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Christoph Wagner's Weblog

05.01.05 @ 17:13

Die Nacht, in der mir Heinz Reitbauer erschien (Gourmetkritikers Neujahrstraum)

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Was man in der Nacht von Silvester auf Neujahr träumt, das geht, so heißt es, in Erfüllung. Ich verbrachte die Jahreswende im Hotel Astoria in Grado, hatte gerade meine Flasche Roederer Cristal 1997 ein letztes Mal ausgewunden und, da ich ihr so gar nichts mehr entlocken konnte, noch das eine oder andere Schlückchen Grappa Storica Nera nachgelegt, als ich allmählich ins neue Jahr hineindämmerte - und mir Heinz Reitbauer, der Patron des Steirerecks, erschien.

„Ich weiß”, sagte er freundlich, „alle warten darauf, dass ich ihnen das Geheimnis des neuen Steirerecks enthülle. Doch Sie sollen der erste sein.”

Ich fühlte mich selbstverständlich geehrt.

„Sehen Sie da, den Stadtpark”, fuhr Reitbauer fort. „Alle glauben, ich hätte nur die Meierei erworben. Aber das war nur ein Trick. In Wirklichkeit habe den ganzen Stadtpark gekauft und bin im Begriff, daraus eine regelrechte Gourmetstadt zu machen.”

Und weil so etwas in Träumen viel schneller funktioniert als in der Wirklichkeit, stieg vor meinen Augen binnen Sekunden ein kleiner alter Stadtkern auf, mit Wiener Wäschermädeln, die sich selbst bzw. das gleichnamige Gericht feilboten, mit Fiakern, die auf kleinen Holzöfchen Fiakergulasch schmurgelten, mit einer alten Milchbar, in der hinter tausenden indirekt beleuchteten Milchflaschen Abertausende von Millirahmstrudeln lagerten.

Ich sah ein Freiluftrestaurant namens „Wallensteins Lager”, in dem sich ewig der Bratspieß drehte, und zu meiner großen Freude fand ich mich auch vor einem kleinen Wirtshaus wieder, das einem Hans Jörgel von Speising gehörte und schlicht „Backhendlstadt” hieß. In den Gassen promenierten Mandoletti- und Salamutschimänner, Pferdeleberkäseverschleißer, Sardellenprinzessinnen und Türkentrankbrauer. Eine Gruppe von k.u.k. Hofköchen hielt in einer offenen Backstube einen Kaiserschmarren-zum-Selbermachen-Kurs ab. Daneben waren etliche Paulanermönche damit beschäftigt, aus Fischabfällen Weißwürste herzustellen. Die St. Marxer Bruckfleischbrutzler waren leicht an ihren blutroten Schürzen zu erkennen, und Pepifleischhacker legten gerade Hand an den Gaul, während auf einer kleinen Rennbahn daneben ein Demelinerinnensackhüpfen auf dem Programm stand. Der Stadtparkteich war in einen geheizten Swimmingpool umgewandelt worden, in dem gerade ein Germknödel-Wettschwimmen stattfand. Und auf dem Sockel des verwaisten Strauß-Denkmals stand Helmut Österreicher, der unter dem Titel „Zanderbackerl im Jausensackerl” die Ärmsten der Armen mit Gourmetfutter versorgte.

Dennoch irritierte mich etwas an diesem Schlaraffenland. Doch während ich noch darüber nachdachte, wo in diesem feinschmeckerischen Idyll denn der Haken sein könne, gab mir Heinz Reitbauer selbst die Antwort: „Und das alles, Herr Wagner, das alles, was hier zu ihren Füßen liegt, ist gratis. Gratis für alle. Es ist mir nämlich gelungen, meinen Wunsch vom Vierhaubenrestaurant für jeden österreichischen Bürger in die Tat umzusetzen.”

Plötzlich war mir auch klar, wie Heinz R., der schlaue alte Fuchs, das angestellt hatte. Nichts, aber auch schon gar nichts lief in seinem kulinarischen Alt- und Neu-Wien zwischen Malakoffcreme und Hummerbutter ohne Sponsoring. Alle Tische waren mit UNIQA-Tischtüchern eingedeckt, und selbst in den winzigsten Kneipen speiste man unter einem Raiffeisen-Giebelkreuz. Die Rüscherlhauben der Wiener Wäschermädeln trugen MA 45-Aufschriften. „Ja, sogar dem Wasserbauamt habe ich was abgenommen”, sagte Reitbauer nicht ohne klammheimlichen Stolz. „Dafür darf der Michi Häupl bei mir einmal pro Woche zur Primetime als Werkelmann auftreten.”

Die Fiaker trugen auf ihren Melonen das MAGNA-Logo so selbstverständlich wie die für den Pepifleischhacker bestimmten Gäule, denen man obendrein ein Stronach-Konterfei auf den schon recht knochigen Rücken gepinselt hatte. Auf den Flaschen in der Milchbar blitzten einmal pro Minute in verschiedenen Farben der AMA-Schriftzug auf, während in sämtlichen Millirahmstrudeln Toni-Kaiser-Fähnchen steckten. Neben der Spießbraterei im Freiluftrestaurant „Wallensteins Lager” konnten interessierte Laien einen Eurofighter von innen besichtigen. Die Mandoletti- und Salamutschimänner wurden deutlich sichtbar von Nestlé und Masterfood gesponsert. Die Pferdeleberkäseverschleißer trugen Transparente, auf denen „Sag niemals Neuburger zu mir!” stand. Die Sardellenprinzessinnen tanzten in durchsichtigen Olio-Sasso-Schürzen, die Paulanermönche wurden mitsamt ihren Weißwürsten vom Bankhaus Schellhammer & Schatterer gesponsert, und neben dem Germknödel-Swimmingpool, wurde auf einer großen Plakatwand darauf hingewiesen, dass dieser ausschließlich mit säuglingstauglicher Römerquelle und nicht mit Coca-Cola gefüllt war.

Auch Helmut Österreiche hatte für seine Aktion „Zanderbackerl im Jausensackerl” in der Delikatessenkette Hofer einen generösen Gönner gefunden. Heinz Reitbauer selbst trug über seinem schwarzen Anzug eine McDonalds-Schirmkappe. „Die wollten unbedingt auch etwas sponsern, und sie haben von allen das meiste gezahlt”, sagte Herr R.. „Aber leider haben wir im ganzen Steirereck kein Produkt gefunden, das zu denen gepasst hätte. Also habe ich mich selbst zur Verfügung gestellt. Und so ist mein Traum, Stück um Stück, in Erfüllung gegangen.”

Was ich für meinen Neujahrstraum, bei aller Wertschätzung für Heinz Reitbauer und das Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach Gratis-Vierhaubenküche, nun aber doch nicht hoffe.

In diesem Sinn: Prosit Neujahr!

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