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Christoph Wagner's Weblog

01.06.05 @ 09:44

Genuss muss auch Sünde sein dürfen

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Eine kleine Kostprobe aus einem Vortrag, den ich bei einem Symposion zum Thema „Konsum oder Genuss" gerade in Linz gehalten habe. Den Volltext gibt´s gleich rechts von diesem Eintrag als PDF zum Anklicken und Herunterladen.

Der Genussmensch von heute fühlt sich von puritanischen Lobbies umzingelt, und es gibt ihrer mittlerweile mehr als genug. Das beginnt schon in der Politik, die auf Druck unterschiedlichster Gesundheitslobbies regelmäßig neue Einschränkungen und Verbote ersinnt und immer stärker auch exekutiert. Das Ziel klingt, zumindest vordergründig, durchaus vernünftig: Das, was man in ideologisch ungesünderen Zeiten einen „gesunden Volkskörper” nannte, soll auch heute um jeden Preis, und sei es um jenen des Genusses, erhalten werden.

Auch in der Öko-Ecke des Schlaraffenlands wartet finsteren Blickes eine machtvolle Lobby und erhebt (leider oft auch mit ziemlich guten Argumenten) ihren politisch korrekten Zeigefinger. Zugegeben: Es ist wirklich keine besondere moralische Ruhmestat, sich an Hummer, Gänseleber und Kaviar zu weiden, wenn man doch genau weiß (oder zumindest wissen sollte), dass sich dahinter Tierleid verbirgt. Andererseits werden viele dieser Diskussionen auch extrem pharisäisch geführt: Ist der Verzehr einer Zuchttaube tatsächlich politisch korrekter sei als jener einer Wildtaube? Und würden nicht auch Bioschweine, die ihr Leben glücklich wie die jungen Hunderln verbracht haben, lieber länger leben, selbst wenn der Biobauer, der sich von hinten lautlos mit dem Schlachtschussapparat heranpirscht, in der Tiefe seines Herzens ein noch so bekennender Tierfreund ist?

Und was nutzt es Feinschmeckern, wenn der Nahrungsmittelhandel seit gerade zwei Jahrzehnten erstmals in der Lage ist, weltweit Steinbutte, Goldbrassen und Seezungen durch perfekte Kühlketten auch ins tiefste Binnenland zu befördern, wo sie von Spitzenköchen auf High-Tech-Herden perfekt zubereitet werden können, wenn Greenpeace gleichzeitig einen - leider durchaus sehr ernst zu nehmenden - Warnschrei ausstößt? Von allen Wasserbewohnern, heißt es in einer neueren Studie, sei derzeit nur der Verzehr von Karpfen, Makrele und Hering ökologisch akzeptabel. Jener von Regenbogenforelle, Nordseekrabben, Gold- und Wolfsbarsch, Miesmuscheln oder Tintenfischen sei bereits kritisch und daher nicht zu empfehlen, während der Genuss von Seelachs, Rotbarsch, Goldbrasse, Heilbutt, Scholle, Seezunge, Lachs, Thunfisch, Kabeljau, Shrimps oder Viktoriabarsch schlicht und einfach als Umweltkatastrophe eingestuft werden müsse.

Sollen wir deshalb wirklich alle, unter Verleugnung unserer evolutionären Vergangenheit als Raubtiere, zu Veganern werden?

Müssen wir uns die Speisekarte und unseren täglichen Einkauf in Hinkunft von Sport- und Ernährungsmedizinern diktieren lassen oder den kulinarischen Genuss auf homöopathisch dimensionierte Häppchen und Schlückchen mit Gymnastik-Einlagen zwischen den Gängen beschränken?

Oder sollte, wer sich Genießer nennt, nicht einfach den Kampf gegen das schlechte Gewissen, das ihm da allenthalben (und sei´s auch auf noch so vernünftiger Grundlage), mit gehirnwaschender Medienbeteiligung eingeimpft wird, tatkräftig aufnehmen und sich von all den wohlmeinenden, aber durchaus auch an kräftigen Gewinnen interessierten Lobbies nicht allzu sehr ins Bockshorn jagen lassen?

Unsere gläubigen Vorfahren hatten es in dieser Hinsicht leichter. Die hatten zwar einen Katechismus, der alle Verfehlungen bis ins kleinste Detail aufzeichnete und mit mehr oder minder grauenvollen Höllen- oder Fegefeuerstrafen belegte. Aber sie hatten auch einen Beichtstuhl, in dem sie einmal im Monat die ganze Sündenlast wieder abschütteln und - bis zur nächsten Beichte - von Neuem zu sündigen beginnen konnten.

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