch, als man es von den Stallhasen der Supermärkte auf dem Festland kennt.

Doch es ist nicht nur der Geschmack, der das ischitanische Kaninchen unverwechselbar macht, es ist sein Umfeld und vor allem das Meer. Zwar grasen die ischitanischen Kaninchen nicht, wie die französischen Presalé-Lämmer, auf vom Meer überspülten, saftigen Weiden und haben das Meersalz damit gewissermaßen im Blut, doch atmen auch sie die solehältige Luft und lecken bei der Nahrungsssuche am Vulkangestein, das im Laufe der Jahrhunderte ebenfalls einen salzigen Geschmack angenommen hat.

Da das Kaninchen alla Cacciatora in der tönernen Tegame oder der gusseisernen Padella, die der Ort seiner Bestimmung ist, zudem mit einer weiteren Prise grobem Meersalz in Berührung kommen wird, ziehe ich es vor, nicht einfach vom ischitanischen Kaninchen, sondern, wie mir scheint, wesentlich treffender vom ischitanischen Hafenkaninchen zu sprechen, weil in diesem Namen nicht nur die feine, salzige Meeresbrise mitschwingt, sondern auch das aus einem alten Vulkansee entstandene Hafenrund von Porto d´Ischia, wo ich vor nunmehr schon weit mehr als drei Jahrzehnten mein erstes derartiges Kaninchen mit damals noch jugendlichem Appetit verspeist habe.

Ich will damit keineswegs sagen, dass mein Hafenkaninchen vor lauter Meereslust fischeln würde! Nun ja, ganz auszuschließen ist es nicht, dass so ein Kaninchen da oder dort einmal neben einer Spigola oder einem Korb Muscheln zu liegen käme oder dass die Padella, in der das Kaninchen zubereitet wird, den letzten Fritto Misto noch nicht gänzlich vergessen hat. Dennoch ist das ischitanische Hafenkaninchen ein Gericht der terrestrischen Aromen, eines, das zwischen Himmel und Erde geboren wurde und bei dem das Meer nur als Taufpate zur Verfügung stand.

Ein schöner Taufpate ist mir das, wenn er dann, oft schon kurze Zeit später, wieder als Leichenbeschauer auftaucht, sobald einem seiner Patenkinder der Balg abgezogen wird. Entweder winkt er dann von weitem, am Horizont gerade noch sichtbar, als azurblauer Streif, tief in die Weinberge hinein. Oder aber er stimmt mit den Wellen, die rhythmisch an die Hafenmole schlagen, einen Trauermarsch an, sobald eines seiner Taufkinder in der Padella einer einfachen Hafen- oder Strandkneipe landet.

Das Kaninchen selbst tut bei diesem Gericht freilich kaum etwas zur Sache, sondern spielt allenfalls eine Nebenrolle. In Wahrheit geht es nicht um das Kaninchen, sondern um die Sauce, die man daraus zieht, und im Grunde geht es auch nicht um die Sauce, sondern um das Öl, das in der Pfanne zurückbleibt und das man am Schluss, wenn das Kaninchen erst einmal bis auf den letzten Rest (bei dem es sich gewöhnlich um den Kopf mit der Zunge, dem Hirn und dem Backenfleisch handelt) aufgeputzt und abgenagt ist, in großen, kreisenden Bewegungen mit einem ausreichend großen Stück außen knusprigen und innen flaumigen Fladenbrotes auftunkt.

Es gibt auf Ischia mindestens ein paar tausend Mammas und ebenso viele Kaninchenrezepte. Keine dieser Mammas hat mit jemals ihr Rezept verraten, aber viele haben mancherlei angedeutet, und ich kann daher zuminedst mutmaßen, wie man es macht: Zunächst einmal verbringt die Mamma etliche Stunden damit zu, das Kaninchen auszuwählen. Sie sucht zu diesem Zweck meist einen Verwandten auf, der in den Weinbergen an den Hängen des Epomeo eine kleine Schänke führt. (Auf Ischia hat praktisch jeder einen solchen Verwandten.) In den Tuffsteinkellern des Epomeo sind neben etlichen alten Fässern meist auch ein paar Kaninchenstallungen untergebracht, und die Mamma hält nunmehr Zwiesprache mit etlichen Kandidaten.

