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Christoph Wagner's Weblog

15.04.05 @ 12:59

Heiliger Dionysos, schau oba!

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Ich darf mir erlauben, den Beitrag, mit dem speising-Userin eclaire auf meine kleine traubingerische Faunsgeschichte repliziert hat, in mein Weblog zu übersiedeln, da er mir über das Thema Wein weit hinauszugreifen scheint. Unter dem Titel „Heiliger Dionysos, schau oba!” schrieb eclaire:

„Es gab vor kurzem einen Eintrag in dieser schönen Gemeinde, wo einem Wirt'n ein Alkoholproblem unterstellt wird. Da frage ich Dich: sollen denn jetzt alle nur mehr clean und schniek im Nadelstreif herumlaufen, verkleidet als Investmentbanker der "Gourmetindustrie"? Darf nicht einmal mehr ein Koch dick, ein Wirt ein "Alkoholproblem" oder ein Winzer abgearbeitete Hände haben? Gehen alle nur mehr ins Restaurant um nicht satt zu werden, wollen alle trinken aber nicht betrunken sein - Dionysos, Faun: machts was!!!”

Tatsächlich halte ich das von eclaire angesprochene Problem für ein weniger im Alkoholischen als im Religiösen wurzelndes. Die 3 Millionen Pilger beim Papstbegräbnis haben recht eindrucksvoll bewiesen, dass der Papst doch (noch) Divisionen auf die Beine bringt und die Menschen religiöse Sehnsüchte haben, die jedoch - zumindest im urbanen Bereich - weitgehend unerfüllt bleiben. Die Kirche ist dank ihrer sexualfeindlichen und in Sachen Zölibat sogar selbstzerstörerischen Politik zumindest in jener Welt, die Gott schon im 19. Jahrhundert für tot erklärt hat, kaum noch ein nennenswerter moralischer Faktor.

Dabei hat es gerade die katholische Kirche, von ein paar nicht unbedingt menschenfreundlichen „Ausrutschern” wie Hexenverbrennungen und Inquisition einmal abgesehen, mit der seelischen Befindlichkeit ihrer Schäfchen immer recht gut gemeint. Sie verbot ihren Anhängern zwar alles, was von Unkeuschheit bis Völlerei lustig ist, ermöglichte ihnen aber, ihre Sünden mittels Beichtspiegels und Ablassgeldes schnell und relativ bequem wieder aus der Welt zu schaffen. Der Beichtvater machte es fast so schnell wieder gut wie die Wiener Städtische.

Die wahren Beichtväter der säkularisierten Epoche sind jedoch die Ärzte. Sie haben zwar, wie weiland die vatikanischen Ablassverwalter und Säckelwarte, auch ihre Gebühren (und keine geringen), aber sie kennen dafür keinen Pardon. Die sich zunehmend durchsetzende Religion des medizinischen Fortschritts kennt kein Erbarmen, keine Verzeihung, schon gar keine Erlösung, sondern ausschließlich Sühne bis zu Hirntod und „Abschaltung." Sie betrachtet das Leben als eine Gameshow, in deren Mittelpunkt ein Wettlauf steht, bei dem jener als Sieger hervorgeht, den seine Beine, bei guter Gesundheit, am längsten tragen.

Erst jüngst hörte ich rund um das Ableben meines Freundes Rudolf Kellner mehr als nur einmal Beileidskundgebungen der besonders einfühlsamen Natur: „Ewig schad um eam. Aber hätt er net sovü g´fressn und g´soffn, warat er heit no da!” Dabei hat gerade der große Rudi mit seinen knapp 67 Lebensjahren ein wesentlich sinn-, aber auch genusserfüllteres Leben gehabt als so mancher „Langstreckenläufer”, der seinen 95. Geburtstag bei einem Glas Leitungswasser und einer Kukident-Tablette feiert.

Gerade Gastronomen und Feinschmecker müssten wissen, dass es keineswegs immer die größte Portion ist, die am besten schmeckt. Und für das Leben gilt das, finde ich zumindest, irgendwie auch.

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