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SPEISING Open
28.02.08 @ 08:10
Vom Nestbeschmutzer zum Erlkönig
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Wie sehr man doch rückblickend die Gegenwart lächerlich findet. In einer Zeit, als Falco gerade unglaublich uncool war und einem auch sonst vieles peinlich, spiegelten auch die Speisenkarten den Zeitgeist in ihrer Prosa wider:
Damals war der Dialog en vogue. Feinere Häuser mussten mindestens einen solchen auf ihrer Tageskarte führen, sonst waren sie es einfach nicht: „Dialog von schwarzem und weißem Risotto“, „Dialog von Kiwi und Kirsch … und Lachs und Zander … und Kreti und Pleti“, - aber leider nie „Streitgespräch von Dille und Kümmel“.
Später, Deutschland wurde gerade Fußballweltmeister und Beckenbauer hatte es trotzdem nicht geschafft, die fettesten Flieger-Raybans populär zu machen, wurde gespiegelt, dass sich der Speisenkartenkarton nur so bog: „Fleisch auf Spiegel von … Filet auf einem Spiegel von … Rahmdalken auf … “ elend. Dazu gesellten sich dann auch noch das Nest und Rucola. Es gab kaum etwas, das sich nicht in ein Nest von Rucola schlichten ließ.
Dem von folgte das an. Tournedos an einer Glace von, Strudel an Vanillesauce, etc. Alles befand sich auf einem Spiegel, in einem Nest oder an einer Sauce. Schreibe ich an einer Sauce? Kurz darauf hieß es natürlich „an seiner Sauce“, schließlich war man ja in Frankreich kiebitzen und darüber hinaus auch Bildungsbürger. „Filet vom Angler, an seinen Gemüsen und auf seinem Spiegel von Limettenreduktion“. Na bitte, wer sagt, dass wir Österreicher nicht offen für Neues wären?
Mittlerweile schon EU-Mitglied, beschließen die Patrone mit ihren Köchen, weniger zu bieten. Alles wurde kleiner: Fleischerl an seinem Safterl mit Knöderl und einem Krauterl. Vielleicht ist die –erl-Endung ein boshafter Akt gegenüber Deutsch lernenden Mitmenschen, und gerade auch deshalb abzulehnen. Unangefochtener Großmeister diesbezüglich ist der „Erl-König“ Wojta, hinlänglich bekannt aus Film, Funk und Fernsehen.
Von der Y2K-Panik erfasst, beschlossen die Menü-Poeten, den Gästen mehr Informationen über die Gerichte zukommen zu lassen. Man konnte lesen, dass der Seeteufel angelgefischt war, dass Gemüse bekam den Zusatz seiner Herkunft, zum Beispiel Breslauer Erbsen, und auch die Zubereitung wurde schon angedeutet. Es brach die Adjektiv-Periode an. Frischer Fisch an knackigem Gemüse an feinem Safterl von. Kaum ein Koch war gegen die Adjektivitis (Wie-Wörtchen-Infektionskrankheit, Anm.d.Red.) immun und es wurden flaumige Nockerln und sämige Safterln dem Gast schmackhaft gemacht.
Diese Phase ist wohl jene, in der Severin Corti intensiv geprägt wurde, er ist wahrhaft ein Meister des spontan gesetzten Adjektivs in seinen Beschreibungen. Ob der Erfolg der Universum-Sendungen ebenso darauf begründet ist? „Gurgelnd gluckernd plätschert der blitzende Bach den ewigen Gesetzen der Natur folgend zum Tal …“
Immer mehr Informationen füllen die Karten: wokgeschmort, handgerührt, almgezogen und wohlgereift. Doch der Wille, sich abzuheben, blieb aufrecht und führte zu einer noch höheren Informationsdichte. Die Namen der Kräuter, die Herkunft des Salzes und die Farbe des Pfeffers waren hier erst der Anfang. Balsamico-Linsen mit zarten Kabeljau-Stückchen und Kerbel trafen auf Argentinisches Hochlandrindsfilet mit seinen Marchfelder Gemüsen an Kümmeljus, mit handgestoßenem Fleur-de-sel aus der Südwest-Bretagne verfeinert.
Zu Ende gedacht steht das komplette Rezept samt Anleitung auf der Speisenkarte: „Saftige Zwiebeln aus Kollnbrunn mit feinem Altlengbacher Rindfleisch vorsichtig geschmort, mit edlem, pan-panonischem Paprika handgewürzt an seinem reschen Semmerl“.
Doch das Pendel hat seinen höchsten Punkt erreicht und beschleunigt nun in die Gegenrichtung. Das ist sehr spannend und klingt so: „Yellow Fin.Junger Spinat.Chiccoree.Oliven.Karamelisierte Schalotten.Kräuterfond“ (www.novelli.at). Die Adjektivitis wurde fast besiegt, ein karges Aufzählen der Bestandteile ersetzt blumige Beschreibungen. Pasta, Paradeiser, Parmesan, Basilikum, Euro 12. Ich. Habe. Fertig.
Wo führt das hin? Ich nehme an, dass die höchste Reduktion in der Benennung der Speiseninhaltstoffe, Adjektive und Zubereitungsarten zu so pervers anmutenden Formulierungen führen wird wie etwa „Rindsgulasch mit einer Semmel“ oder „Paprikahuhn mit Nockerln“. Und auch darüber werden wir dann einmal retrospektiv entsetzt sein.
Gregor Fauma
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