Das Weinlog

22.12.04 @ 17:11

Lyss Naturell oder: Kleiner Nachtrag zum (in CWs Weblog abgehandelten) Thema Naturalismus

Es geht nichts über Weine, an deren Zustandekommen man selbst beteiligt war. Nein, keine Angst, ich bin keiner von jenen Schreiberlingen, die nächtens von eigenen Weinbergen in der Toskana träumen und tagsüber den Winzern mit gut gemeinten, aber meist schlechten Ratschlägen in den Gärtank spucken. Es muss schon klar bleiben, wer den Wein macht und wer über ihn schreibt. Aber wenn man wenigstens ein bissl zum Gelingen beigetragen hat, so kann einen das schon ganz schön stolz machen.

Heute war Karl Kadlec bei mir. Erinnern Sie sich noch an die „Cuvée Naturell”? fragte er mich.
Ich war zunächst etwas verduzt, doch dann fiel es mir wieder ein. Vor einem Jahr hatten wir in seinem Illmitzer Weinkeller einen großartigen jungen Zweigelt aus dem Tank gekostet. „Eigentlich schade”, sagte ich damals, „dass das beste Material der Winzer immer im Barrique landet und der normale Konsument niemals erfährt, wie köstlich der Wein im Naturzustand geschmeckt hätte.”
„Wie könnte man denn einen solchen Wein vermarkten?” fragte mich Kadlec damals, und ich antwortete, so en passant: „Man müsste ihn vielleicht Cuvée Naturelle nennen. Das Wort Natur kommt zurzeit ziemlich gut.”

Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Kadlec unser kleines Gespräch von damals so ernst nehmen würde. Jetzt ist er jedenfall am Markt und auch gerade in meiner Koststube eingelangt, der Lyss rouge Naturell 2003, der zu 90 Prozent aus Zweigelt und zu 10 Prozent aus St. Laurent besteht, bestes, feinstes und hochreifes Traubenmaterial, so richtig „zum Beißen”, aber ohne eichenhölzerne Unterbutterung. Dem „Fettgehalt” des Weines tut das freilich keinerlei Abbruch. Der Wein duftet, als wäre er irgendwo zwischen den Erdbeer- und Tomatenfeldern von Nachbar Stekovics gewachsen. Der Abgang hat zumindest die Länge einer kleineren Rossini-Arie, als Stimmlage würde ich mir einen schönen Bariton vorstellen. Hermann Prey auf der Höhe seiner Schaffenskraft, das könnte hinkommen. Kurzum: Bis dato einer der schönsten Rotweine des Jahrgangs 2003, allerdings wieder einmal ein Monolith von inidviduellem Zuschnitt, der manchen Anhänger von Mainstream-Weinen irritieren wird. Ecken und Kanten wird man dem Lyss Naturell allerdings kaum nachsagen können. Dafür ist er einfach zu fruchtsüß und rund.

Kadlec erzählte mir übrigens, dass die meisten, die er den Wein bis jetzt verkosten ließ, der Meinung waren, dass es sich sehr wohl um einen Barriquewein handle und bass erstaunt waren, als er ihnen wahrheitsgemäß mitteilte, dass dieser Wein niemals mit Eichenholz in Berührung gekommen sei.

Sollte das womöglich bedeuten, dass der Einsatz von Barrique da oder dort auch entbehrlich sein könnte - vor allem dort, wo der Wein selbst über jeden Zweifel erhaben ist?

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