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Christoph Wagner's Weblog

07.12.04 @ 02:20

Essen und Gesinnung

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Das letzte Standard-Rondo verdient Beachtung. Jedes Standard-Rondo verdient Beachtung, aber das vom letzten Samstag in ganz besonderem Maße.

Da ist zunächst einmal der Fotograf Michael Nagl zu erwähnen. Wie es ihm gelang, ein so grausiges Ding, wie es ein Kuttelfleck nun einmal ist, so appetitlich zu fotografieren, dass man ihn beinahe für einen Krause-Glucke-Pilz halten könnte, das macht ihm so schnell kein Food-Fotograf nach. Kompliment.

Die dazu gehörige Geschichte über den „Bauchfleck” verdient ebenfalls Beachtung. Sie stammt vom Kollegen Severin Corti, der insoferne ein Kollege ist, als er ausgezeichnet über Essen zu schreiben vermag, insoferne aber auch keiner, als er auch schon etliche Jahre in einem ausgezeichneten Restaurant (dem Castillo-Grill-Room) mit großem Erfolg aufgekocht hat, was meines Wissens keiner der bekannten Kollegen (inkl. mir selbst) von sich behaupten kann. Seine Geschichte über die Kutteln ist minutiös recherchiert und, da ich bei Corti auch schon Kutteln gegessen habe, sicher wahrhaftig.

Cortis Ceterum censeo, die Kutteln würden es, zumindest in Österreich, nie zu nationaler Beliebtheit bringen, teile ich, und finde das, wie er, gleichermaßen schade.

Zwei Seiten vor dieser absolut lesenswerten Geschichte macht Kollege Florian Holzer, von mir ebenfalls hoch geschätzt, wieder einmal Politik. (Politik zu machen ist zwar nicht die vornehmste Aufgabe, aber, empirisch betrachtet, jedenfalls das liebste Hobby des Kritikers; ich mache auch gerne Politik.) Über das Austro-Tapas-Konzept des neuen „Weinzirl” (das Nachfolgelokal des vom mittlerweile zum Meinl-am-Graben-Großmeister aufgestiegenen Joachim Gradwohl eher glücklos geführten „Ma'estro"), in dem es ihm (zumindest leidlich) geschmeckt hat, schreibt Holzer: „Dass diese Idee der köstlichen Kleingerichte Zukunft hat, dürfte selbst in konservativen Kreisen unbestritten sein.”

Was konservative Kreise in politischer Hinsicht sind, ist klar. Aber was sind sie in der Gastronomie, oder vielmehr in der Gastro-Politik?

Ist jener oder jene, der/die nur zwei oder drei, dafür aber größere Gänge essen will, ewiggestrig? Steht andererseits, wer sich lieber ein Menü aus zwölf amuse-gueule-artigen Miniaturen reinzieht, an der Spitze des Fortschritts? Ist, wer beim Chinesen isst, liberaler als jener, der für Plachuttas Tafelspitz stirbt? Kann Plachutta etwas dafür, dass sein Schwiegersohn Karlheinz Strache heisst? Und könnte er diese sippenhaftende Scharte auswetzen, indem er statt eines 250g-Tafelspitzes lieber viele kleine Siedefleisch-Tapas servieren würde?

Andererseits: Ist ein alter 68er, der sich zwar den Glauben an die Utopien seiner Jugend bewahrt hat, aber lieber geschmorte Ochsenbackerl auf Erdäpfelpüree als Sushi isst, schon ein finsterer Reaktionär? Und ist ein bekennender Fabiotiker aus dem Termingeschäft, der außer Shareholder Values vor allem unerträgliche Seins-Leichtigkeiten wie Tintenfisch-Carpaccio liebt, deswegen als kulinarischer Visionär zu bezeichnen?

Oder, um die Standard-Frage auf die Spitze zu treiben: Hält die Standart des Fortschritts, wer eine Lanze für Kutteln und Andouilettes bricht, oder doch eher jener, der von einer Miniportion Saibling mit Paprikamarmelade schwärmt?

Ich muss in dieser Frage eine gewisse Ratlosigkeit eingestehen. Ich war immer ein Parteigänger des Franzosenkönigs Henri IV, der als Ziel seiner Politik formulierte, dass jeder seiner Landsleute jeden Sonntag einen Coq im Topf haben sollte. Ich habe, glaube ich (so genau weiß man das nicht), als erster das Wort Sushi in einem österreichischen Medium gebraucht. Ich war und bin der Meinung, dass Marie Antoinette, sollte sie das ihr zugeschriebene Diktum „Wenn die Menschen kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen” tatsächlich gesagt haben, zwar nicht mit Recht, aber keineswegs grundlos unter dem Fallbeil gelandet ist. Ich finde Plachuttas Tafelspitz toll, schätze aber Säbeltiger Strache nicht. so sehr. Ich esse gerne Chicken vindaloo, aber fast noch lieber ein Kuttelgulasch oder eine Klachelsuppe, wie sie mein Freund Gerhard Windholz in der „Alten Maut” zu Neusiedl serviert.

Bin ich nun ein fortschrittlicher oder ein konservativer Esser?

Für zweckdienliche Angaben bin ich dankbar.

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