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SPEISING Open

03.02.09 @ 22:23

Braune Leichen, Kehlmann und das missing ding

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Nun ist es ja so, dass in Österreich gerne junger Wein getrunken wird. Wäre dieser Wein ein Känguruh, so befände er sich zum Zeitpunkt des Getrunkenwerdens noch im Beutel seiner Mutter und man spräche von ungebührlichem Verhalten gegenüber dem Embryo. Da er das aber nicht ist, sagt das auch niemand - nicht einmal hinter vorgehaltener Hand, einer Wiener Spezialität, wird dies leise gedacht.

Selber noch ziemlich im Beutel, stand ich einst trenzend im alten Meinl am Graben (Jessas, der alte Meinl am Graben!) soaferlnd vor dem Rotweinregal und musterte die Etiketten. Riserva musste darauf vermerkt sein, D.O.C.G. war Pflicht und natürlich Classico. Die Colli Senesi überließ ich den Bohlenhörern und die Rufina waren so und so für die Fisch´.
Noch schöner als der alte Meinl am Graben war natürlich der Kauf vor Ort und Siena das Ziel. Querciabella, Querciagrossa, Rampolla, Dievole, Ricasoli und Fontodi – was wie die Mannschaftsaufstellung der Italiener bei der 90er Weltmeisterschaft klingt, war die Beute meiner gierigen Begehrlichkeiten. 90, 91, 95, 97 – das waren die Jahreszahlen meiner Schätze.
Trinken? Niemals! Besitzen, darum ging es mir. Auf den Moment warten. Diesen würdigen. Die Sammlung langsam mit Österreichern, Franzosen und Piemontusen erweitern – aber nur ja nicht trinken. Herrlich, so ein Besitz.

Wetter, Laune und Kochbücher führten aber in letzter Zeit zu stundenlangem Küchenaufenthalt, großem Fleischstück im Rohr und dem Öffnen eines dieser Rotweinschätze mit peinlich großem Gestus mir selber gegenüber. Ein 18 Jahre alter Chianti fällt daher meiner Großzügigkeit zum Opfer. Nach außen hin gelassen und geschmeidig wie der Wojta-Andi, entkorke ich espenlaubzittrig die abgestaubte, sauber geküsste Bouteille, schnuppere verheißungsvoll und neige das Gebinde an den Glasrand. Braun schwappt der Lack ins Glas, flach halten sich die Aromen, trüb der Wein – der Wein ist tot, auch noch nach Stunden. Und es war nicht die erste braune Leiche, in die sich meine Cherubime über die Jahre hinweg verwandelt hatten. Betrübt wie der Wein trüb, quäle ich mich dann die Folgetage immer wieder über einen Kostschluck, schluchz! – die Zeit heilt keine Wunden.
Zum Überdruss trägt dann Daniel Kehlmann in einem Seitenblicke-Interview den gleichen Schal wie ich und erinnert mich, dass es mir mit seiner Vermessung genau so ging wie mit meinen Rotweinschätzen. Toter Chianti, Kehlmanns Schal – wer sorgt da noch für Licht im tristtrüben Jänner?

Es ist die Besteckladenschwuchtel in mir! Denn heute Nachmittag habe ich das ultimative Gerät erstanden (1 Euro!), das missing ding meiner Laden – ein Küchenutensil, das die braunen Leichen aus meiner Depri-Kalotte nur so rauspuhlt. Fragt mich nicht, wie es heißt, aber man kann damit perfekt Paradeiser aushöhlen. Wer jetzt Parisienne-Ausstecher postet, beweist maximale Ahnungslosigkeit, denn auch damit, wie auch mit schmalklingigen Messern, Löffeln und sonstigen Dilettantenwerkzeugen kommt man lange nicht so flott, glücklich und zufrieden ans Ziel, nämlich einen schön ausgehöhlten Paradeiser, wie mit diesem rot-orangen, scharfrandigem Plastikzylinder auf Griff. Das wird herrlich leichte Gerichte geben – und dazu werde ich mir trotzig aber zu Recht einen Jungwein öffnen – es kann ja manchmal so wunderbar einfach sein …

gf

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