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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 8
08.07.07 @ 10:07
„Darf ich Ihnen unsere älteste und liebste Bewohnerin vorstellen, Doktor Carozzi“, sagte Tusnelda Scacci so laut, dass die alte Dame es hören konnte. „Wir gehen jetzt schon in unser Hundertzweites“, fügte sie wohlwollend hinzu, während sie sich über die Patientin beugte und ihr das Betttuch zurecht zupfte. „Und wir fühlen uns noch pudelwohl dabei. Hab ich nicht recht?“
Die Fossilien bewahrten die Ruhe einer Sphinx.
„Wollen wir uns vielleicht wieder einmal auf die andere Seite drehen, Signora Zarazà.“
„Plattfisch“, sagte die alte Signora.
„Haben Sie Hunger? Möchten Sie was zu essen?“
„Ach was.“ Unter der Decke schob sich plötzlich eine zu den Kreidefelsen passende Hand hervor und machte eine abwinkende Bewegung.
„Sollen wir Sie also doch umdrehen?“
„Ich sagte ja schon: Plattfisch“, erwiderte die Signora. „Die Plattfische haben es fein. Sie sind entweder linksliegend oder rechtsliegend, und sie brauchen nicht dauernd gedreht zu werden. Außerdem hat es der liebe Gott gut mit ihnen gemeint, als er die linksliegenden Plattfische rechtsäugig und die rechtsliegenden Plattfische linksäugig schuf. Soviel Grundvernunft zeigte er bei der Erschaffung des Menschen nicht immer. Aber wahrscheinlich hatte er schon zuviel davon in die Plattfische investiert.“
„Sie ist eine studierte Philosophin, unsere Signora Zarazà, müssen Sie wissen, Dottore Carozzi. Sie hat früher einmal in Triest unterrichtet.“
Die fossilen Einschlüsse begannen plötzlich listig in ihren Höhlen zu rotieren.
„An der Universität von Santa Maria del Goatto, da habe ich unterrichtet, genau da.“ Und die Kreidefelsen erbebten unter einem lang anhaltenden Kichern.
„Ah, dort?“, erwiderte ich mit heuchelnder Anerkennung. Allein: Die alte Lady durchschaute mich sofort.
„Sie haben wohl noch nie etwas von dieser Universität gehört?“
„Doch, doch“, heuchelte ich weiter, „gehört schon.“
„Aber Sie waren noch nicht dort.“
„Das nein.“ Ich kam mir wie ein dummer Junge vor.
„Können Sie auch nicht. Denn die Universität Santa Maria del Goatto, die ist für die Fisch'“.
„Sie meinen, es gibt sie gar nicht?“
„Doch, doch, es gibt sie. Die alte Fischmarkthalle, die mit dem Wassertürmchen. Sie sieht aus wie eine Kirche. Früher kam das Wasser, um die Fische zu bespritzen, von oben. Und drum nannte man sie Santa Maria del Goatto. Das heißt soviel wie Heilige Maria zum Fischlein.“
„Und dort haben Sie gelehrt?“
Signora Zarazà dachte lange nach. Das Reden schien sie langsam zu überanstrengen.
„Gelehrt? Gelehrt vielleicht weniger als gelernt. Zum Beispiel habe ich dort gelernt, dass Plattfische ihren Feinden gegenüber den Vorteil haben, sich unsichtbar machen zu können.“
„Ich denke, wir sind schon ein wenig müde“, zeigte sich Tusnelda Scacci einmal mehr von ihrer mütterlichsten Seite und erteilte der Krankenschwester einen Wink, sie möge den Rollstuhl wieder zurück ins Ospizio fahren.
Ich verabschiedete mich bei Signora Zarazà, doch sie schien mich nicht mehr wahrzunehmen.
„Ich wäre gerne ein Plattfisch“, murmelte sie stattdessen. „Und wer weiß, vielleicht schaffe ich das auch noch.“
Tusnelda Scacci wusste nicht recht, ob ich den Auftritt der Signora als interessant oder doch eher als peinlich empfunden hatte, und meinte, fast entschuldigend: „Signora Zarazà ist nicht nur unsere älteste, sondern auch eine unserer wohlhabendsten Insassinnen. Ihr verstorbener Mann war ein steinreicher Reeder aus Triest und er hat ihr ein gewaltiges Vermögen hinterlassen. Wohl dem, an den es einmal fallen wird.“
„Wird wohl wieder einmal jemand von denen sein,“ erwiderte ich nachdenklich, „die es nicht brauchen. Die was brauchen, erben nie. Ich weiß, wovon ich rede.“
Signora Scacci lächelte.
„Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie bei uns zu Abend essen“, wiederholte sie schließlich. „Es ist zwar nur eine etwas bessere Krankenhauskost, aber unsere Angela ist keine schlechte Köchin. Sie müssen auch nicht mit den anderen im Saal essen. Ich habe einen sehr atmosphärischen Raum für ... nun ja, für spezielle Gäste einrichten lassen. Wir müssen schließlich auch unsere Förderer bewirten, wenn sie uns besuchen.“
„Zum Förderer wird es bei meinem Gehalt als Leiter des Lapidariums wohl noch nicht so schnell reichen.“
Signora Scacci überhörte meine Bemerkung. „Also halten Sie es, wie Sie wollen. Sie sind uns jedenfalls willkommen. Das Ospizio ist nicht so hässlich, wie sich das Wort anhört. Es stammt in seinen ältesten Teilen noch aus dem Mittelalter und wurde in Pestzeiten als Quarantänestation benutzt, bevor man es dann in ein Lazarett für Seeleute umgebaut hat. Heute ist es eines der gediegensten Pflegeheime an der nördlichen Adria. Für Pflegefälle mit reicher Verwandtschaft. An manchen Wochenenden sieht es in unserem Innenhof so aus, als hielte der Ferrari-Club hier seine Jahrestagung ab.“
„Danke jedenfalls für die Einladung“, sagte ich, während sie sich zu gehen anschickte. „Wenn nicht heute, dann sicher ein andermal.“
Sie glitt über den rissigen Marmorboden des Castelletto, als wäre sie es von Kindheit an gewohnt, sich in Schlössern zu bewegen.
„Sie können es sich ja noch einmal überlegen“, sagte Tusnelda Scacci, allerdings auf eine Weise, die mir kaum eine Wahl ließ.
Neptun war mittlerweile im selben Maße satt, wie ich wieder hungrig wurde. Ich machte noch einen kleinen Abendspaziergang zur Hafenmole, deckte mich in einem kleinen Supermarkt mit dem Allernotwendigsten ein und fand heraus, dass das Morgenschiff zur Katharineninsel um neun Uhr ablegte. Dann marschierte ich nicht, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, in die Fortuna, sondern stellte mich folgsam in Signora Scaccis Casino für Special Guests ein.
Die Architektur des Raumes wirkte wie Design von der Stange, war aber immer noch wesentlich beeindruckender als das Essen. Es gab zu weich gekochte Tortellini mit einer weißen Sauce, die wie frisch angerührter Gips aussah und nach gar nichts schmeckte, dazu aber immerhin jede Menge frischen Salat.
Außerdem lernte ich bei dieser Gelegenheit Signora Scaccis Assistentin Valeria Stella kennen. Sie war wesentlich jünger als ihre Chefin, trug ihr fülliges blondes Haar auffallend lang, was zwar unmodisch, dafür umso attraktiver war, und sie sah ihr Gegenüber durch zwei große, von langen Wimpern überschattete hellblaue Augen auf eine so vertraute Weise an, dass man das Gefühl hatte, man sei mit ihr schon seit Jahren bekannt. Zudem verfügte sie über eine ausgesprochen angenehme Stimme, die wesentlich dunkler war als ihr Teint; kurzum: Die Tatsache, jemanden wie sie in meiner unmittelbarer Nachbarschaft zu wissen, stimmte mich für die kommenden Monate recht hoffnungsfroh.
Als ich spätabends heimkam, mutmaßte ich, dass das einzige Fenster des Ospizios, in dem noch Licht brannte, in ihr Zimmer führte. Leider verhinderten etliche Zypressen, die eine natürliche Abgrenzung zwischen dem Pflegeheim und meinem Schlösschen bildeten, dass ich das genau feststellen konnte. Sehr wohl konstatierte ich jedoch, dass von den zahlreichen Glühbirnen, die in meiner kleinen Zimmerflucht von der Decke baumelten, nur eine einzige funktionierte. Die knipste ich dann allerdings auch bald aus.
Fortsetzung folgt
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