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SPEISING Open

19.01.11 @ 11:43

Die Deppenküche

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Zuerst wollte ich etwas Beruhigendes schreiben.
Das neue Jahr ist jung und die guten Vorsätze noch gar nicht auf ihre Einhaltbarkeit erprobt. Doch dann erreichte mich gleich wieder die Tartüfferie meines Gewerbes in Form von mehreren gedruckten Publikationen. Neben den üblichen Lobhudel-Illustrierten Falstaff, Kammernachrichten und Gastronomie Markt Media nun auch eine Gewürzkatalog, der sich „Directors Cut“ nennt. Das Titelbild eines leeren Regisseur-Klappstuhls spricht zu mir, dass es einen Koch nicht mehr braucht. Der darin folgende Inhalt ist die Steigerung der ewigen Gastronomen-Grätsche zwischen Geilheit und Neurose.
Schöpferischer Überfluss wohin man schaut, die lange schon gleichen unruhigen und enigmatischen Charaktere wirken und weben im Glauben an die unendliche Ausbeutbarkeit der Wirte. Sklavenhafte Wertschätzung, die einst vor 30 Jahren noch in sehr kleinen Kreisen der Feinschmeckerei ihre sinnlichste Phase erlebt hat, prostituiert sich jetzt als Nutte für Jedermann. So ist die Kunst doch endlich auch zu einer Folge des Ungenügens an der Wirklichkeit geworden.

Wenn ich jetzt auch etwas am Dasein einer sehr großen Illusion kratze, will ich sie doch nicht gleich zerstören. Sie hat bei mir selbst keinen Platz, das habe ich längst durchgedacht und abgelegt. Und weiter schaffe ich damit ja keine neue Wahrheit, sondern erzeuge damit ja noch ein Stück Unwissen mehr. Eine Erweiterung der tatsächlichen Leere, ein Zuwachs in unserer Öde.
Zaubersprüche für Gastronomen gab es schon genug. Ob die des hyperaktiven Iberer, des bayrischen Tränensacks oder des kochenden Spitz- und Schnautzbartls, den Meisterschlüssel, das „Schemphorasch“ der Kochkunst, haben sie nicht. Sie versklaven sich dem eigenen Zugewinn und wissen vielleicht nicht ganz, was sie genau tun, wenn sie ihre Zaubertränke mischen. Was Essen für die Volksmasse in Wirklichkeit bedeutet, erfährt man viel besser, wenn man die aneinandergereihten Lebensmittelskandale der letzten 40 Jahre in einem Zug betrachtet.

Aber reden wir von Gewürzen.
Warum braucht der Koch „gecoatetes“ Salz? Der Vertreter erklärt den Vorteil: Man kann Fleisch tagelang zuvor würzen, erst wenn die Hitze des Grills das Fett rund ums Salzkörnchen aufschmilzt, wird’s salzig. Also salzen, damit es dann am Grill wieder mit dem Öl fortfließt. Salz für den Restmüllbehälter? Salzen soll man, so war es allgemein bekannt, weil Salz ein Verdauungsagent ist. Das Salz soll dabei etwas ins Fleisch eindringen und auf keinen Fall mit noch etwas fragwürdigem Fett als Sonderzutat zur Speise beitragen. Vor allem, wenn in der Pfanne gebraten wird, wo das Fett von schlampigen Brutzlern oft mitserviert wird. Das ist nur ein Beispiel aus vielen sehr komischen Praxisempfehlungen, die irgendwelche Vertreter ganz anmaßend von sich geben.

Die Vertreter des Gastronomiegeschäfts haben sich im Grunde nie etwas anderes einfallen lassen, als Methodologen für dort beschäftigte Fachleute zu sein. Das machen sie inzwischen mit Hilfe der enorm schneller gewordenen Medien. Nur akusmatisch, versteckt hinter diesen plakativen Bildern, wo der Koch am Sessel fehlt, da verraten sie sich. Der Koch wird abgeschafft und durch eine „Herde“ Handlanger ersetzt, die ohne Wissen auskommt und nur das tut, was der „Boss“ will. Eine Küche, wie sie sein soll. Speisen, wie man sie sich erwartet usw… Propaganda und Tartüfferie!

Trotzdem:
Der Satz „Eine Küche, wie sie sein soll“ klingt für mich so abgeschmackt wie: "Ein Hund, wie er sein soll."

Das Resultat solcher Entwicklung ist in der Tat eine Art Öde, in welcher die Kunst nur dazu da ist, die Wirklichkeit nicht so dürr und vor Ideenlosigkeit ausgedorrt erscheinen zu lassen. Symptome wachsender Schwäche äußern sich in ihrer Kraft oft verkehrt, zielgerichtet stets zu täuschen.

Aber wie kommt eine Revolution?
Wenn ich mir die Zeit vor 20 Jahren vergegenwärtige, wo man über die damals noch spärlichen Funktionäre der Gastronomie-Vereine, ob Kochverband oder Gourmettester oder Kammerfunktionäre, lächerliche Zoten riss, wo man Zwangsmitgliedschaften abschaffen wollte, und ich es jetzt damit vergleiche wo es eine Unmenge mehr davon geworden ist, wo fast jeder Banause ein Connaisseur, ein Sommelier oder irgendwas anderes ist, das mit der Bestimmung von Geruch, Geschmack oder Konsistenz zu tun hat, dann bestätigt es meine Erfahrung.

Ich glaube, es wäre dringend Zeit, diese Vertreter und „Vorgesetzten“ einmal auf ihre notwendige Größe zurückzustutzen oder völlig abzuschaffen. Aber man sorgt vor. Inzwischen arbeiten schon ganz junge Sternchen-Köche im Produkt–Styling für die Wirte mit der „Deppenküche“.

Euer Burning Boerni

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