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Das Weinlog
14.08.04 @ 17:34
"Ich will alles, und das sofort!"
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Nach diesem Motto scheinen viele der heute produzierten und gerne hochgelobten Weine produziert. Ein Maximum an Frucht, Kraft und Extraktsüße kombiniert mit einer möglichst frühen Trinkreife, und garniert mit dem Versprechen, der Wein würde dennoch perfekt reifen. (Wen kümmerts, ob dann in einigen Jahren dieses Versprechen auch tatsächlich eingehalten werden kann, oder sich ein Wein, der einst mit vordergründiger Frucht und dick aufgetragener Holzschminke zu beeindrucken wusste, in einen sperrigen, unbalancierten und ausgezehrten Altwein „entwickelt” hat, der allerhöchstens noch als „interessant” zu bezeichnen ist.)
Gestern hatte ich ein Erlebnis der anderen Art: Ein lieber Freund servierte uns blind (nein, nicht der Freund) ein Pärchen, das unschwer als ein - einmal etwas mehr, einmal etwas weniger - gereifter Bordeaux zu erkennen war.
Der erste Wein präsentierte sich in der Nase deutlich zedrig, merkbar gereift aber immer noch mit leichten Röstnoten und einem beeindruckenden Minzeton, wie er sich hauptsächlich in Pauillacs der Oberklasse findet. Darunter zunächst ein feiner Schokoladeduft, der mit etwas Luft einer beeindruckenden Fruchttiefe und einem im Lauf der Stunde immer komplexer werdenden Bouquet nach Rauch, etwas Tee, Kirschfrucht und immer mehr animalischen Noten wich. Am Gaumen aromatisch deutlich gereift, aber immer noch straff, massives doch seidiges und bereits einigermaßen mürbe gewordenes Tannin. Elegante Süße, niedrige Säure, aber klare Struktur. Nicht der massivste Wein, aber mit toller Balance und von einer Lebendigkeit, wie sie Weine dieses Typs und dieser Altersklasse selten aufzuweisen imstande sind. Auch die Länge am Gaumen war beeindruckend. Einfach am Punkt. (17.5/20)
Der zweite Wein, deutlich jünger, aber auch bereits mit merkbaren Tertiäraromen, schon von Anfang an mit deutlichen animalischen Noten nach Trüffel und Zibet, merlotbetont. Auch feine Minzenuancen, Andeutungen von Kaffee und etwas pflaumiger Frucht. Darunter auch ein wenig grünlichere aber keineswegs unangenehme Töne nach etwas Stachelbeeren. Am Gaumen massives, zwar physiologisch reifes und einigermaßen feines, aber doch noch recht zupackendes Tannin. Kernige Frucht, nach Zwetschken und Blutorange, sehr konzentriert, etwas Süße und gute aber nicht übertriebene Fülle. Etwas mehr Säure als der erste Wein und auch mehr Substanz, aber noch nicht dessen unwiderstehlichen Charme. Guter Bogen, schöne Länge und noch einiges an Entwicklungspotential. (17.0+/20)
Aber worum handelte es sich nun? Außer um Bordeaux und außer um Rotwein? Das Ratespiel begann. Die deutlichen Minzenoten und die massive Tanninstruktur führte uns, den klaren Merlotanklängen zum Trotz, auf die falsche Fährte und ans „linke Ufer” (der Garonne), also in die Appelationen von St. Estèphe bis Pessac-Leognan. Wir wurden vom Einzigen, der bescheid wusste gnädig zurück nach Pomerol geleitet. Na gut, dann der Jahrgang: Es war klar, dass es sich in beiden Fällen um sehr gute bis herausragende Jahrgänge handeln musste und nach unserer Einschätzung des Alters von ca. 20 bzw. ca. 15 Jahren landeten wir doch noch bei 1982 und 1990. Beim Château versuchten wir unser Glück gar nicht mehr allzu lange und schließlich wurden die Weine als L'Enclos 1982 bzw. 1990 aufgedeckt.
L'Enclos ist ein Weingut im Pomerol, mit knapp 10ha Rebfläche von (für dortige Verhältnisse) durchschnittlicher Größe. Laut Robert Parker werden zu 82% Merlot, zu 17% Cabernet Franc und zu 1% Pressac angebaut. Obwohl Parker das Château in seiner Einstufung nur in die dritte („very good”) von fünf Kategorien einteilt, lobt er es doch wegen seines guten Preis/Leistungsverhältnisses. Dennoch erreicht kaum ein Jahrgang „Parker-Punkte” die die Perlenpicker in Rage brächten. Der 82er kam zuletzt gerade auf 87, der 90er immerhin auf 89 Punkte. Für das Weingut ist das sicherlich bedauerlich, nicht jedoch für den Konsumenten, denn so bleiben auch die Preise am Boden: Noch in den frühen 90ern konnte man den 82er in Wien um umgerechnet 25 Euro kaufen.
Und auch die jüngeren Jahrgänge sollten um diesen Preis zu finden sein. Das ist zwar nicht mehr 08/15-Club-tauglich, aber auch noch keine Preisregion in der man im - als teuer berüchtigten - Pomerol Weine zum Einlagern erwarten würde.
Und doch haben gerade diese beiden Weine deutlich aufgezeigt, was diejenigen, die nur dem eingangs erwähnten Motto folgen und dabei sich und den Weinen nicht die Zeit lassen, die sie benötigen, versäumen. Natürlich ist es einfacher jugendlichen Blendern nachzujagen, als nach Weinen zu suchen, die, obwohl nicht zu den ganz großen gehörend, ein tolles Reifepotential aufweisen, und sie dann auch noch über Jahre einzulagern.
Aber ich bin überzeugt davon, dass es sich auszahlt und glaubt es oder nicht, aber wenn es gestern in unserer Runde kurz ein wenig ruhiger war und man genau hingehört hat, konnte man den 82er ganz leise singen hören.
-hs.
(ich bitte gleich jetzt, zu entschuldigen, dass ich in der kommenden Woche nochmals ein paar Tage kaum „on-line” werde)

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