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Christoph Wagner's Weblog
24.11.04 @ 16:25
Der Fluch des König Salomon
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Obwohl ich niemals einen Führerschein besaß, bin ich stolz darauf, dass ich noch jedes Restaurant, in dem ich speisen wollte, auch erreicht habe. Ich habe altersschwache Postbusse ebenso bemüht wie gefährlich ratternde Fährschiffe, Segelboote und Pferdefuhrwerke; mitunter habe ich mich sogar Traktor- und, was noch schlimmer ist, Porschefahrern anvertraut. Ich habe Wirte und Winzer mit Schalmeientönen dazu gebracht, mich von weither abzuholen. Ich habe alte Freundschaften strapaziert und neue Feindschaften in Kauf genommen. Aber ich bin noch allemal, was ich wollte - nämlich angekommen.
Der Weg in das Restaurant „König Salomon”, das ich vor ein paar Tagen in der Prager Altstadt aufzusuchen gedachte, war gegen die abgelegenen Gebirgshütten und Inselrestaurants, in die es mich schon verschlagen hat, eine ziemlich leichte Übung. Es liegt in der nördlichen Altstadt zwischen Synagoge und jüdischem Friedhof, wäre also leicht zu finden gewesen, wäre in meinem Restaurantführer nicht eine falsche Adresse gestanden und hätte mich mein Taxifahrer daher auch nicht bei strömendem Regen vor einem Lustergeschäft abgesetzt. Er denke nicht, sagte der Fahrer, dass dies ein Restaurant sei. Ich konnte ihm nicht widersprechen, zahlte also schweigend und stieg aus.
Das Lustergeschäft war gerade noch offen, und eine Lusterlady mit leuchtenden Augen wies mir den Weg. König Salomon residiere keine hundert Meter schräg gegenüber, erklärte sie mir. Dummer Weise hatte ich meinen Schirm im Hotel vergessen und war nass wie ein Pudel, als ich bei König Salomon um Audienz einkam.
Es war ein schönes, koscheres Restaurant, eines, das den Begriff koscher ernst nahm, was ich am Waschbecken gleich neben dem Eingang erkannte. Obwohl ich einen Tisch reserviert hatte, bedeutete mir der Kellner mit der Kippa, ich könne mich überall hinsetzen, wo ich wolle, es sei noch genug frei. Ich entschied mich für einen der Tische, der direkt unter der Beobachtung einer Statue des biblischen Königs stand, der Kellner drückte mir die Speisekarte in die Hand, und ich zog endlich meinen klitschnassen Mantel aus.
Alle Tische in diesem Restaurant waren exakt in die gemauerten Nischen des alten, gotischen Hauses eingepasst. Der Architekt hatte in Kenntnis der jüdischen Essgewohnheiten offenbar darauf Bedacht genommen, die Tischplatten möglichst groß zu halten, weil er wusste, was bei manchen jüdischen Festen darauf alles Platz haben musste. Vielleicht hatte er aber auch zu viele talmudische Schriften über die Tugend des Maßhaltens gelesen, denn er ließ zwischen der Tischkante und der Bank darunter gerade einmal zwei Zentimeter Abstand, genug zweifellos, dass ein einigermaßen gottesfürchtiger Jude dazwischen seinen Körper problemlos verstauen konnte.
Nicht jedoch ich, der es, wenn es um das Körpergewicht geht, eher mit Thomas von Aquin als mit dem Talmud hält. Ich versuchte dennoch aufrichtig, es mir zwischen Tisch- und Sitzkante einigermaßen komfortabel einzurichten, doch als mir das nach mehrmaligem tiefem Atemholen schon fast gelungen wäre, erwachte in mir die Angst, ob ich da, wenn ich erst einmal wirklich drin wäre, ohne fremde Hilfe auch je wieder rauskommen würde.
Ich schnappte also meinen regennassen Mantel mitsamt der Speisekarte und wanderte einen Tisch weiter. Doch der Architekt schien ein Präzisionsfanatiker gewesen zu sein, und ich fand die Stauraumsituation genau so vor wie am vorherigen Tisch. Ich untersuchte noch ein halbes Dutzend weiterer Nischen. Allein: vergeblich. Alle Tische standen zu den Bänken im gleichen Verhältnis, und Stühle kennt König Salomon außer seinem Thron offenbar keine.
Also warf ich einen traurigen Blick auf die Karte, die jede Menge köstlicher Gerichte wie Karpfenpastete, gefilte Fisch, Hühnersuppe mit Mazzeschremsel, koschere Wachteln und Apfelkuchen versprach. Ich war ratlos. Ich hatte einen Tisch reserviert, er war auch frei, und ich konnte mich seiner aufgrund des elementarsten Grundgesetzes der Mechanik („Wo ein Körper ist, kann zur gleichen Zeit kein anderer sein”) nicht bemächtigen.
König Salomon liebt mich nicht, dachte ich. Ich meine, er muss mich ja auch nicht lieben. Schließlich bin ich nicht die Königin von Saba, schon gar nicht, was meine Wohlgestalt betrifft.
Und während ich so daran dachte, mit welcher Eleganz die Königin von Saba ihren schwarz glänzenden Luxuskörper zwischen die Tischplatte und die Sitzpölster darunter hätte gleiten lassen, fiel mir der Schluss von König Salomons Hohelied der Liebe ein, in dem es heißt: „Fort, fort, mein Geliebter, der Gazelle gleich, dem jungen Hirsch auf den Balsambergen.”
Ich nahm diese Worte sehr ernst, schlüpfte wieder in meinen Mantel und machte mich aus Angst vor größerem Aufsehen und verdientem Gelächter mit gazellenhafter Beschwingtheit aus dem Staube, um ein anderes Restaurant aufzusuchen. Es war die Vinarna U Zatisi, in der ich nicht nur bequem Platz fand, sondern man mir, sei´s aus Zufall oder aufgrund einer Laune des Schicksals, zum Brotkörbchen auch prompt ein Kanne Olivenöl und ein Flacon Balsamessig reichte.

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