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SPEISING Open

24.06.12 @ 16:53

Christoph Wagner

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Dieser Tage, vor zwei Jahren, ist Christoph Wagner verstorben. Er hat das SPEISING.NET gegründet und mit dem Leben seiner Geschichten und Ansichten gefüllt. Nach seinem Tod gab es viele schriftliche Adieus, doch eines wollte ich von Anfang an, hier, auf seiner Plattform, veröffentlicht haben. Es sind die Worte Florian Holzers. Es sind die besten Worte zu Christoph Wagner:

irgendwann vor ein paar jahren bekam ein mehr oder weniger investigatives aufdecker-magazin mit, dass in der restaurantkritiker-branche eine mitunter absurde konkurrenz und härte gepflegt wird. das war skurril genug, um den einzelnen protagonisten dieser szene ein paar gleich lautende (und blöde) fragen zu stellen, darunter, wie man seine mitbewerber einschätze, was man mit ihnen assoziiere. bei christoph wagner waren die ansichten einhellig: fair, kompetent, humorvoll, belesen und mit einem unendlichen Horizont ausgestattet; der erste von uns, der meister, der lehrer.
ich lernte christoph wagner kennen, als ich 1989 mein erstes "wien, wie es isst" im falter-verlag machte und zu diesem zwecke gastkritiken von arrivierten und angesehenen restaurant-kritikern erbat. wagner war damals chefredakteur des soeben gegründeten magazins "gault millau-a la carte", es waren die pionier-tage des feinen essens, alles war möglich, alles interessant, und christoph wagner wusste alles, kannte alles, vermochte alle mit seiner begeisterung anzustecken. er meinte, ich solle über wein schreiben, und zwar dalli, je früher, desto besser, und betraute mich mit einer billigwein-kolumne, bei der ich mir das weinverständnis wirklich hart antrinken musste.

christoph wagner war eine respektsperson, der es seinerseits nie an respekt vermissen ließ. seine urteile wurden eigentlich von niemandem angezweifelt, und zwar nicht – wie wir viel zu früh zu bedeutung gekommenen jungkritiker oft meinten –, weil sie so mild waren, sondern wegen ihrer fairness. und weil christoph wagner keinen gefallen daran fand, jemanden theatralisch niederzustrecken. wo es unvermeidbar gewesen wäre, ließ er eine kritik generell bleiben.
christoph wagner kannte sich mit asiatischen küchen schon aus, noch bevor sie in österreich erstmals gekocht wurden. er hatte schon in jedem dreisterner frankreichs gegessen, aber auch die hinterhof-küchen chicagos kennen und lieben gelernt. er, der aus der theater- und opernkritik zum essen gekommen war, wusste von anfang an, dass es nie nur um gargrad, rezeptur und zutaten ging, sondern dass esskultur etwas ganzheitliches, verbindendes ist. insofern hatte er auch überhaupt kein glaubwürdigkeitsproblem, als er etwa die bücher "fast schon food", eine historische aufarbeitung des fast food, und "alles, was gott erlaubt hat", eine kulinarische analyse des alten und neuen testaments, verfasste, im gegenteil.

apropos bücher. von denen hatte er so viele geschrieben, dass er es selber nicht mehr so ganz genau wusste. wir, die wir ihn bewunderten, liebten es, ihn nach der anzahl zu fragen, ihn dann überlegen und schließlich an der überlegung scheitern zu sehen, "über 70 jedenfalls" kam dann irgendwann als standard-antwort. wie man so viel und so schnell (und dabei so gut) schreiben konnte, blieb rätselhaft, wir jungen, neidigen hatten da schon so unsere theorien, von denen die wenigsten etwas mit disziplin, fleiß, logistik und außerordentlicher hinaktivität zu tun hatten.
ebenso legendär und maßlos und legendär maßlos wie in seiner arbeitsleistung war christoph wagner auch beim essen. niemand konnte so viel, so fett und so schwer essen wie er, und zwar mit diesem genuss, dieser besinnung, dieser freude. in rudi kellner hatte er einen ebenbürtigen partner/gegner, der ihn mit den unglaublichsten gänseleber-konglomeraten und anderen hervorbringungen escoffier’scher fantasie versorgte, die niemand auf der welt so essen, genießen und verstehen konnte wie christoph. rein äußerlich entsprach christoph durchaus dem klischeebild des gourmetkritikers. und sich sorgen um seine gesundheit zu machen, gehörte über die jahre hinweg genauso zum wagner-ritual, wie seine produktivität zu bewundern und das wissen des lehrers zu bestaunen.

in der nacht von heute auf gestern starb christoph wagner im 56. lebensjahr. und auch wenn das ganz fürchterlich pathetisch klingt, aber mit ihm starb ein ganz wichtiges stück gourmet-journalismus, eine historische Komponente, und auch eine moralische.
Meine Gedanken sind bei seiner Familie, seiner Frau und seinen beiden Töchtern.

florian holzer

Das SPEISING.NET möchte sich ganz herzlich bei Florian Holzer bedanken, dass er uns seine privaten Worte zur Verfügung stellt.

4 Kommentare | Kommentar abgeben

knalli, 25.06.12 @ 08:02

Kann nur zustimmen.
Jedes Wort stimmt. Und ich werde die wenigen aber legendären Genussabende mit ihm nie vergessen.

rotgold, 25.06.12 @ 07:18

uiuiui, und das am montag in der früh. danke, florian, danke speising.net, vor allem aber: danke, christoph.

saskia, 24.06.12 @ 19:29

Nachruf
Florian Holzer spricht mir da wirklich aus der Seele!
Genau diese Art von Kritik bzw.Begeisterung hat mich gegenüber allen anderen"Fressführern" und deren teils höchst zeifelhafte Beurteilungen immun gemacht!!
Danke für diesen Nachdruck

OberkllnerPatzig, 24.06.12 @ 18:33

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