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Gefüllte Siebenschläfer - Teil 13

30.07.07 @ 21:31

„Du wolltest mir noch erzählen, was es mit dem Fischereiverbot für deinen Kahn auf sich hat“, versuchte ich unser Gespräch neu zu beginnen. „Immerhin sind wir jetzt an Land.“
Scaramuzza verschränkte die Arme und lehnte sich, als wolle er etwas abwehren, in seinem Sessel zurück. Wie es schien, hätte er lieber über seine Gilda und meine vermeintlichen Absichten geredet. Doch dann schob er seinen massigen Oberkörper wieder nach vorne und bemühte sich redlich, meine Frage zu beantworten.

„Bei uns in Balaor“, begann er mit einer weit ausholenden Geste, „hat es, wie fast überall an der östlichen Adria, immer schon Hauskommunen und Verwandtschaftsgenossenschaften gegeben, und zwar schon lange, bevor der Kommunismus aufkam. Das ist wohl auch der Grund, warum die Fischereigenossenschaft von Balaor bis auf den heutigen Tag überlebt hat, auch wenn es im Moment so aussieht, als ob es mit ihr zu Ende ginge. Aber einstweilen halten sich noch alle an das alte Ritual, dass der Fischereidirektor alle sechs Jahre von den Mitgliedern gewählt wird und dann einmal im Jahr die Fischgründe neu verteilt. Seine Entscheidung, wem welche Zonen zufallen, ist dabei so unanfechtbar wie die eines Fußballschiedsrichters. Dafür fällt ihm die nicht ganz leichte Aufgabe zu, die Balance zwischen guten und schlechten Fischgründen so zu wahren, dass sich über die Jahre keiner benachteiligt fühlt. Wer in einem Jahr besonders gute Gründe zugewiesen bekam, muss im nächsten daher mit schlechteren Vorlieb nehmen, erst dann bekommt er wieder solche von mittlerer Ergiebigkeit zugeteilt. Allmählich rückt er schließlich wieder zu den guten auf, und das Ganze beginnt von Neuem.“

„Klingt einleuchtend“, sagte ich.

„Ist aber komplizierter, als es klingt. Denn nicht alle Fischgründe erweisen sich in jedem Jahr als gleich gut oder schlecht, und das gilt es in die Entscheidung über die nächste Vergabe mit einzuberechnen. Vor allem aber ist da noch ein historisches Problem: Als die italienische Bevölkerung der östlichen Küstenlande im 17. Jahrhundert immer stärker dezimiert wurde, gestatteten die Venezianer immer mehr Schiavoni aus Bosnien, Herzegowina, Albanien und Rumänien, sich in den Küstenorten und auf den Inseln anzusiedeln. Seither gibt es hier zwei Sprachgruppen, die zwar nebeneinander leben, aber doch – nun sagen wir einmal – koordiniert sein wollen. Wir Italiener sprechen, wenn wir unter uns sind, immer noch einen alten venezianischen Dialekt, das Balaoran, und die Cici, die ihr Österreicher früher Tschitschen genannt habt, sprechen Kroatisch.“

„Ich bin kein Österreicher, sondern Südtiroler“, widersprach ich, und Scaramuzza nahm meinen Einwand achselzuckend oder eigentlich gar nicht zur Kenntnis.

„Das kleine Problem, das sich bei der Vergabe der Fischereigründe immer wieder stellte“, fuhr er fort, „war die Tatsache, dass der Fischereidirektor entweder aus dem Lager der Italiener oder der Cici kommen musste. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Direttore so gut wie immer Italiener, weil die italienisch sprechenden Fischer in Balaor stets in der Mehrzahl gewesen sind. Das mag unter den Cici, die sich bei der Vergabe der besten Fischgründe zu Recht oder zu Unrecht benachteiligt fühlten, zu einigem Missmut geführt haben, aber es war nun einmal so. Während der Titozeit hat sich das dann allerdings sehr schnell geändert. Da hatten die Cici ihre große Stunde und sie haben uns das auch spüren lassen. Erst seit Kroatien seine Unabhängigkeit erklärt hat, bekommen wir Italiener wieder Oberwasser. Immerhin ist der Präfekt erstmals seit einem halben Jahrhundert nun wieder Italiener, zumindest ein halber.“

