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Das Weinlog

10.08.04 @ 01:34

Ein paar Gedanken zum Kerner, seines Zeichens Praepositus 2002 aus Novacella in Südtirol

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Der Kerner ist kein bekannter, auch kein besonders traditionsreicher, aber, wenn er gut gemacht ist, ein absolut trinkenswerter Wein. Es handelt sich um eine 1929 entstandene Kreuzung aus Trollinger x Riesling, also aus einem Weinbankert und einem Weinaristokraten. Mesalliancen führen bekanntlich oft zu den schönsten Kindern, und dieses ist nach dem aus dem schwäbischen Weinsberg stammenden Arzt, Dichter und Weintrinker Justinus Kerner (1786-1862) benannt.

Weil der Kerner eine gute Winterfrostfestigkeit hat, lieben ihn die Augustiner Chorherren (oder deren Önologen) ganz besonders. Denn Neustift liegt nicht in der Toskana, sondern im hochgebirgigen Eisacktal, und da gefriert so manchem Bruder Kellermeister der Allerwerteste schon längst, während seine Trauben noch eiskalt im Händchen liegen.

Ja, kalt isch es in Tirol, wo der Wein oft ganz unerwartet hoch hinauf blüht, weshalb er auch manchmal Tirolinger genannt wird (und das ist, ganz ohne das Zutun nordischer Trolle, nichts anderes als der Trollinger, den man in Südtirol auch Vernatsch bzw. Groß-Vernatsch nennt, ohne ihn deshalb gleich mit Vernaccia zu verwechseln.)

Doch zurück zu Justinus Andreas Christian Kerner, dem Lyriker aus dem Kreise Uhlands, Fouqués und Chamissos. Er war der Herausgeber des "Poetischen Almanachs für das Jahr 1812" und des "Deutschen Dichterwalds", und zu seinen Hauptwerken zählen "Die Seherin von Prevorst", die "Klecksographien" und die Lyriksammlung "Der letzte Blüthenstrauß".

"Der letzte Blüthenstrauß" bringt auch in degustativer Hinsicht so manche Anregung. Wenn ich mir für mein Grab einen Blumenschmuck wünschen dürfte, dann ein Buschkavettl, das nach diesem Kerner Praepositus 2002 aus Novacella duftet.

"Die Seherin von Prevorst", so lese ich in der Literaturgeschichte nach, hat das Hereinragen der Geisterwelt in die unsere zum Thema. Auch das lässt sich erkosten: Der Geist dieses Weines ist zweifellos transparent, wenn man das Tröpferl allerdings höchst diesseitig als "fleischig" bezeichnet, liegt man aber auch nicht wirklich falsch. So doppeldeutig kann Wein sein.

Woher kommt aber nun dieses typisch Muskatige am Kerner? Vom Papa, dem Riesling-Chevalier, oder von Mama, der Trollinger-Hure? Tatsächlich hat es schon so mancher Bankert, auf gut-altösterreichisch auch Kegel genannt, zum Kardinal oder sogar zum Kanzler gebracht. Im Falle des Praepositus bleiben solche Weihen unberücksichtigt, um einen Vorgesetzten handelt es sich aber allemal.

Diese gewisse vorauseilende Anbiederei an gesellschaftliche Hierarchien ist aber auch schon das einzige, was an unserem Kerner brav und bieder ist. Abgesehen davon ist er aufmüpfig, wild, ja, geradezu ein Anarchist — wenngleich einer, der sich gegebenenfalls, in der richtigen Umgebung und mit den richtigen Leuten, und sei´s dank eines in aller Devotion eingebrachten Muskattons, auch zu arrangieren weiß.

Novacella — Neustift — ist ganz eindeutig die richtige Umgebung. Und die Augustiner Chorherren haben sich über die Einstellung der katholischen Kirche zu außerehelichen "Kegeln" längst locker hinweggesetzt. Vielleicht sollte die Kirche, keineswegs nur aus önologischen Gründen, das demnächst auch beim Zölibat tun.

Der Kerner, der Bankert, taugte jedenfalls vorzüglich zum Messwein, aber auch noch zu viel mehr. Wenn sein fruchtiger, blütenreicher Abgang sekunden-, ja minutenlang am Gaumen verharrt, so könnte man den kleinen, namensgebenden Dichter Justinus Kerner glatt vergessen und statt seiner den großen Dichter Goethe bemühen, der, wenngleich ohne großen Erfolg, "zum Augenblicke" sagen wollte: "Verweile doch, du bist so schön."

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