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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 5
26.06.07 @ 21:54
Der Mann hinter der Sportzeitung war mir während meiner kleinen Exkursion in Gildas Pastahimmel nur dadurch aufgefallen, dass sein Handy alle paar Minuten „What a wonderful world“ intonierte. Ansonsten hatte er sich nicht in unser Gespräch eingemischt, sehr wohl aber von Gildas Pastatopf genascht. Ich nahm ihn erst wieder wahr, als er gleichzeitig mit mir bezahlte und die Konoba verließ. Wir schienen, zumindest eine Zeit lang, denselben Weg zu haben, gingen jedoch auf verschiedenen Straßenseiten. Nach einer Weile schwenkte er dann auf meine Seite um und ging geradewegs auf mich zu.
„Darf ich Ihnen ein Pfefferminzbonbon anbieten?“, sagte er.
„Wieso?“, fragte ich verblüfft.
„Nehmen Sie es ruhig“, insistierte er. „Glauben Sie mir, Sie werden es brauchen. Am besten, Sie nehmen gleich zwei.“ Er steckte mir eine Hand voll Pastillen in meine Jackentasche, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in einer Seitengasse.
Ich sah auf die Uhr. Die Zeit in der Konoba Fortuna war wie im Flug vergangen. Es fehlte gerade noch ein halbes Stündchen, bis es vier wurde. Ich nützte es, um mir noch ein paar von den Altstadthäusern anzusehen, in deren Fassaden ich immer wieder alter Römersteine eingearbeitet fand. Auf einem besonders schönen Exemplar, das ich gleich neben der Eingangstür zu einer Metzgerei fand, war das Fragment einer Hasenjagd dargestellt, was in dieser Nachbarschaft nicht eines gewissen morbiden Reizes entbehrte. Und da man sich im Gässchenlabyrinth des historischen Stadtkerns von Balaor leicht verlaufen konnte, war ich ganz froh, als ich einigermaßen pünktlich vor der Präfektur ankam, wo ein paar Gemeindebedienstete gerade damit beschäftigt waren, die Blutflecken von der Treppe zu scheuern.
Die Präfektur war, wie ich einer Inschrift neben den beiden grinsenden Tritonen entnahm, im ehemaligen Bischofspalast von Balaor untergebracht, der, wie viele Verwaltungsgebäude am adriatischen Meer, im Stil der einstigen venezianischen Kolonialherren erbaut worden war. Ich trat ein und ein blässlicher Jüngling, der in einem Glaskubus gleich hinter der Eingangstür saß, teilte mir über die Sprechanlage mit, dass der Präfekt mich in seinem Arbeitszimmer in der ehemaligen bischöflichen Bibliothek im zweiten Stock des Hauses erwarte.
Ich ließ das Sekretariat der Präfektur, zu dem ein Pfeil führte, also links liegen und pochte lieber gleich mit einem schweren Eisenring zwei- oder dreimal an die Bibliothekstür. Als niemand antwortete, überlegte ich kurz, ob ich nicht doch noch den hierarchisch sicher angebrachten Umweg nehmen und mich anmelden lassen sollte, doch dann zog ich es vor, einfach einzutreten.
Die Bibliothek war zwar zweistöckig, aber durchaus überschaubar, man könnte fast sagen intim. In der Mitte des Raumes stand ein schwerer Konsoltisch aus der Spätrenaissance, dessen verspielte Knorpelwerk-Ornamentik in seltsamem Gegensatz zur glattpolierten, nahezu intarsienfreien Oberfläche stand, auf der sich nur ein Telefon und ein PC, aber weder Akten noch Schreibzeug oder sonstige Unterlagen befanden. Der Mann, der auf dem im selben üppigen Stil wie der Tisch gehaltenen Armstuhl saß, umgab sich sichtlich nicht gerne mit überflüssigen Dingen. Im Moment war der Stuhl allerdings leer, und der Präfekt war nur durch seine Stimme präsent, die von der Galerie kam.
„Dobre dan, Doktor Carozzi, kommen Sie nur herauf“, erschallte die laute, wenn auch schon etwas knirschende Stimme, die noch einen weiteren Satz in ihrer Muttersprache hinzufügte. Erst mein peinlich anhaltendes Schweigen ließ den Präfekten in ein dunkel timbriertes, aber perfektes Italienisch wechseln. „Der Tag hat schlimm genug begonnen, man muss ihn nicht auch noch in finsteren Räumen verbringen.“
Ich kletterte die kleine Wendeltreppe auf die Galerie hoch und sah, dass hinter der Bücherfront noch eine weitere kurze Treppe hinaus auf eine geräumige Loggia führte, wo Damir Nonno zwischen etlichen Stechpalmen und Kakteen vor einem Panorama residierte, um das man ihn nur beneiden konnte. Lediglich ein paar Ziegeldächer trennten die Marmorbrüstung vom Meer und gaben den Blick auf mehr als ein Dutzend kleiner und kleinster Inseln frei, die der Küste Balaors wie Trabanten vorgelagert waren. Manche waren dicht mit Pinienwäldern bewachsen, andere ragten wie felsgraue Eisberge aus dem Wasser und waren, außer zum Anschauen, allenfalls für Strafgefangene geeignet, die dort, wo man heute noch Befestigungsreste erkennen konnte, tatsächlich einmal untergebracht gewesen sein mochten.
