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Das Weinlog

10.06.04 @ 00:06

l'affaire Pavie – j'expose…

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.... oder wie es dazu kommen konnte, dass ein Weinkritiker einem anderen einen Termin beim Transplantationschirurgen empfiehlt:

So langsam kommt die heurige Bordeaux-Primeur-Campagne ins Laufen (nicht zuletzt angeheizt von einigen amerikanischen Medien), doch immer noch wird das lauernde Warten auf die Preise der ersten Tranche der Premiers und Super-Seconds von einer Affäre überschattet, die seit einigen Wochen zwischen den anderweitig Alliierten Amerikanern und Briten schwelt und von den Kontrahenten und ihren Sekundanten immer wieder aufs Neue angeheizt wird.

Begonnen hat alles damit, dass die Britin Jancis Robinson, MW (u.A. bekannt als Herausgeberin des „Oxford Companion to Wine”) als eine der Ersten ihre Beschreibung und Bewertung des neuen Jahrgangs des Saint-Emilion-Stars Château Pavie veröffentlicht hat. Darin beschrieb sie ihre Probe als „lächerlichen Wein”, „mit unappetitlichen überreifen Aromen” und „grünen Noten”, der sie mehr an einen Port oder eine Zinfandel Spätlese erinnere. Mehr als 12 von 20 Punkten schien ihr dieses Getränk nicht wert. Zu ihrer Rechtfertigung (?) wies auch noch darauf hin, ihre Weinbeschreibung und Bewertung in Unkenntnis des Produzenten verfasst zu haben, und das vor Zeugen.

Der unbestritten weltweit einflussreichste amerikanische Kritiker Robert M. Parker Jr. (Herausgeber des „Wine Advocate”) hatte zu diesem Zeitpunkt seine eigenen Bewertungen noch nicht veröffentlicht, bezog aber auf seiner Website, noch ohne seine Noten preiszugeben, prompt Stellung ( fora.erobertparker.com/ubb/ultimatebb.php?ubb=get_topic;f=1;t=030597;p=2#000062 ). Zunächst weist er kurz darauf hin, dass bei Anerkenntnis unterschiedlicher Geschmäcker sein Wein anders als der von Mrs. Robinson geschmeckt habe. Danach jedoch greift er Mrs. Robinson frontal an und behauptet, sie hätte eine ”bedauernswerte und verwirrende Geschichte der Abneigung gegenüber den von Perse [Gérard Perse ist seit 1998 Eigentümer von Pavie] erzeugten Weinen und anderen sogenannten ‚Garagisten’”. Der neue Kommentar entspräche auch durchaus dem „gehässigen Einprügeln auf alle von Perse gemachten Pavies”, welches von ihr und „Reaktionären” im Bordeaux und Teilen des Weinhandels gepflegt würde.
Schlussendlich erheitert er sich über ihre Behauptung, blind verkostet zu haben und erklärt, dass der Wein schon an der eigentümlichen Flasche erkennbar sei und bezichtigt sie damit mehr oder minder deutlich der Lüge. Dazu ist zu bemerken, dass Parker selbst kaum jemals blind kostet.
Bald danach erscheint seine Kritik und Pavie 2003 wird darin von ihm als Wein sublimer Reichhaltigkeit, Mineralität, Präzision und Erhabenheit beschrieben. 95-100 Punkte erscheinen ihm dafür gerade angemessen.

Die Fronten sind klar bezogen.
Mrs Robinson fordert das Recht auf eine eigene Meinung, auch wenn diese nicht mit der von Mr. Parker übereinstimme und weist auf ihren „Master of Wine” hin, den man ja auch nicht geschenkt bekäme. (Parker besitzt diesen Degree nicht).
Der Amerikaner Stephen Tanzer beschreibt den Wein ähnlich wie Parker, wenn auch nicht ganz so euphorisch.
Der Engländer Michael Schuster erklärt, eher eine Mischung aus „Port und Amarone di Valpolicella” im Glas zu haben, der zwar ein guter Wein sein könnte, aber in Frage stellt, ob es ein guter „Claret” wäre.
James Suckling vom amerikanischen „Wine Spectator” wiederum ist restlos begeistert und gibt wie Parker 95-100 Punkte.

Nur die Franzosen sind sich nicht ganz einig: Jean-Marc Quarin schlägt sich auf die Seite der Engländer, Michel Bettane hingegen tendiert mehr zur US-Amerikanischen Seite.
Der bislang letzte Schlag kam von Clive Coates (England). Er hält den Wein für untrinkbar und rät jedem, der Pavie 2003 für einen Wein hielte, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Alles andere als gentlemanlike setzt er in seiner Publikation („The Vine”) noch Eins drauf und meint gleich, ein Hirn- und Zungen-Transplantat sei genau das richtige für die Apologeten eines derart inferioren Weines.

Alles wartet nun gespannt auf den nächsten Streich. Wird Jancis Robinson eine öffentliche Blindverkostung mit nachträglicher Abstimmung fordern? Nimmt Parker an oder erklärt er, wer nicht für ihn sei wäre gegen Amerika mit all den dafür vorgesehenen Konsequenzen? Oder verläuft alles im Sand? Zumindest solange bis im kommenden Frühjahr die Weine des Jahrgangs 2003 erneut verkostet und bewertet werden? Wir werden sehen.

Abgesehen davon frage ich mich (und die werten Traubinger) wie so eine Diskussion in Österreich abgeführt werden könnte?
Ist es denkbar, dass sich Kritiker bei der Beurteilung des aktuellen „Unendlich” von F.X. derart in die Haare bekommen, dass ein Koster dem anderen öffentlich unterstellt, mit verbundenen Augen nicht einmal Rot- und Weißwein auseinanderhalten zu können? Worauf der solcherart Angegriffene repliziert, ersterer würde neuerdings nicht mehr erst nach sondern schon während der Weinverkostung in Tiefschlaf verfallen und seine Weinkritiken aus dem Traumbüchlein abschreiben? Wer weiß. Auf jeden Fall viel Platz für Spekulationen.
(Die vor einigen Monaten zwischen zwei verdienstvollen österreichischen Weinmagazinen ausgetragene Fehde über den optimalen Weinflaschenverschluss hat darauf bereits einen Vorgeschmack gegeben.)
-hs

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