„Und Lukobran war Kroate. Hat er dir die Fischereilizenz entzogen?“

„So einfach kann man das nicht sagen. Da täte man ihm unrecht, auch wenn es gelogen wäre, dass wir einander gemocht haben. Vielleicht konnte er ja auch nicht anders handeln, als er es tat. Seit die Regierung nämlich an die Pforten der EU klopft, wurden die Fischfangquoten von Jahr zu Jahr deutlicher reduziert, und in ihrem Gefolge auch die Zulassungen für die Trawler. Lukobran blieb gar nichts anderes übrig, als manche Lizenzen zu sperren. Welche Lizenzen das waren, blieb freilich ihm überlassen. Und über die Art, wie er diese Entscheidung traf, konnte man tatsächlich recht unterschiedlicher Meinung sein.“

„Er hat wohl in erster Linie Italiener gesperrt?“

„Nein, so dumm war er nicht. Er hat es schon schlauer angestellt. Er entzog den kleinsten unter den Trawlern die Fischereilizenz mit der Begründung, sie arbeiteten unwirtschaftlich. Es war nur zufälligerweise so, dass die kleinen Trawler den Italienern gehören, während die großen Kähne, so ab 300 Registertonnen, noch aus der jugoslawischen Zeit durchwegs in den Händen der Cici sind. Lukobran war schon schlau.“

„Was ihm aber, wie man sieht, nichts genützt hat.“

„Ich würde mir wünschen, Gott wäre so weise, dass er ihn aus Gerechtigkeitssinn gestraft hat. Aber ich nehme an, Lukobran hat ganz einfach Pech gehabt, als er in den Engel hineinrannte, als diesen gerade die Fallsucht plagte.“

In der Ciodi hatten sich mittlerweile auch die anderen Tische gefüllt und der Essigsaft dampfte aus zahlreichen Schüsseln.

„Könntest du mir deine Tochter einmal in der Woche leihen?“, fragte ich Scaramuzza, der nach seinen letzten Worten in einer ziemlich grüblerischen, um nicht zu sagen missmutigen Pose verharrt war.

„Na, du bist mir ja ein schöner Schwiegersohn“, brummte er. „Ich bin ja in jüngeren Jahren auch in so manchen Häfen vor Anker gegangen, aber wenn ich mich einmal vertäut hatte, dann bin ich wenigstens eine Zeit lang geblieben.“

„Bitte begreif doch, ich spreche mit dir nicht als künftiger Schwiegersohn, sondern als Leiter des Lapidariums von Balaor“, sagte ich und erklärte ihm, was ich mit meinen Apicius-Menüs beabsichtigte. „Du kannst ja zwischen den Gängen auch ein paar Gedichte vortragen“, fügte ich hinzu. „Allerdings musst du dafür bei Gilda ein gutes Wort für mich einlegen.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann, Carozzi“, erwiderte Scaramuzza. „Lieber hätte ich ihr freilich gesagt, dass du nicht an ihrer Küche, sondern an ihrer Hand interessiert bist. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden.“

„Solange sie damit Linguini wie einen Risotto rührt,“ erwiderte ich schmunzelnd, „ist mir ihre Hand jedenfalls äußerst willkommen.“

Scaramuzza bezahlte und wir gingen zum Landungssteg zurück. Dort hatten inzwischen auch noch etliche andere Jachten, eine größer und schöner als die andere, angelegt. Keine von ihnen war allerdings auch nur annähernd so groß und schön wie jene, die den geheimnisvollen Signor Lichignoso auf die Katharineninsel gebracht hatte.

Fortsetzung folgt

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