„Ich lasse nach Macorig rufen, unserem Kulturdezernenten. Er sollte, denke ich, bei unserem Gespräch dabei sein“, sagte der Präfekt und murmelte ein paar Worte in sein Triband-Handy, mit dem er die Stadt von seiner Loggia aus wie mit einem elektronischen Zauberstab zu regieren schien. Ich persönlich pflege statt Handy ja Bellerophon zu sagen. Denn ich habe diese Zivilisationsgeißel nach jenem eitlen Unglückswurm benannt, der mit dem Pegasos über den Olymp reiten wollte. Göttervater Zeus stürzte ihn daraufhin zuerst in die Tiefe und dann in den Wahnsinn. Ich überlegte kurz, ob ich den Präfekten nach seinem harten Arbeitstag mit dieser kleinen Anekdote aus meinem archäologischen Repertoire erheitern könnte, ließ es aber dann. Mein Gegenüber hatte, wie sich gleich zeigen sollte, andere Probleme.
„Sie haben ausgiebig zu Mittag gegessen?“, fragte Nonno nicht wirklich freundlich, nachdem er mich aufgefordert hatte, Platz zu nehmen. „Hat Ihnen unser Wein geschmeckt?“
Ich war über diese Frage zu verblüfft, um darauf eine einigermaßen schlagfertige Antwort zu finden, und kramte stattdessen in meiner Jackentasche nach den Pfefferminzbonbons.
„Ich habe einen sehr ausgeprägten Geruchssinn“, fuhr der Präfekt fort. „Ich würde sagen, Sie haben ziemlich scharf gegessen, dazu reichlich Malvasia getrunken und am Schluss auch noch ausgiebig an einem Schnäpschen genippt. Habe ich nicht recht?“
Es hatte wohl keinen Sinn, ihm zu widersprechen. „Ja, ich habe die Wartezeit damit verbracht, eines der Restaurants von Balaor auszuprobieren“, gestand ich.
„Vielleicht hätten Sie in der Zwischenzeit lieber das Lapidarium inspizieren sollen.“
„Dort war ich ...“
„Halt, lassen Sie mich raten“, unterbrach mich Nonno. „Sie waren in der Fortuna und haben von Gildas Pasta d'Angelo genascht, richtig?“
„Ihr Geruchssinn ist wirklich verblüffend“, erwiderte ich, aufrichtig beeindruckt. Ein verbindliches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Der Mann, der vielleicht mein nächster Vorgesetzter werden sollte, war also eitel.
„Ich habe auch lange genug geübt“, sagte er und klopfte sich schuldbewusst auf den Bauchansatz. „Nicht ohne Folgen übrigens. Wenn in Balaor der Südwind geht, ist das Meer zwar am schönsten, aber dann plagt mich mein Ischias.“
Nonnos Züge verzerrten sich plötzlich schmerzhaft, und er griff sich vom Sonnengeflecht, auf dem seine Hand noch immer ruhte, an die rechte Hüfte.
„Heute ist das Meer besonders schön, finden Sie nicht?“
Ich benetzte meinen Zeigefinger mit etwas Speichel und hielt ihn in den Wind.
„Kommt tatsächlich von Süden“, sagte ich.
„Ja, der Jugo. Es ist immer dasselbe“, seufzte der Präfekt. „Vielleicht sollte ich es wirklich wie Papst Benedikt XIV. machen und statt Tabletten zu nehmen Strümpfe aus Muschelseide tragen. Er hatte immer welche dabei, und sobald er einen Anfall bekam, nahm er sie aus seiner Tabaksdose. Wussten Sie das?“
Ich hatte mittlerweile endlich eines meiner Pfefferminzbonbons aus der Tasche gefingert und schob es, als ich mich von Nonno einen Augenblick lang unbeobachtet glaubte, zwischen die Zähne. Dafür erspähte mich der edle Spender der Pastillen.
„Dario, da sind Sie ja“, sagte Nonno, dessen Ischiasattacke wieder nachgelassen hatte. „Darf ich Ihnen Dario Macorig vorstellen, unseren Kulturdezernenten?“
„Wir haben uns schon bekanntgemacht“, erwiderte Macorig grinsend. „Wir hatten den gleichen Weg.“
„Ach ja, Sie pflegen ja auch bei Gilda zu lunchen. Bei Ihrer Jugend können Sie sich das auch noch leisten. Ich hingegen muss mich wenigstens mittags kasteien.“
„Abends wäre gesünder ...“, wandte Macorig ein.
„... ist aber nicht machbar“, erwiderte Nonno kategorisch, bevor er sich wieder an mich wandte.
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