Im Zweifelsfall wählt die ischitanische Mamma nicht das größere und fleischigere, sondern das kleinere und zartere Kaninchen aus und lässt es von ihrem Verwandten mit einem schnellen Stich töten und ihm anschließend den Balg abziehen.

Wichtig ist, dass die Köchin das Kaninchen selbst auswählt und anwesend ist, während es getötet wird. Während das Kaninchen getötet wird, betet sie nämlich ein Vater unser und ein Ave Maria. So wird das Kaninchen zum Opfer, das man dem Gott, dem Herrn, darbringt. Denn würde sie ein bereits getötetes Kaninchen einfach im Geschäft kaufen, so hätte die Mamma den Aspekt des Opfers ausgelassen, und das, so meint sie, brächte wenig Gutes.

Was die Zubereitung betrifft, so ist die Mamma gewissermaßen naturgemäß eine Traditionalistin und legt das von ihr auserwählte Kaninchen, nachdem sie die Innereien entfernt und es in mindestens fünfzehn Stücke gehackt hat, über Nacht in einen halben Liter weißen Epomeowein ein. Das ist üblicherweise ein Bianconella, und er hat ebenso üblicherweise einen leichten Essigstich, weshalb viele ischitanische Frauen es der Einfachheit und Sparsamkeit halber vorziehen, das Kaninchen lieber gleich in Essigwasser einzulegen, was — solange man dabei nicht allzu viel Essig erwischt — einen durchaus ähnlichen Effekt hat.

Noch wichtiger als die richtige Bemessung des Essigs ist jedoch die Wahl des Olivenöls, das keinesfalls zuwenig sein darf. Für ein Kaninchen benötigt die Mamma zwei Deziliter davon, was Nichtitalienern und Diätassistentinnen ziemlich viel vorkommen wird. Selbstverständlich kann man die Dosis auch auf zwei, drei Esslöffel reduzieren, aber glauben Sie mir, das ischitanische Hafenkaninchen verzeiht einem derlei Eigenmächtigkeit nicht und rächt sich, indem es geschmacklich ganz und gar zum Alltagskaninchen mutiert.

Ist das Öl erst einmal gut erhitzt, kommen Zwiebeln, Peperoncini und Meersalz dazu, wie viel, das wissen die Götter, die Mamma weiß es auch nicht, oder sie sagt es nicht. Sie hat das gewisse Gefühl dafür. Ich habe dieses Gefühl mittlerweile auch entwickelt und nehme, je nach Laune und Zwiebelgröße, eine mittlere oder zwei kleinere Zwiebel sowie einen Kaffeelöffel Peperoncini.

Was den Knoblauch betrifft, so wird für gewöhnlich eine ganze, mit dem Messer in zwei Teile geschnittene Knolle mit den Schnittstellen nach unten mitgebraten und erst kurz vor dem Servieren entfernt. In diesem Falle, aber nur in diesem, freut sich das ischitanische Hafenkaninchen auch über die Begleitung eines Rosmarinzweigleins, das vor dem Servieren ebenfalls entfernt wird.

Die Phase, in der wir jetzt halten, ist jene, die für das Aroma des Gerichts schlussendlich die entscheidende sein wird. Entsprechend vielfältig sind auch die möglichen Schritte, die zu diesem Ziel führen können.

So gibt es etwa eine von einem, leider etwas touristischen Berglokal am Fuße des Epomeo hochgehaltene Schule, derzufolge mit dem Knoblauch und den Zwiebeln auch Schinkenfett mitgeröstet werden soll, was den Geschmack des fertigen Kaninchens durchaus nicht beeinträchtigt, aber doch wesentlich verändert.

