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Das Weinlog
22.01.06 @ 22:22
Wein und Sein: am Beispiel Bordeaux vs. Burgund
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kaum ein Weinliebhaber, der auf sich hält würde bei einem Weinprobensmalltalk bei Erwähnung des Wortes „terroir” verwirrt fragen,was denn nun darunter zu verstehen wäre. Zu viele Winzer berufen sich darauf um die Qualität ihrer Weine zu betonen oder aber auch um (haus-?) typische Aromakomponenten zu erklären. Weinjournalisten erzählen uns seit Jahren, dass Achleiten und Kellerberg, Chambertin und Musigny oder Latour und Petrus schon aufgrund von Bodenzusammensetzung, Mikroklima und Exposition so und nur so schmecken können oder zumindest sollten.
Es ist offensichtlich, dass diese Faktoren (bislang) von Menschenhand nur eingeschränkt zu beeinflussen sind und daher bestimmte Weine nur an bestimmten Orten gedeihen könnten.
Jean-Robert Pitte, Präsident der Pariser Sorbonne und Geograf beschäftigt sich schon berufsbedingt mit Landschaftsformen, aber mehr noch mit Kulturgeografie und in diesem Fachgebiet auch mit Essen und Trinken. Er vertritt jedoch im Widerspruch zu Obigem ganz entschieden die These, der Charakter von Weinen wäre weit weniger von naturgegebenen Gegebenheiten als von den Menschen geprägt, die den Wein herstellen, verkaufen und trinken.
In seinem jüngsten Werk illustriert er seinen Standpunkt durch einen detaillierten Vergleich der innerfranzösischen Langzeitkontrahenten um den besten Wein des Landes: Bordeaux vs. Burgund.
Einige seiner Argumente möchte ich in der Folge anführen und hoffe, dabei nicht (allzu sehr) auszuufern.
Die Wurzeln des Weinbaus im Burgund gehen auf das 2.Jhdt zurück und seit dem Mittelalter werden an der Côte-d'Or ununterbrochen Reben angepflanzt und Weine gekeltert. Bestimmend dabei waren katholische Klöster, und der (katholische) Herzog von Burgund. Die Arbeit erbrachten von jeher Bauern und seit der Revolution waren sie auch die Eigentümer der Weinberge. Aufgrund der Erbteilung sind die Lagen auf eine Unzahl Eigentümer aufgeteilt, die ihrerseits in vielen unterschiedlichen Gemeinden und Lagen Parzellen bewirtschaften. Getrunken wurden diese Weine historisch zum allergrößten Teil im (konsequent gegenreformierten) Frankreich.
Ganz anders Bordeaux: Durch die geografische Lage am Atlantik war die bordelaiser Weinproduktion stets auf Export ausgerichtet und die Konsumenten fanden sich zum Gutteil in England und im protestantischen Norden Deutschlands. Händler aus diesen Ländern ließen sich in Bordeaux nieder und engagierten sich ab dem 19.Jhdt auch massiv im Weinbau. Die Strukturen sind durch Châteaux bestimmt, die auf (vergleichsweise) großen Flächen einen einzigen Wein (und vielleicht noch einen Zweitwein, in dem die jungen Reben verarbeitet werden) keltern.
Diese Umstände finden sich laut Pitte unmittelbar in den Weinen wieder:
Im Bordeaux war es wichtig, dass die Weine den Transport per Schiff gut überstanden und hier zeigten sich Rebsorten wie Malbec bzw. in der nach-Phylloxera-Ära Cabernet-Sauvignon als deutlich besser geeignet als Pinot Noir. Die notwendige längere Lagerung bis die - gegenüber Burgundern - doppelt so große Tanninmenge ausreichend mürbe geworden ist und Trinkgenuss erlaubt stellte auch kein Problem dar, da dieses durchaus mit puritanischer Spargesinnung harmoniere. Im Vergleich zum Burgunder, der unmittelbar und emotionell ansprechend sei, sind die Weine des Medoc zunächst vielfach abweisend und der Genuss wird durch länger dauernde Erfahrung ganz entscheidend vertieft, bleibe jedoch stets intellektuell geprägt.
Burgunder betöre durch expressive Aromatik, Bordeaux hingegen werde primär durch seine Textur wahrgenommen und stets bleibe ein kleiner Rest an Zurückhaltung ja geradezu Puritanismus. Somit entspräche Bordeaux bekannten Bordeauxliebhabern wie Montesquieu oder Montaigne. Burgunder hingegen erinnere an Rabelais, sei eine wahre Droge von unglaublicher Sinnlichkeit, nahezu eine Art sexueller Hemmungslosigkeit.
Wo die Vorlieben von Pitte liegen ist nicht allzu schwer zu erkennen. Und trotz einigen weiterführenden schon etwas konstruiert wirkenden Thesen erscheint mir der grundsätzliche Ansatz durchaus stichhaltig, und viele der getroffenen Schlussfolgerungen überzeugend.
Und es macht durchaus Spaß bei einem blind verkosteten Wein einmal nicht nur nach Aromen, Balance und Länge zu suchen sondern sich zu überlegen: ist der nun eher protestantisch-bourgeois oder doch katholisch-bäuerlich?
32 Kommentare | Kommentar abgeben
alma, 23.01.06 @ 10:38
Mon oncle
Mein Onkel ist Philosoph, Katholik und Ex-Jesuit. Er stammt aus einem agnostischen Elternhaus.
Seine größte Befreiung, so erzählte er mir, sei seine Hinwendung als 16jähriger zum Katholizismus gewesen - Rebellion gegen das halbwegs intellektuelle, asketische, vegetarische Elternhaus. Die erste Begegnung mit Wein fand in der katholischen Jugendgruppe statt.
Burgunder wird es wohl nicht gewesen sein, aber seitdem hat ihn eine offene hedonistische Fröhlichkeit nicht verlassen (wie er allerdings die Jahre in der Jesuiten-Kaserne überstanden hat, weiß ich nicht, diese Verirrung hat er zum Glück rückgängig gemacht)
Die katholische Lebensfreude wurde mir als Kind schon bei meinem anderen Großvater (der, der die Schokolade nicht in einer Schublade verstecken musste) deutlich vor Augen geführt: täglich mittags und abens 1, 2 Glas Wein, Zigarren, Fleisch und eine spürbare sexuelle Aura.
Lässt sich aus Einflüssen der Kindheit auch ein Wein-Werdegang rückschließen ? ;-)
Minimalist, 23.01.06 @ 10:25
Wissen als "Geschmacksgeber"?
Spannend! Vor allem die Motivationen und Restriktionen (Transporfähigkeit,...). Auch der Höhenflug des starken / säurigen Balolo, begründete sich ja darin, dass er den Transport über den (heissen) Äquator überstand (und andere nicht).
Und wir beurteilen Wein mit dem Geschmackssinn, dem Geruchssinn, dem Auge und wahrscheinlich auch mit Wissen (von welcher Traube/Winzer/Gegend,... erwarten wir was?). Integral.
Es gibt übrigens noch eine lakonische Kategorisierung (Autor habe ich vergessen).
"Bordeaux ist für die Kranken, Burgund für die Gesunden".
Und ich frage mich noch, welchen Wein macht ein protestantischer Bauer?
Einen karg-schlanken Riesling?

--- 04.09.18 @ 20:56
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