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SPEISING Open
04.01.12 @ 15:45
Das Theater am Stiefel lebt
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Im Zuge der Risorgimento-Bewegung wurde Italien Mitte des neunzehnten Jahrhunderts geeint. Ganz Italien zieht seither an einem Strang, es herrscht Einigkeit in den wesentlichen Fragen des Miteinanders.
Ma kazzo dici - alles nicht wahr. Bereits bei so Kleinigkeiten wie dem korrekten Kaffeesieden finden unsere Freunde des gepflegten Singvogelverzehrs keine Einigkeit. Was lässt sie scheitern?
Da ist einerseits die Menge des gemahlenen Kaffees, über die Uneinigkeit herrscht: Soll man den Siebbehälter der achteckigen Caffettiera nun maximal gehäuft befüllen oder doch nur bis zum Rand mit bündigem Abschluss?
Weiters wird heftig diskutiert, wie man dabei mit dem Mahlgut verfährt: Soll man es fest hineinpressen und dann den Gupf darauf balancieren, oder soll der Kaffee nur ganz locker bis zum Rand eingelöfferlt werden? Oder gar locker aber mit Gupf ...?
Wer vor Ort genau hinhört, dem entgehen die lebhaften und gestenreichen Diskussionen über das richtige Kaffeesieden südlich von Malborghetto nicht. Das muss ausdiskutiert werden, das kann man so nicht im Raum stehen lassen. Doch damit nicht genug. Ob jetzt vollgepresst oder locker bemessen, wie geht es am Herd selbst weiter? Dammi tutto – dreh auf was das Zeug hält, lass es brodeln …?! Oder piano piano, kleinste Flamme und abdrehen, sobald der Kaffee erst hör-, dann sichtbar nach oben gedrückt wird? Roma oder Lazio, Brecht oder Stanislavski, große oder kleine Flamme … was für ein Theater wegen zwei, drei Schlucken heißer Schlacke. Zuviel des Theaters? Nein, auf gar keinen Fall. Man kann nicht genug Theater inszenieren, wenn es darum geht, den perfekten Mokka in die Tassen zu träufeln.
Die Cremina, eine ewig gültige Regieanweisungen zu einer Inszenierung in vier Akten:
1. Man nehme sich Zeit und trinke den Espresso nicht alleine. Man frage Menschen in Rufweite, ob sie auch einen Caffè wollen, lade sie ein und richte die Größe der Caffettiera, der mehreckigen Mokka, nach der Anzahl der Zusagen aus. Vom solipsistischen Einsiedlermodell bis hin zur Großfamilienkanne gibt es eine breite Modellpalette. Je größer die Kanne, desto besser das Ergebnis.
2. Entscheidend ist, dass die Wassermenge zur Kaffeepulvermenge passt – und das geht nur mit der entsprechenden Caffettiera. Man fülle diese bis zum innen erkennbaren Überdruckventil mit Wasser. Man häufle so viel wie nur irgendwie möglich vom Kaffeepulver in das Sieb, aber wage es nicht, es anzupressen. Gupf ist herzlich willkommen. Man drehe die Mokka fest zu und setze sie bei kleinster Flamme offen auf den Herd. Man ermittle laut in der Runde, wer seinen Kaffee gesüßt trinke und bereite entsprechend alles für die Cremina vor.
3. Die Cremina, Mutter des perfekten Espressos und Vater des internationalen Crema-Fetischs.
Die Herstellung ist heikel, kontemplativ und erfordert hohe Präzision im Timing. Man fülle dazu einige Löfferl Kristallzucker in ein Häferl und warte. Man warte darauf, dass die Mokka leise zu brodeln beginnt, fühle sich in den steigenden Druck hinein, starre auf die Austrittsöffnung und harre auf den Moment, in dem der erste Tropfen maximaler Kaffeekonzentration langsam nach oben tritt und vorsichtig erscheint. Man ziehe nun die Mokka vom Herd und träufle diesen ersten, teerig-zähen, tiefschwarzen Tropfen, gefolgt vom zweiten und dritten, je nach Mittrinkerzahl, auf den Kristallzucker im Häferl. Aber Obacht! Zu wenig Tropfen sind im Nachhinein nicht durch Zusatzgaben ergänzbar, hingegen können zu viele durch Zuckerzugaben ausgeglichen werden. Dann stelle man die Kanne zurück auf die kleinst mögliche Flamme.
4. Und jetzt rühre man. Man rühre, schlage und knete die Zucker-Espresso-Mischung mit einem Löfferl zu einem dunkelbraunen Batz, zu einer göttlich duftenden Melasse. Bis der Espresso in der Kanne pfauchend-röchelnd seine Fertigstellung signalisiert, sei der Master of Ceremony mit dem Rühren der Cremina beschäftigt. Aus kristalliner Melasse entsteht eine seidig, honigglatte Cremina und ein jeder Süßtrinker bekomme ein Löfferl davon in seine Espressotasse, bevor diese mit dem Kaffee aufgefüllt werde. Verrührend steigen einem verführende Aroma-Schwaden in die Nase und es bildet sich eine malzzuckerlbraune, dicke Crema an der Oberfläche – ganz ohne Tabs, Pads, Schnips und Flaps. Was für ein Geschmack, was für ein Ritual.
Vorhang, Stille – Applaus, vereinzelte Buh-Rufe esoterisch angehauchter Teetrinker, die meinen, Rituale seien ihnen vorbehalten. Das Theater lebt.
Gregor Fauma
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