Wenn die Kaninchenstücke (die Rückenstücke sollten, so wissen Ischias Mammas, keinesfalls breiter als anderthalb Zentimeter sein, da sonst die Sauce nicht richtig einzieht) dann glänzen wie ein Kirchendach in der Sonne, so hat der Epomeowein seinen Auftritt. Da es sich beim ischitanischen Hafenkaninchen um ein Sonntagsgericht handelt, sollte es nicht derselbe Wein sein, in dem das Kaninchen auch mariniert wurde, es bedarf allerdings auch keineswegs eines Weines von besonders hoher Qualität. Fruttato, wie die Ischitaner sagen, sollte er halt sein, trocken und von angenehmem, erdigen Aroma.

Der Wein, es wird sich aller Erfahrung nach um einen Viertelliter handeln, wird sich nicht lange in der Pfanne aufhalten, denn er muss in die Zwiebel und damit in den Saft. Erst wenn er verdampft ist, kommen die Pomodori passati dazu, eine „Conserva”, also, wie sie die Mammas von Ischia allerdings alle Jahre selbst herstellen, nämlich dann, wenn die ischitanischen Tomaten am hellsten leuchten, am fruchtigsten schmecken und obendrein am billigsten sind. Wer keine solche Conserva zur Verfügung hat oder herstellen will, was nebstbei bemerkt, gar nicht schwierig ist, der verwendet am besten eine Dose fein gehackter kampanischer Pelati.

Wenn die Tomaten leise simmern, würzt die Mamma ihr Kaninchen dann noch mit Thymian und Majoran nach, es gibt auch ischitanische Köchinnen, die statt dessen reichlich Petersilie oder Basilikum, meist nur grob gerissen, mitrösten, was der allmählich entstehenden Sauce nicht nur zusätzlichen Geschmack, sondern auch Farbe verleiht.

In diesem Zusammenhang verdient übrigens die Sitte von der Nachbarinsel Procida, das Kaninchen mit Wein und geriebener Limettenschale anzusetzen und statt der üblichen Kräuter mit Minze zu aromatisieren, einer gebührenden Erwähnung. Auch die Methode, das Kaninchen zuerst mit sonnengetrockneten Tomaten anzusetzen und erst am Schluss der Garzeit mit wenigen frischen anzureichern, soll nicht verhehlt werden.

Nun beginnt der lange Marsch des Kaninchens durch die Sauce. Es bedarf dazu keines Deckels und nur allerkleinster Hitze, aber dafür ständigen Wendens und leisen Schmorens im Rohr oder auf kleiner Flamme, bis, nach etwa zwei Stunden und nach gelegentlichem Nachgießen mit einem Löffelchen Wasser oder Suppe, jener Zustand erreicht ist, in dem das Kaninchen so zart ist, dass sich sein Fleisch fast mit der Zunge am Gaumen zerdrücken lässt und das Öl alle animalische und vegetabile Kraft der ischitanischen Vulkanerde in sich aufgesogen hat.

Es wird dem Leser dieser Botschaft gewiss nicht leicht fallen, diesen paradiesischen Zustand schon beim ersten Versuch, das ischitanische Hafenkaninchen zuzubereiten, zu erreichen. Vor allem wird man nur selten alle beschriebenen Aromen vom Tuffstein über das Meersalz bis zu den Fleischtomaten in einer Padella vereinigen können.

Hat man das aber einmal, schlussendllich, geschafft, so ist das Gefühl. mit einem Brotfladen seine Kreise durchs Öl zu ziehen, ein wahrhaft göttliches. Was auch leicht verständlich ist. Denn immerhin hat Gott nicht nur das Kaninchen, die Tomaten und das Öl erschaffen, sondern er leistet auch jedem, dem ein perfektes ischitanisches Hafenkaninchen geglückt ist, beim Essen Gesellschaft.

Davon jedenfalls sind zumindest die Mammas von Ischia zutiefst überzeugt.

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