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Christoph Wagner's Weblog

11.07.05 @ 18:55

Escoffier, ja bitte... (Versuch einer Antwort auf profiler und minimalist)

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Es sei ja jedem unbenommen, sich neue Vorbilder zu suchen oder sich an alten zu reiben. Aber ich glaube, liebe SpeisingerInnen, dass da mancher unter euch dem alten Escoffier doch ein wenig Unrecht tut.

ad) die küche escoffiers war die küche der belle epoque und war in erster linie opulent und monströs.

Okay, aber warum darf Küche eigentlich nicht (zumindest gelegentlich auch) opulent sein? Und was spricht eigentlich gegen die Belle Époque? Sie mag, wie jede Epoche ihre Macken gehabt habe. Aber unsere Musik, Literatur, Architektur, Malerei etc. wären ohne Belle Époque um vieles ärmer. Delacroix, Swinburne, Proust und Oscar Wilde waren auch monströs, aber waren sie deswegen schlecht?

ad) die rezepte extrem aufwändig und zubereitungen dauerten 12 stunden und länger.

Es dauert auch länger, ein gutes Haus zu bauen als ein windschiefes. Es ist auch zeitaufwendiger, einen guten Roman zu schreiben als einen Schundroman. Und es dauert auch seine Zeit, einen schönen Garten anzulegen, eine Gstättn geht schneller. Warum soll das ausgerechnet für die Kochkunst nicht gelten? Warum muss hier unbedingt alles schnell gehen?

ad) butter wurde in unmengen verwendet und die natur der produkte wurde nicht respektiert. im gegenteil mit den zutaten wurde gespielt, sie wurden maskiert und denaturiert. seine küche war "international" und gleichförmig.

Wer hinter die Kulissen sieht (und ich tue das häufig), der weiß, dass auch heute an Butter keineswegs gespart wird. Butter ist nämlich ein Geschmacksträger, ohne den ein guter Koch kaum auskommt. Im Gegensatz zur Behauptung, dass Escoffier die Natur der Produkte nicht respektiert habe, steht die Tatsache, dass Escoffier der erste Vertreter dessen, was man eine neue „Küchenethik” nennen könnte. Ihm verdanken wir die Einsicht, dass alles, was aus der Küche kommt, auch essbar sein muss (früher war vieles aus Pappmaschee oder anderen Materialien). Er war der erste Küchenchef, der auch ernährungsphysiologisch dachte und den Primat des Geschmacks vor dem Dekor postulierte (auch und gerade deshalb, weil er ein absoluter Meister des letzteren war).
Dass Escoffier versucht hat, internationale Standards zu setzen, kann man ihm ebenso wenig vorwerfen wie jedem anderen Künstler. Und wer jemals versucht hat, nach Escoffier zu kochen, dem wird jedes mögiche Vokabel, nur nicht „gleichförmig” in den Sinn kommen. Gleichförmig kochen eher die modernen Küchen-Systematisierer von der „Going Easy”-Espumas-Fraktion.

ad) escoffier selbst rühmt sich in seinen erzählungen, dass er froschschenkel und knoblauch englischen gästen so zubereitete ( deren kulturbedingten ekel vor solchen dingen ignorierend )dass sie nicht mehr erkannten was sie sich zu gemüte führten.

Ich würde das eher als Beleg dafür interpretieren, dass Escoffier Humor hatte und sehr wohl wusste, dass der Reichtum seiner Gäste keineswegs immer mit Geschmackssicherheit einherging.

ad) es gab zwar eine unzahl von rezepturen aber nur sehr wenige produkte und auf regionalität wurde überhaupt keine rücksicht genommen.
so liess er sich zum beispiel den spargel aus argenteuil überall hin nachschicken.

Gerade das Beispiel mit dem Spargel aus Argenteuil zeigt, dass Escoffier sehr wohl ein Gefühl für regionale Produkte hatte. Er ließ sich von seinem Freund Karoly Gundel übrigens auch ungarischen Paprika nachschicken.

ad) für ihn stand die überlegenheit französischer köche und produkte nicht einmal ansatzweise zur diskussion.

Das ist leider ein Merkmal der „Grande Nation”, aber den Chauvinismus hat Escoffier weder erfunden noch wurde er mit ihm zu Grabe getragen.

ad) so erscheint seine aussage mindestens 2000 köche in die welt "gesät" zu haben in einem doch etwas eigenartigem licht.

Ich denke, dass 2000 keine übertriebene Zahl ist und würde ohne weiteres noch ein, zwei Nullen anhängen. Denn ohne Escoffiers „Guide Culinaire” hätte die Küche des 20. Jahrhunderts sich mit Sicherheit (und da weiß ich Gewährsleute wie Witzigmann, Bocuse, Wörther, Haas, Petz u.v.a. uni sono auf meiner Seite) nicht in jene Richtung entwickelt, der sie ihr heutiges - durchwegs hohes - Niveau verdankt.

Abgesehen davon hat der Mann, der Melba den Pfirsich reichte, wie kaum ein anderer vor und nach ihm den Kunstanspruch der Küche postuliert und, was noch wichtiger ist, auch eingelöst. Die Kochkunst verdankt ihm also einiges.

Mit diesen wieder einmal etwas ausschweifenden (man könnte auch sagen: opulenten) Worten verabschiede ich mich in die Steiermark, wo ich ein wenig an meinem nächsten Krimi herumschnitzen, vor allem aber etliche, der „unendlich langsamen” Rezepte von Willi Haider nachkochen werde. An einer frischen Almbutter dafür wird´s mir auf dem Lande hoffentlich nicht fehlen.

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